Frauenhäuser: Gewaltfreie Zonen
Frauen, die in der eigenen Familie bedroht werden, finden in sechs Berliner Frauenhäusern einen Zufluchtsort. Die UN schätzen, dass weltweit jede dritte Frau Opfer häuslicher Gewalt wird.
Sie habe schon schlimm ausgesehen, sagt Renate*. Aufgeplatzte Lippe, öfter mal ein blaues Auge. Auch Rippenprellungen, ein angebrochener Daumen und ein Nasenbeinbruch sind in den 20 Jahren ihrer Ehe zusammengekommen. „Mein Mann ist eigentlich lieb“, sagt sie. „Nur wenn er trinkt, wird er aggressiv.“
Das erste Mal passierte es ein halbes Jahr nach der Hochzeit, dann kamen seine Aussetzer jährlich. Im Rausch schlug er zu, „danach war er wieder ganz der fürsorgliche Ehemann“, sagt die 58-Jährige. Sie tauchte jedes Mal für eine Weile bei ihrem Bruder unter und kam erst wieder, wenn ihr Gesicht abgeschwollen war. „Damit die Nachbarn nichts merken“, sagt sie.
Dieses Jahr jedoch hielt die Aggression ihres Mannes an – auch ohne Alkohol. Er tobte und drohte, sie umzubringen. „Das war eigentlich schlimmer als die physische Gewalt“, sagt Renate. Schließlich flüchtete sie ins Frauenhaus Bora, einer von sechs derartigen Kriseneinrichtungen in Berlin. Die Vereinten Nationen, die den morgigen 25. November zum jährlichen Tag gegen die Gewalt an Frauen ausgerufen haben, gehen davon aus, dass ein Drittel aller Frauen weltweit einmal im Leben Opfer häuslicher Gewalt werden. „Die Frauen, die hierherkommen, haben zu Hause seit Jahren körperliche und verbale Übergriffe erlebt“, sagt Pari Teimoori, Leiterin des Frauenhauses Bora, „manchmal sogar über Generationen hinweg. Da hat schon der Vater die Mutter geschlagen“.
Meistens sind es die Partner, aber auch Verwandte oder ganze Familien werden zu Tätern in den 16 285 Fällen häuslicher Gewalt, die die Polizei im vergangenen Jahr in Berlin registriert hat. Vier davon endeten tödlich. Zwar sei ein leichter Rückgang bei den Delikten festzustellen, aber „die Zahlen bewegen sich weiterhin auf einem hohen Niveau“, sagt Astrid von Zweydorff von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen. Rund 1400 Frauen und ebenso viele Kinder nutzten letztes Jahr die 317 Frauenhausplätze der Stadt.
Die Adressen der Frauenhäuser werden zum Schutz der Bewohnerinnen geheim gehalten. 24 Zimmer hat das vom Land finanzierte Haus Bora, in dem 53 Betten für Frauen und ihre Kinder zur Verfügung stehen. Sie sind das ganze Jahr über belegt. „Wenn eine Frau auszieht, steht die nächste schon vor der Tür“, sagt Pari Teimoori.
Über eine gemeinsame Hotline sind die Berliner Hilfsangebote für Frauen in Not miteinander vernetzt, Betroffene können sich aber auch direkt an die Einrichtungen wenden. Renate rief vor zwei Monaten im Frauenhaus Bora an. „Ich dachte immer, das wäre eine Art Auffanglager, aus dem man schnell wieder weg muss“, sagt sie. Stattdessen fand sie einen Ort, an dem sie zur Besinnung kommen konnte. Im Haus sprach Renate zum ersten Mal mit anderen Frauen über das, was sie erlebt hatte. „Sonst habe ich mich immer geschämt“, sagt sie, „aber diese Frauen haben alle ähnliches durchgemacht.“
Das verbindet: Häufig entstehen zwischen den Frauen tiefe Freundschaften, sagt Pari Teimoori. Bad und Küche werden geteilt und gemeinsam saubergehalten, aber die Frauen helfen sich gegenseitig auch mit den Kindern und beim Kochen. Drei Monate bleiben die Bewohnerinnen im Durchschnitt, je nach Bedürfnis. Fünf Sozialarbeiterinnen begleiten die Frauen währenddessen bei Behördengängen wie etwa zum Jobcenter und helfen in Gesprächen, die traumatischen Erlebnisse zu bewältigen.
„Die Hälfte der Frauen, die zu uns kommen, sind Migrantinnen“, sagt Pari Teimoori. „Wir helfen denen, die sonst niemanden haben, an den sie sich wenden können.“ Anita* etwa zog vor fünf Monaten mit ihren beiden kleinen Kindern hierher. Als sie Polen verließ, um zu ihrem deutschen Freund zu ziehen, überwarf sie sich mit ihren Eltern. Bald kam der Freund immer öfter betrunken nach Hause, hatte Geld verspielt und ließ seinen Zorn an ihr aus. Er riss die 30-Jährige immer wieder aus dem Schlaf und verprügelte sie. Ihrer Tochter erzählte sie, sie sei gegen eine Tür gelaufen oder gestolpert, um die blauen Flecken im Gesicht und die gebrochene Nase zu erklären. Nach mehr als vier Jahren häuslichem Martyrium flüchtete sie ins Frauenhaus. „Jetzt haben wir ein ganz anderes Leben“, sagt Anja. „Wir können wieder in Frieden schlafen und brauchen keine Angst mehr zu haben.“
Kamila*, die aus Osteuropa nach Deutschland kam, gehört zu denen, die es schon in ein anderes Leben geschafft haben. Vor drei Jahren floh sie in Todesangst vor ihrem Ex-Mann. „Dir hilft doch sowieso keiner, die Polizei schiebt dich sofort ab“, hatte der ihr eingetrichtert. „Es ist kein leichter Weg“, sagt sie. „Aber es stehen einem Profis zur Seite, die sich auskennen. Allein muss keiner sein.“
Als sie aus dem Haus in eine eigene Wohnung zog, lud sie die Mitarbeiterinnen zu sich ein, um ihnen ihr neues Leben zu zeigen. „Von solchen Momenten lebt unsere Arbeit“, sagt Pari Teimoori. Es passiere nicht selten, dass Frauen ihren Aufenthalt abbrechen und zu ihren Männern zurückgehen. „Davon können wir sie nicht abhalten“, sagt sie. „Sie können sich ja auch tagsüber oder am Wochenende bei uns abmelden. Aber sie können jederzeit zurückkommen, wenn sie wieder Schutz brauchen.“
Renate will nicht zu ihrem Mann zurück. Sie sucht derzeit nach einer Wohnung, die sie allein nach ihren Vorstellungen einrichten will. Anita macht endlich den Deutschkurs, den sie wegen ihres Mannes nicht besuchen durfte. Sie sucht Arbeit und will demnächst in eine eigene Wohnung ziehen: „Nur ich und die Kinder“, sagt sie und freut sich auf ein selbstbestimmtes Leben. Susanne Thams
* Namen geändert. Hilfe bei häuslicher Gewalt gegen Frauen täglich von 9 bis 24 Uhr unter Tel. 611 03 00
Susanne Thams
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