Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Gesundbrunnen: Wo Brüder gegen Bälle treten
96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 27: Gesundbrunnen.
Gesundbrunnen gehört zu den Ortsteilen, von denen kaum jemand weiß, dass sie eigenständige Ortsteile sind. Als ich in den Straßenzügen westlich des Mauerparks wahllos Passanten fragte, wo ich mich befand, lautete die Antwort in zehn von zehn Fällen: „Wedding, wo sonst?“
Während die Abgrenzung Richtung Westen hier also schwerfällt, ist sie nach Osten um so klarer: Diesseits des Mauerparks leben viele Türken, jenseits so gut wie keine. Als ich die Grillwiese im Park sah, wurde ich den Verdacht nicht los, dass sie nicht zufällig am Westrand des Grünstreifens angelegt wurde. Ihretwegen teilt nämlich eine Art Phantommauer den Park: Im Gesundbrunnen-Sektor grillen Schnauzbartträger, im Prenzlberg-Sektor chillen Vollbartträger.
Hier kickten die Boateng-Brüder, als noch niemand sie kannte
Einst war Gesundbrunnen ein blühendes Vergnügungsviertel voller Kurbäder, Trinkhallen und Freudenhäuser. Dann kam die Teilung, und der Ortsteil stieg zum isolierten Randgebiet im Schatten der Mauer ab, in das nur noch zog, wer sich anderswo nichts leisten konnte. Dass Gesundbrunnen heute einen der höchsten Migrantenanteile und mit die schlechtesten Sozialindikatoren der ganzen wiedervereinigten Stadt hat, ist eine Spätfolge der Sektorenjahre.
Auf dem umzäunten Bolzplatz an der Travemünder Straße, wo die Boateng-Brüder kickten, als noch niemand sie kannte, sah ich einem großen Jungen beim Spielen gegen vier kleine Jungen zu – die nächste berühmte Brüder-Combo des deutschen Fußballs vielleicht. In der Badstraße löffelten alte Männer Linsensuppe, jüngere standen mit verschränkten Armen in den Türen der Sportwettläden. Auf dem Betondach des alten Bunkers im Humboldthain hörten Teenager deutschen Hip Hop, unten im Park bräunten Gesundbrunnenbräute die Haut zwischen ihren Tattoos.
Gesundbrunnen heißt Gesundbrunnen, weil zwischen Badstraße und Panke-Ufer im 18. Jahrhundert eine Mineralquelle entdeckt wurde, deren Wasser allen, die es tranken, ein langes Leben schenkte. So jedenfalls stellte es der Apotheker dar, der Friedrich den Großen von den Heilkräften des Brünnleins überzeugte. Das königliche Luisenbad entstand, um das herum sich bald lauter mehr oder weniger gesunde Vergnügungsstätten ansiedelten.
Hinter der Kellertür soll die verschüttete Quelle liegen
Leider ereilte die Heilquelle Ende des 19. Jahrhunderts ein Schicksal, das mir irgendwie sehr berlinisch vorkommt: Sie wurde bei Bauarbeiten versehentlich zugeschüttet. Im Luisenbad sitzt heute eine Bibliothek. Eine freundliche Bibliothekarin zeigte mir die verschlossene Kellertür, hinter der die verschüttete Quelle immer noch liegen soll. Die Frau hatte das nur gehört, selbst war sie nie im Keller gewesen.
Ich steuerte die Eisdiele im Erdgeschoss des Nachbarhauses an. Als ich den Eishändler nach der Quelle fragte, deutete er wissend auf den Fußboden. „Liegt hier unten. Ich habe denselben Keller wie die Bibliothek.“ Ich fragte ihn, ob er nie darüber nachgedacht hatte, die Quelle wieder freizubuddeln. Stirnrunzelnd überlegte er eine Weile. „Müsste gehen“, sagte er schließlich. „Aber dann würden die Leute hier auch noch nach Heilwasser anstehen, und ich komme schon mit dem Eis kaum hinterher. Schönen Dank, kein Interesse.“
Fläche: 6,13 km² (Platz 64 von 96)
Einwohner: 91543 (Platz 10 von 96)
Durchschnittsalter: 36,9 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: George und Kevin-Prince Boateng (Fußballer)
Gefühlte Mitte: Humboldthöhe
Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin
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