Valentinstag: Gesellschaft kaufen
Auf Twitch kann man Leuten beim Zocken zuschauen. Ich habe einiges über digitale Freundschaft gelernt. Mein Valentinstag.
Am Valentinstag wollte niemand mit mir Zeit verbringen. Ich bin ein Junge, so etwas verletzt mich nicht, aber etwas verstimmt war ich doch. In Hänger-Klamotten fläze ich mich auf meiner Couch und schaue mir Youtube Videos an. Zum wiederholten Male wird mir angeboten, ich solle doch gefälligst einem Youtuber (nickbunyun), dessen stolzer Abonnent ich bin, in seinem Livestream folgen. Er spielt Counter Strike wie in seinen regulären Videos auch, nur dieses Mal live und man kann mit ihm chatten. Auf Twitch, einer Online Plattform zum Streamen. Ich scrolle ein letztes Mal durch meine Whatsapp-Chats. Die letzten fünf Konversationen endeten mit „können ja nächstes Wochenende in ´ne Bar gehen“, „Ne lass mal“ und „voll süß, dass du fragst, aber ich treffe mich schon mit den girls“. Also den Stream.
Nickbunyun lebt in den USA, in Rumänien geboren, leicht übergewichtig, narzisstische Züge, einer der besseren Counter Strike Spieler Nordamerikas. Er verdient sein Geld damit, dass er Videos von sich spielend (mit Facecam) auf Youtube hoch lädt und Werbung schaltet. Als ich seinem Stream auf Twitch beitrete, bin ich einer von rund 1500 Zuschauern. Nick sitzt auf seinem gemütlichen Gamer-Stuhl, trinkt Durchsichtiges aus einer Thermoskanne und knuspert Tacco Chips.
Er überrascht in seinem „Valentines Special“ ausschließlich weibliche Streamerinnen, denen nur wenige zuschauen, indem er seine 1500 Fans „Happy Valentines Day“ in ihren Chat schreiben lässt. Eine junge Frau, die in Tanktop für 13 Zuschauer „League of Legends“ spielt und gerade scherzte sie hätte einen Gaming Porno mit Sasha Grey gedreht (Titel: „Gamer Girl gets gangbanged“), kreischt auf, als ihr Chat explodiert. „Danke Nick, ich liebe dich“, jauchzt sie. „Schreibt, Nick liebt sich selbst auch“, fordert er seine Zuschauer auf. 1500 Menschen gehorchen.
107,40 Dollar - das ist wahre Freundschaft
Plötzlich erscheint ein Banner in der Mitte des Bilderschirms, Musik ertönt, ein Löwe brüllt. „Counterking1“ hat 107,40 Dollar gespendet. Nick verlässt den Stream der Gamerin und wendet sich ernst an die Kamera: „Counterking1, ich danke dir ganz herzlich für deine Spende. Freunde, bitte gebt ihm alle im Chat einen Daumen hoch“, dann scherzt und streamt er weiter, als sei nichts gewesen. Wie alt Counterking1 ist, wie viel Geld er/sie im Monat verdient, was Nick für ihn/sie bedeutet weiß ich nicht. Und das weiß Nick auch nicht. Ist Counterking1 eine Verehrerin Nicks? Ein schüchternes Mädchen, das genau wie ich einsam auf einer Couch liegt, einen Eimer Ben und Jerry´s Cheese Cake Eiscreme im Arm und gespannt seine Reaktion abwartet? Vielleicht murmelt sie „Happy Valentines Day, Nick“, während er mit monotoner Stimme seine Fans auffordert, ihr einen Daumen hoch zu geben. Oder handelt es sich um einen ledigen Bankangestellten mit solidem Einkommen, der in seiner Jugendzeit Counter Strike spielte und sich deshalb emotional mit Nick verbunden fühlt? Letzteres wäre mir übrigens lieber…
Wer Counterking1 auch seien mag, Nick hat ihm/ihr wohl das Gefühl vermittelt, nicht allein zu sein und dieses Gefühl lässt sich durch Spenden noch steigern: Wer Nick Geld überweist, darf mit ihm direkt im Voicechat kommunizieren, ihm private Nachrichten senden, einmal die Woche Counter Strike mitspielen. Man kauft sich Gesellschaft. Ein Geschäft, das seit der Erfindung der Prostitution nichts Neues ist, aber dadurch nicht weniger skurril. Denn man ist nicht allein mit Nick, man ist mit ihm auch nicht befreundet. Man weiß nicht, wie die anderen Zimmer in seiner Wohnung aussehen, ob nicht sogar die Freundin oder seine Mutter nebenan kochen oder Fernsehen schauen. Als Nick für einige Minuten verschwindet, um auf die Toilette zu gehen, überlege ich, mich schlafen zu legen. Aber ich bleibe online, gespannt wie es weiter geht. Einen Blick am Stuhl vorbei in Nicks Zimmer: Spielfiguren, Standheizung mit einem Schnellkochtopf drauf, E-Gitarre, ein rosa Stoffeinhorn. Als er zurückkehrt, führt er ein Mädchen an der Hand. Die zweijährige Tochter seines besten Freundes. Süße Kinder produzieren Klicks, ziehen Zuschauer an. Er lässt die Kleine ein paar Worte ins Mikro brabbeln, dann schickt er sie zurück zu Daddy.
Diese Art der Illusion, für die man zahlen soll, ist mir nicht geheuer. Vielleicht bin ich trotz meiner jungen Jahre schon zu alt für diese Art der virtuellen Realität. Aber ich schaue mir lieber weiter perfekt geschnittene und nachbearbeitete Videos an. Das ist ebenfalls eine Illusion, aber sie hat nicht den Anspruch, Realismus oder Nähe vorzugaukeln.
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Max Deibert, 20
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