Berlin: Genießen in hundert Sprachen
Ob Shoppen oder Speisen: Ein KaDeWe-Besuch steht auf jedem Besichtigungsprogramm Die Berliner sind stolz, wenn sie ihren Freunden aus aller Welt den 100-jährigen Konsumtempel persönlich vorführen können
Die neue Reichstagskuppel wolle er sehen und das Jüdische Museum, sagt der Besucher aus den USA. „Und dann will ich endlich mal wieder ins KaDeWe.“ Egal, ob die Gäste aus Mailand, Boston oder dem Sauerland kommen, das Kaufhaus gehört zum Besichtigungsprogramm dazu. Es ist gewissermaßen die Kür zum Pflichtprogramm, weil man da ziemlich sicher sein kann, dass die Besichtigung Spaß macht, egal ob es zum Einkaufen oder zum Essen dorthin geht. Das war schon so, als die Mauer noch stand und das KaDeWe als Schaufenster des westlichen Lebensstils galt.
Damals war es einem klassischen Kaufhaus noch ähnlicher als heute, nur war es natürlich viel imposanter. Die Feinschmeckeretage war immer schon Legende. Einen Vorgeschmack bekamen ausgewählte Gäste bei ihren Berliner Gastgebern bereits beim Frühstück: Lenôtre- Brötchen. Bessere gab es in der ganzen Stadt nicht. Die Freunde aus New York State waren an weiche Brötchen gewöhnt und liebten den delikaten Knuspereffekt. Auch die eleganten Torten, mit Aprikosen oder Erdbeeren belegt, oder die Petits Fours waren schon in den 80er Jahren ein Muss auf dem Kaffeetisch, besonders wenn die kulinarisch sensiblen Freunde aus Italien kamen.
Über die Jahre hat sich das KaDeWe immer wieder neu erfunden, blieb aber auch während der Bauarbeiten eine Attraktion. Es entwickelten sich bei regelmäßigen Besuchern feste Rituale. Das jährliche Mittagessen am Kartoffelacker zum Beispiel, wenn die Mutter mit ihren Freundinnen aus Westfalen zu Besuch kam. Eigentlich gibt es inzwischen viel schickere Showküchen da oben, trotzdem hat sich der Kartoffelacker gehalten, und es wurde eher schwerer, einen Platz zu bekommen. Es gibt allerdings auch nirgendwo bessere Backkartoffeln.
Einer der vielen Renovierungen ist die Schokoladenabteilung im 6. Stock zu verdanken. Hier gab es immer eine schöne große Schokoladenskulptur, mit der man Eindruck schinden konnte, nicht nur bei den kleineren Gästen. Auch hier sind Italiener mit ihrer Lust am spielerisch Schönen gut aufgehoben. Und die Freundin aus Mexiko schwärmte noch lange von den Pralinenlandschaften.
Dagegen waren die Bekannten aus dem Münsterland am tiefsten beieindruckt von den vielen Sprachen, die in der Feinschmeckeretage durch die Gegend schwirrten, von den afrikanischen, südamerikanischen, asiatischen Gesichtern, die neugierig die vielen Brot- und Wurstsorten inspizierten. Bei Kindern, egal aus welchem Land, konnte man immer gut punkten in der Spielzeugabteilung. Wo gab es sonst schon so riesige Stofftiere zu besichtigen? Noch größer als die Eltern! Egal, ob sie aus Japan kommen oder aus Brasilien, dem überlebensgroße Riesenteddy fliegt jedes Kinderherz entgegen. Wenn es nicht zu ängstlich ist.
Besonders seitdem die gläsernen Fahrstühle aus dem Lichthof direkt in die sechste Etage fuhren, konnte man dort mit einem Paukenschlag anfangen und sich dann nach unten hin durcharbeiten.
Zum 100. hat das Haus allerdings kosmetisch noch mal richtig aufgerüstet, so dass man die Tour mit weiblichen Gästen auch gut unten in der Parfümerie beginnen lassen kann. Die war der Hit beim letzten Klassentreffen, zu dem Teilnehmerinnen aus allen Ecken des Landes nach Berlin kamen. Die große Vielfalt exotischer Parfüms und kultiger kleiner Kosmetik-Labels verlockt allerdings zum ausgiebigen Probieren. Da ist es schwer, im Zeitplan zu bleiben. Dann verliert man noch mal viel Zeit in der Damenabteilung, die immer interessante und ausgefallene Labels bietet und neuerdings die Jeunesse dorée verschiedener Kontinente anzieht. Ebenfalls seit neuestem ist die erweiterte Dessousabteilung eine Zeitfalle im durchgestylten Besichtigungsprogramm.
Da ging man früher schon mal dran vorbei und lieber gleich zu den luxuriösen Porzellan- Shops, die die USFreunde schnell zur Raserei brachten. Und die Stoffabteilung hat sich über die Jahre so viele glühende Fans erhalten, dass sie, kombiniert mit einer hippen Bastelabteilung, als „Idee“ überlebt hat unter dem ersten Parkhaus und besonders für hoffnungsvolle junge Nachwuchsdesignerinnen, zum Beispiel aus England oder Frankreich, eine eigene Show-Attraktion darstellt. Am besten schneidet man die KaDeWe-Tour individuell zu.
Es gibt auch Leute, die laden ihre Freunde aus München und Frankfurt gezielt zu den zweimal im Jahr stattfindenden Partys in der Feinschmeckeretage ein. Champagnerstimmung, tolle Tanzmusik und leckere Langusten, alles so viel man mag, serviert im Schlaraffenland, damit verschenkt man auch Erinnerungen an einen ausgelassenen Abend voller Lebensfreude, den man anderswo so nie erleben könnte.
Der neue Luxusboulevard im Erdgeschoss, der zum Teil an die Stelle des Wiener Cafés getreten ist, bietet vieles, was sich Freunde mit durchschnittlichen Einkommen nicht leisten können. Trotzdem ist er inzwischen unbedingt Teil des Programms. Schon weil er zum Träumen verlockt, was ja eher noch besser ist als Kaufen, wenn auch nicht aus der Sicht der Verkäufer. Und weil er ein Symbol ist, wie die Stadt sich gewandelt hat. Sie ist ja insgesamt auch luxuriöser und weltläufiger geworden.
Im Kalten Krieg, also zu Mauerzeiten, spielte dieses Schaufenster des Westens auch die Rolle einer verführerischen Sirene für die freiheitliche Art zu leben. Seitdem hat sich die Welt geändert und das KaDeWe mit ihr. Nun kommt es als globale Kultstätte für den Lustkonsum auf hohem Niveau daher. Viele wohlhabende Kunden kommen aus den ehemals konsumabstinenten roten Reichen, aus Russland und demnächst mehr und mehr wohl auch aus China.
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