Syrische Ärzte in Deutschland: Gemeinsam gegen Scheu, Scham und Stolz
Syrische Ärzte, die vor dem Krieg geflohen sind, müssen in ihrer neuen Heimat oft völlig neu anfangen. Ein Verein, in dem deutsche Mediziner ihren Kollegen helfen, bekam jetzt den Berliner Gesundheitspreis.
Wie oft überkommt uns ein Gefühl der Ohnmacht, wenn wir mit der Tageszeitung am Frühstückstisch sitzen und von den neuesten Grausamkeiten aus dem syrischen Bürgerkrieg erfahren! Als Rainer Katterbach vor drei Jahren im Tagesspiegel einen Bericht über ein syrisches Ärztepaar las, konnte er sich mit diesem Gefühl nicht abfinden. Es waren schließlich Berufskollegen von ihm, die hier voller Dankbarkeit darüber sprachen, dass sie in Zeiten des schrecklichen Bürgerkrieges Aufnahme in Deutschland gefunden hatten. Und die doch zugleich ratlos und traurig wirkten, weil sie keine Möglichkeit sahen, wieder in dem Beruf zu arbeiten, den sie erlernt hatten, den sie liebten und der ihrem Leben noch vor Kurzem Anerkennung, Sinn und Struktur verliehen hatte.
Es müsste doch möglich sein, Ärzten aus Syrien vor dem Hintergrund der eigenen beruflichen Erfahrung kollegial unter die Arme zu greifen, überlegte Katterbach. Der ehemalige Chefarzt an der Nervenklinik Spandau arbeitet heute als Psychoanalytiker in der eigenen Praxis. Und es wurde möglich: Das Mentoren-Projekt „Ärzte helfen Ärzten“ entstand Ende 2014. Dafür wurde nun der Berliner Verein Alkawakibi e.V. mit einem der beiden ersten Preise in der Kategorie „Berufliche Chancen“ des begehrten, alle zwei Jahre vergebenen Berliner Gesundheitspreises ausgezeichnet. Auch dem engagierten Vorsitzenden des Vereins, dem aus Syrien stammenden Zahnarzt Bassel Alsaeed und seinem Stellvertreter, dem ebenfalls aus Syrien stammenden Kinder- und Jugendpsychiater Basel Allozy, hatte die Idee nämlich von Anfang an gefallen. Der Verein, der sich nach dem aufgeklärten syrischen Gelehrten Abd ar-Rahman al-Kawakibi nennt und für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, hat der Patenschafts-Idee gern zu den unbedingt erforderlichen organisatorischen Strukturen verholfen.
Es geht nicht um materielle Unterstützung, sondern um Begleitung und Orientierung
Ihr Kern jedoch ist die menschliche Zweierbeziehung eines deutschen Mediziners zu einem geflüchteten syrischen Kollegen. Die rund fünfzig Ärztinnen und Ärzte, die in dem inzwischen entstandenen Netzwerk als Mentoren aktiv sind, haben bereits über 180 (meist männliche) Ärzte, Zahnärzte und Apotheker unter ihre Fittiche genommen. Mindestens zwölf syrische Ärzte haben inzwischen eine Berufserlaubnis bekommen. Einige dieser Mentees sind von Berlin weggezogen, weil sie anderswo in Deutschland eine passende Stelle gefunden haben. Rund 40 Mentoren- und Mentee-Paare treffen sich derzeit regelmäßig. „Es geht uns nicht um materielle Unterstützung oder die Vermittlung von Stellen, sondern um Begleitung und Orientierung“, betont Rainer Katterbach.
Sich im deutschen Gesundheitssystem zurechtzufinden, zu verstehen, welche Aufgaben Hausärzte haben, welche Spezialfragen Fachärzten vorbehalten bleiben, für welche Fälle Kliniken oder Reha-Einrichtungen zuständig sind, was es bedeutet, gesetzlich oder privat versichert zu sein, ist selbst für Menschen, die schon lange hier leben, schließlich einigermaßen kompliziert. Neuankömmlinge aus anderen Ländern müssen sich noch dazu um die ärztliche Approbation bemühen. Sie müssen sich zu diesem Zweck auf eine spezielle Prüfung in medizinischer Fachsprache vorbereiten, die in der Ärztekammer abgenommen wird. „Im Schnitt gehen zwei Jahre ins Land, bis ein Kollege, der in Syrien schon als Arzt gearbeitet hat, alle Voraussetzungen für die ärztliche Approbation erfüllt“, erzählt die Berliner Ärztin Susanne Amberger, die im Projekt „Ärzte helfen Ärzten“ als Mentorin mitwirkt.
Ohne Beharrlichkeit geht es also nicht. Mediziner, die in ihrem Heimatland längst anerkannte Fachleute auf ihrem Gebiet waren, zur gebildeten Oberschicht gehörten und nun erneut die Schulbank drücken müssen, fühlen sich bisweilen entmutigt. Allein die Zeit, die es braucht, die Alltagssprache zu beherrschen, in der sie als Ärzte später mit ihren Patienten kommunizieren werden! „Das ist der erste Flaschenhals“, sagt Katterbach. Die Unterstützung, die die Mentoren bieten, muss deshalb auch moralisch sein. Der Psychoanalytiker berichtet andererseits aber auch von Scheu, Scham und auch Stolz, die es Ärzten, die nach Deutschland geflüchtet sind, oft erschweren, die angebotene Hilfe anzunehmen. Die Mentoren müssten lernen, mit dieser Zurückhaltung umzugehen.
Was dabei hilft, sind zwanglose persönliche Kontakt- und Gesprächsanlässe: So laden die Mentoren zu Ausflügen ebenso ein wie zum gemeinsamen Besuch von ärztlichen Fortbildungen oder zu Besprechungen von konkreten Patienten-Fällen in den Praxisräumen einer Mentorin. Dazu kommen Sprachworkshops und Rollenspiele, mit denen die Arzt-Patienten-Kommunikation geübt werden kann. Bei den Zweiertreffen wird später natürlich auch für die Bewerbungsgespräche trainiert.
Wege aus der Isolation
Die zentrale Informationsplattform auf der Internetseite des Vereins, nicht zuletzt aber die WhatsApp-Gruppen, die inzwischen für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker eingerichtet wurden, ebnen behutsam Wege aus der Isolation. Ganz wichtig ist zudem eine größere Versammlung, die alle vier bis sechs Wochen in den Räumen des Berliner Beratungszentrums für junge Flüchtlinge und Migranten in der Turmstraße in Moabit stattfindet. Bei diesen Gelegenheiten treffen sich oft über fünfzig deutsche und syrische Ärzte. „Für manche syrischen Kollegen ist es die einzige Möglichkeit, sich mit deutschen Ärzten zu unterhalten“, hat Mentorin Amberger festgestellt. Inzwischen sind auch Ärzte aus anderen arabischen Ländern hinzugekommen. Neuerdings findet alle drei Monate ein Treffen in einem größeren Raum statt, den die Ärztekammer Berlin in ihrem Gebäude in der Friedrichstraße zur Verfügung stellt. Die 10 000 Euro Preisgeld sollen helfen, das Projekt weiter auszubauen.
Einen ihrer ehemaligen Schützlinge hat Susanne Amberger vor ein paar Wochen bei einer ärztlichen Fortbildungsveranstaltung getroffen. Der junge Arzt aus Syrien, mit dem sie für die Prüfung in medizinischer Fachsprache geübt hatte, arbeitet inzwischen als Krankenhausarzt in einem anderen Bundesland. „Er machte einen zufriedenen und glücklichen Eindruck“, berichtet die Ärztin. „Aber er hat ein wenig Sehnsucht nach Berlin.“ Es ist die Stadt, in der er entscheidende Hürden nehmen konnte.
Mehr Informationen: www.alkawakibi.org. Kontakt unter: medforum@alkawakibi.org, Tel. 030-25900630