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Vor einem Jahr hatte der bundesweite Protest begonnen. Die Forderung: das Asylrecht ändern.
© dpa

Flüchtlingscamp am Oranienplatz: Gekommen, um zu bleiben

Ein geändertes Asylrecht ist nicht in Sicht – also zelten die Flüchtlinge weiter am Oranienplatz. Sie fordern: Keine Abschiebungen mehr und keine Residenzpflicht. Bürger und Bürgermeister sind dafür und lassen die Flüchtlinge gewähren. Doch es regt sich Widerstand.

Freunde haben sie massenweise. Die Flüchtlinge vom Kreuzberger Oranienplatz führten am Sonnabend vor, dass weit mehr als tausend Menschen ihren Protest gegen die deutsche Asylpolitik unterstützen. Zur „Refugees’ Revolution Demo“ fand sich das übliche Kreuzberger Publikum ein: linke Kritiker der Residenzpflicht, ausgestattet mit Fahnen mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“, dazu Anarchos und Punks samt Mittags-Unterwegsbier, ein paar ältere Leute. Polizisten kontrollierten den einen oder die andere auf dem Weg zum Reichstag, die sich dem Protest anschließen wollten.

Eine junge Frau wurde freundlich, aber entschieden zum Öffnen ihres Geigenkastens aufgefordert. Darin befand sich eine Geige. Reggae schwappte aus den Lautsprechern, man tanzte im Schneematsch gegen „das Scheißsystem“ an, die Bewohner des Camps bekamen vermittelt, dass sie in Kreuzberg willkommen sind.

Eine Reihe großer Zelte steht seit Anfang Oktober auf dem Platz. Franz Schulz, der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, hat den Flüchtlingen das Campieren auf dem Oranienplatz erlaubt – und ihnen auch noch die Gerhart-Hauptmann-Schule in der Reichenberger Straße zur Verfügung gestellt. Auf dem Platz gibt es einen „Info-Point“, ein Zelt, in dem allerlei Forderungen der Flüchtlinge zu lesen sind.

In den Zelten, die mit Gasöfen beheizt werden, halten sich Tag und Nacht ein paar Dutzend Leute auf, Frauen und Männer aus Afrika und dem Mittleren Osten, die eine Änderung des Asylrechts erzwingen wollen. Mit dem „Marsch der Würde“ sind sie im Herbst nach Berlin gekommen und haben mit dem Aufbau der Zelte ihre Protestaktion zur Dauereinrichtung gemacht. Jeder Asylsuchende soll als politischer Flüchtling anerkannt werden und selbst bestimmen können, wo er wohnen will. Abschiebungen soll es nicht mehr geben.

Wie es aussieht, wollen – und können – sie bleiben. Sach- und Lebensmittelgaben der Bevölkerung gibt es offenbar zur Genüge, am gestrigen Sonnabend stand ein Mann am Kottbusser Tor und sammelte Spenden. Vor der Gerhart-Hauptmann- Schule, die Bürgermeister Schulz den Flüchtlingen als Schutz vor der Winterkälte bis zum Frühjahr überlassen hat, stapeln sich inzwischen die Müllsäcke mit alten Anziehsachen.

Wie es dort weitergeht und ob aus dem Kälteschutzraum ein Besetzerproblem für Schulz wird, dürfte sich in ein paar Wochen zeigen. Noch hält die Winterkälte dem großherzigen Bürgermeister den Rücken frei. Doch Ende März will er mit dem öffentlichen Auswahlverfahren zum „Projektehaus“ Gerhart-Hauptmann-Schule beginnen. Dort sollen nämlich in Absprache mit den Bewohnern des Kiezes Mieter einziehen.

Mehr als 40 Interessenten gibt es, von der Sprachenschule über einen alevitischen Kulturverein bis zu einer Jugendhilfe-GmbH – und auch das Flüchtlingscamp hat sich auf die Liste der Bewerber setzen lassen. Sollten sich die Kiezbewohner gegen die Flüchtlinge und deren Pläne entscheiden, könnte Schulz ein Problem bekommen, das an den Ärger mit den Bethanien-Besetzern erinnert.

Aber so weit ist es noch nicht, und die gesamte in Berlin versammelte Politik scheint froh darüber zu sein. Nur einer will sich mit den Flüchtlingen anlegen – oder eher mit Bürgermeister Schulz: der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner, zugleich Kreischef von Friedrichshain- Kreuzberg. Wansner glaubt, dass ein paar linke Radikale die Flüchtlinge sozusagen politisch missbrauchen – und er grämt sich über den Zustand des Oranienplatzes. Zumindest dessen südliche Hälfte stehe den Menschen aus dem Kiez nicht mehr zur Erholung zur Verfügung, schimpft Wansner – wenn es wärmer wird, werde man das spüren. Außerdem hätten sich Anwohner bei ihm beschwert, weil um das Camp herum Müll lagere. „Nach Ostern“ will der CDU- Mann sich der Sache annehmen.

Richtig laut und heftig schimpft allerdings keiner aus der CDU. Dass die Bewohner des Camps wahrscheinlich gegen Meldevorschriften und gewiss gegen die „Residenzpflicht“ verstoßen, bringt Wansner so wenig in Wallung wie Innensenator Frank Henkel. Zumal man in Berlin gar nicht zuständig sei, selbst wenn man es wollte, heißt es: Da müssten schon die Behörden aus Süddeutschland, woher die Flüchtlinge gekommen sind, um Amtshilfe wegen der Verstöße gegen die Residenzpflicht bitten.

Und wenn der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg den Flüchtlingen den Platz überlasse, habe der Innensenator keinen Grund, sich dort einzumischen, heißt es in der Innenverwaltung. Die Flüchtlinge jedenfalls machen keinerlei Ärger – das bestätigt auch Wansner.

Mit der weitgehenden politischen Nichtzuständigkeit kann gerade die Berliner Politik gut leben. Eine „große Lösung“ des Problems sei derzeit nicht zu bekommen, sagt Benedikt Lux, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen- Fraktion im Abgeordnetenhaus. Diese Lösung würde in einer Änderung und Liberalisierung des Asylrechts bestehen. Dafür gibt es jedoch im Bundestag keine Mehrheit.

So werden die Campbewohner wohl noch eine Weile Ruhe haben – mindestens bis zur Bundestagswahl im September.

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