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Der Gedenkstein für die Synagoge in Berlin-Hohenschönhausen ist geschändet worden.
© Andrea Nakoinz / twitter.com/ANakoinz
Update

Antisemitismus in Berlin: Geisel nimmt Stellung zu Ausschreitungen bei Demos – Farbanschlag auf Gedenktafel

Ausschreitungen und antisemitische Parolen bei pro-palästinensischen Demos beschäftigen die Politik. Innensenator Geisel ruft zu Teilnahme an Soli-Demo auf.

In der Nacht zu Montag ist in Berlin-Hohenschönhausen eine jüdische Gedenkstätte geschändet worden, sie wurde mit grüner Farbe überschüttet. Das sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Geisel korrigierte seine erste Aussage, wonach sich die Gedenkstätte in Friedrichshain befinde.

Die Gedenktafel in der Konrad-Wolf-Straße gegenüber vom Sportforum erinnert an eine Synagoge der Jüdischen Gemeinschaft, die von 1935 bis 1938 dort stand. Der Gebetssaal hatte sich im ersten Geschoss eines längst nicht mehr existierenden Werkstattgebäudes befunden. Der Gedenkstein war im April 2000 enthüllt worden. Eine Spaziergängerin bemerkte die Beschädigung am Montagmorgen um 5.30 Uhr und alarmierte die Polizei. Der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz beim Landeskriminalamt (LKA) hat das Verfahren übernommen, ermittelt wird nun wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung.

Bereits am Sonntag soll eine Studierende von einem Mann beim Aussteigen aus der U-Bahn am Bahnhof Lichtenberg antisemitisch beleidigt worden sein. Die Frau berichtet auf Twitter, ein Mann habe „Juden hier raus“ zu ihr gesagt. Sie trägt eine Kette mit einem Davidstern, die dem Mann offenbar aufgefallen war. Sie habe perplex „bitte?!“ gefragt, woraufhin der Mann nur gelacht habe. Auf dem Weg von der Bahn zur Wohnung sei sie dann an einem Hakenkreuz vorbeigelaufen. „Das ist Realität und Alltag für Jüdinnen und Juden in Deutschland“, schreibt die Frau auf Twitter weiter. „Ich fühle mich aktuell nicht mehr sicher in Berlin. In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin.“ Schon zur Schulzeit habe sie immer wieder antisemitische Witze hören müssen.

Angesichts der Bedrohungslage infolge des eskalierten Nahostkonflikts sollen die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Gebäude in Berlin laut Innensenator Geisel noch einmal überprüft und angepasst werden. Es handele sich um Synagogen, Gedenkstätten, Gebäude der jüdischen Gemeinde und Kindertagesstätten. 24 jüdische Einrichtungen werden durch Polizeikräfte „stationär“ bewacht. Daneben werden 61 weitere Einrichtungen durch zusätzliche Streifen im Blick behalten. Seit Donnerstag werden 85 jüdische Objekte verstärkt geschützt, sagte Geisel. Zu den Ausschreitungen und antisemitischen Parolen bei den pro-palästinensischen Demonstrationen sagte der Innensenator: „Wer das Versammlungsrecht missbraucht, muss mit konsequenter Strafverfolgung rechnen.“ Geisel lobte den Vorschlag von Israels Botschafter Jeremy Issacharoff, dass Juden und Muslime in Deutschland ins Gespräch kommen sollten.

Der „Runde Tisch“ gegen Antisemitismus solle bereits am Dienstagabend tagen. Das Gremium rede nicht nur, sondern sei in der Lage zu handeln. In der Vergangenheit sei es dem Runden Tisch gelungen, Auftritte antisemitischer Rapper, Unterstützer von terroristischen Organisationen oder die Einreise „terroristischer Propagandisten“ zu verhindern. An dem Tisch, der 2019 zur Beratung über Sicherheits- und Präventionsfragen geschaffen wurde, sollen neben der Jüdischen Gemeinde und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft auch die Sicherheitsbehörden teilnehmen.

Tonaufnahmen von antisemitischen Parolen

Geisel rief dazu auf, am Donnerstagabend am Brandenburger Tor an der Solidaritäts-Demonstration für Israel teilzunehmen. Die Berlinerinnen und Berliner sollten gegen Antisemitismus auf die Straße gehen und „zeigen, wer die Mehrheit hat“. Angemeldet ist die Demonstration von 18.30 Uhr bis 22 Uhr auf dem Pariser Platz. Das Motto lautet "Solidarität mit Israel - gegen jeden Antisemitismus."

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
© imago images/Karina Hessland

Es sind aber auch weitere pro-palästinensische Demonstrationen angemeldet worden, sagte Geisel. So seien Versammlungen für Mittwoch und Sonnabend geplant. Im Laufe der Woche kämen sicherlich weitere Anmeldungen hinzu, sagte der Innensenator. Ein Verbot derartiger Demonstrationen sei kaum möglich, sagte Geisel. „Wir müssen auch Versammlungen dulden, die uns in ihrer Ausrichtung nicht gefallen.“ Kritik an Israel sei auf Berlins Straßen möglich. „Was nicht geht, ist Antisemitismus.“ Palästinensische Demonstrationen seien aber keineswegs gleichzeitig verfassungsfeindlich.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärte, dass bei den pro-palästinensischen Demonstrationen am Wochenende die antisemitischen und antiisraelischen Parolen per Tonaufnahme dokumentiert worden seien. Diese würden nun ausgewertet und wegen der besonderen Brisanz der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vorgelegt.

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„In Zweifel gehen wir vom Anfangsverdacht aus und leiten Strafverfahren ein.“ Oft bewegten sich die Parolen aber auf einem „schmalen Grat“ zwischen Strafbarkeit und freier Meinungsäußerung. Auch wenn es für viele eine Zumutung sei, seien nicht alle Parolen strafbar, sagte Slowik. Die Polizei habe bei der Demonstration Dolmetscher dabei gehabt, um arabische Parolen und Transparente zu überprüfen. Alle Durchsagen seien in deutsch und arabisch erfolgt.

Teils radikal-islamistische Demonstranten hatten „Free Palestine“ und auch „Kindermörder Israel“ und „Frauenmörder Israel“ skandiert, teils wurde Israels Vorgehen gegen die Terrororganisation Hamas mit der Shoah gleichgesetzt. Unter den Teilnehmern der Demonstration sollen nach Angaben des „Jüdischen Forums“ auch Anhänger der Hamas, der Muslimbruderschaft und der türkischen rechtsextremistischen Grauen Wölfe gewesen sein.

Attacken auf Beamte gingen nicht von organisierten Palästinensergruppen aus

Die Gewalt und die Attacken auf Polizeibeamte bei den Demonstrationen seien nicht von organisierten Palästinensergruppen ausgegangen, sagten Geisel und Slowik. Die Gewaltausbrüche seien von einer Gruppe von 300 bis 400 jungen, arabischstämmigen und "erlebnisorientierten" Männern gekommen. Die Polizei habe 750 gewaltbereite Personen unter den Teilnehmern der Demonstration festgestellt, hieß es. Die gewaltsamen Teilnehmer hätten sich nach Erkenntnissen der Polizei nicht zuvor organisiert. Slowik wies darauf hin, dass neben den gewaltbereiten Demonstranten auch zahlreiche Schaulustige und sogar Familien mit Kindern unterwegs waren.

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Geisel zeigte sich nach den Ausschreitungen bei den pro-palästinensischen Demonstrationen entsetzt über israelfeindliche und antisemitische Parolen. „Antisemitismus hat auf unseren Straßen nichts zu suchen. Ich gehe davon aus, dass der Rechtsstaat jetzt auch Zähne zeigt“, sagte der Senator am Montag bei "Radio Eins".

„Wir können ja nicht nur darüber reden, sondern wir müssen jetzt auch deutlich machen, dass wir das ernst meinen“, erklärte der Innensenator weiter. „Wer hier auf Dauer leben möchte, der muss sich zu Freiheit und Demokratie bekennen und da gehört der Kampf gegen Antisemitismus ganz genauso dazu.“ Das müsse jetzt deutlich gezeigt werden. Es sei aber vor allem auch Überzeugungsarbeit. „Es muss sich auch in den Köpfen etwas verändern“, sagte der Senator.

Geisel: Antisemitische Hetze „völlig inakzeptabel“

Die vom Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit habe dort Grenzen, wo sie durch Gewalt und Hetze mit Füßen getreten und zu Straftaten aufgerufen werde, sagte Geisel. Antisemitische Hetze sei in Berlin „völlig inakzeptabel“.

Am Samstag war es bei einer Demonstration von rund 3500 Menschen in Berlin-Neukölln zu Ausschreitungen gekommen, nachdem die Polizei die Versammlung wegen Verstößen gegen die Corona-Hygieneregeln für aufgelöst erklärt hatte. Demonstranten warfen Steine und Flaschen auf die Polizei, die Beamten setzten Pfefferspray an. Bei den Ausschreitungen sind 93 Polizisten verletzt worden. Insgesamt 65 Menschen sind laut Polizei unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie Gefangenenbefreiung festgenommen worden.

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