Pflegenot in der Charité: Gefährdet der Personalmangel die Behandlung krebskranker Kinder?
Die Charité konnte mangels Fachkräften mehrere Kinder nicht aufnehmen. Nun wird ein neuer Fall bekannt. Der Staatssekretär beklagt ein „ernsthaftes Problem“.
Personalmangel, ein umstrittener Todesfall und der politisch gewollte Anspruch, zur medizinischen Weltspitze zu gehören – an der Charité herrscht in diesen Tagen wieder Unruhe. Nachdem im Dezember krebskranke Kinder auf der zuständigen Station am Virchow-Campus zwar diagnostiziert, aber wegen fehlender Pflegekräfte nicht stationär versorgt werden konnten, kämpft die Charité mit ihrem Image.
ARD berichtet über Tod eines krebskranken Kindes
„Das deutsche Gesundheitssystem hat ein ernsthaftes Problem“, sagte Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) dem Tagesspiegel. Krachs Verwaltung ist für die landeseigene Universitätsklinik zuständig. „Auch die beste Hochschulklinik Deutschlands ist nicht gegen den bundesweit herrschenden Personalmangel immun.“
Nach Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“ hatte die Unterbesetzung konkrete Folgen. Demnach ist ein an Leukämie erkranktes Kleinkind vergangenes Jahr nicht auf der Kinderonkologie-Station aufgenommen wurden; es fehlte dafür Personal. Das Kind wurde, wie in solchen Fällen üblich, in einer anderen Klinik untergebracht. Dieses Haus verfügte jedoch nicht über eine eigene Kinder-Krebsstation. In dieser Klinik habe sich "Kontraste" zufolge der kritische Zustand des Kindes verschlechtert.
„Am nächsten Tag konnte das Kind dann zu uns verlegt werden, aber es verstarb leider rasch. Das hat uns alle sehr mitgenommen“, zitiert die ARD einen Charité-Arzt anonym. "Man kann es nie wissen, aber vielleicht wäre das Kind noch am Leben, wenn wir es rechtzeitig hätten übernehmen können." Die Charité äußerte sich wegen der ärztlichen Schweigepflicht nicht zu dem Fall.
Obwohl derzeit insgesamt 4500 Pflegekräfte an den vier Charité-Standorten arbeiten, werden mindestens 100 weitere gebraucht, um Standards einzuhalten, die sich aus Bundesvorgaben und dem Haustarifvertrag ergeben.
Immer wieder hatten auch andere Berliner Kliniken über fehlende Investitionen geklagt, marode Gebäude und alte Technik seien die Folge – und Geld, das für Personal vorgesehen sei, müsse abgezweigt werden. Der Senat investiere Hunderte Millionen Euro in die Infrastruktur, sagte Staatssekretär Krach. Seit Jahresanfang werde zudem mit den ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken ein gemeinsamer Ausbildungscampus für Gesundheitsberufe betrieben.
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Demnächst soll dazu in Spandau eine Schule errichtet werden, an der es bis zu 3000 Ausbildungsplätze geben soll. Der Senat möchte Berlin zu einer führenden Medizinmetropole ausbauen, die Charité soll dabei Nukleus sein.
Charité: Fast 800 Kinder konnten 2019 nicht stationär aufgenommen werden
Pädiatrie-Fachkräfte, also Pflegende für Kinderstationen, sind noch seltener als Pflegepersonal generell. Die Kindernotfallversorgung am Virchow-Campus in Wedding konnte 2019 mehr als 800 Kinder nicht stationär aufnehmen. Diese Patienten mussten in andere Kliniken verlegt werden, obwohl – so die Einschätzung unter Ärzten – die dortige Ausstattung nicht dem Charité-Standard entsprochen haben soll. Allerdings wurden in der Virchow-Pädiatrie 2019 auch fast 90.000 Fälle versorgt.
Die abgewiesenen Patienten erhielten meist ein Bett in einer Berliner Klinik, rund 100 Kinder aber fuhren zur Behandlung nach Brandenburg. Im Dezember hatte die Universitätsklinik ihr Kinderkrebszentrum auf dem Weddinger Virchow-Campus für neue Patienten über Tage ganz geschlossen: In der Kinderonkologie waren zehn von 50 Stellen unbesetzt.
Man sei mit der Charité im intensiven Austausch, sagte Staatssekretär Krach, damit „drastische Situationen wie ein Aufnahmestopp in der Kinderonkologie nicht mehr vorkommen“. Berlin könne das bundesweite Pflegeproblem aber nicht allein lösen.
Vor einigen Wochen sprachen Ärzte, Klinikmanager und Lokalpolitiker bundesweit von einer nur unzureichend ausgestatteten Kindermedizin. Oft wurde dabei auch das System der Fallpauschalen kritisiert. Die zuständigen Krankenkassen vergüten Behandlungen seit 2004, indem sie sich an fixen Kostenplänen nach Durchschnittswerten orientieren.
Am Donnerstag traten zudem Beschäftigte der Charité-Tochter CFM in einen Warnstreik. Die Mitarbeiter der CFM sind für Boten-, Wach- und Reinigungsdienste zuständig. Die Gewerkschaft Verdi fordert, ihre Arbeitsbedingungen an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst anzupassen.