Licht aus, Hitler an: Gedenkstätten sind keine Erlebnisparks!
Viele Berlin-Besucher wollen nicht aus den Verbrechen der Nazis lernen, sondern sie bloß abchecken. Gedenkstättenbesuche dürfen aber nicht zu reinen Touristen-Events verkommen. Ein Kommentar.
Punkt, Punkt, Bart und Strich. Fertig ist das Diktatorgesicht. Die Führerin demonstriert, wie phosphoreszierende Wandfarbe funktioniert. Mit dem Schein der Taschenlampe zeichnet sie. Licht aus, Hitler an – Gelächter schallt zurück von den Stahlbetonwänden des ehemaligen Luftschutzbunkers im U-Bahnhof Gesundbrunnen.
Die Tour des Vereins „Berliner Unterwelten“ bietet bestes Amüsement. Zwanzig Meter unter der Erde pflegt man einen entspannten Umgang mit der Geschichte. Zwischen Vitrinen mit Nazidevotionalien erfahren die Besucher viel über das Leiden der deutschen Zivilbevölkerung im Bombenkrieg, schließlich seien „die Nazis nicht die einzigen Kriminellen“ gewesen. Am Ende des Rundgangs resümiert die Führerin: „Krieg ist traurig.“ Aber offensichtlich auch sehr unterhaltsam.
Schon 1921 kritisierte Karl Kraus das blühende Touristikgeschäft rund um die Schlachtfelder von Verdun in seiner Polemik „Reklamefahrt zur Hölle“. Die Menschheit habe sich nach dem „Zusammenbruch ihrer Kulturlüge“ im Umgang mit der Geschichte selbst entblößt. Ihre geistige Haltung sei gerade noch „gut genug zur Hebung des Fremdenverkehrs, aber niemals ausreichend zur Hebung des sittlichen Niveaus“.
"Spüren Sie die Anwesenheit unzähliger Seelen"
Bloß gut, dass Karl Kraus das Buch „The Best Things in Life are Free“ nicht kannte, das der Reiseverlag Lonely Planet veröffentlicht hat. Laut Klappentext ist es „vollgepackt mit Geld sparenden Tipps, Empfehlungen für Sehenswürdigkeiten und Erfahrungen mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis rund um die Welt“. Sechs Seiten darin sind Berlin gewidmet. Neben der East Side Gallery ist unter „Kunst & Kultur“ auch das Holocaust-Mahnmal aufgeführt. Dem gemeinen Backpacker wird das Stelenfeld als okkultistischer Ort angepriesen: „Spüren Sie die Anwesenheit von ungezählten Seelen, wenn Sie sich durch das Labyrinth schlängeln.“ Wem dafür der sechste Sinn fehlt, dem erkläre „ein unterirdisches Informationszentrum den herzzerreißenden Kontext“. Die Schoah als sinnlich erfahrbares Trauerspiel.
Passt doch. Berlin ist laut Reiseführer schließlich „eine Genießer-Schlemmerei auf dem Buffet des Lebens, wo Dinge nicht zu ernst genommen werden“. Wie dabei aus der Botschaft „Nie wieder Auschwitz“ ein „Nie wieder Geld bezahlen“ wird, lässt sich an der Gedenkstätte Sachsenhausen („eines der berüchtigtsten Konzentrationslager auf deutschem Grund“) nachvollziehen. Auch dieser Ort, an dem zehntausende Menschen ermordet wurden, gehört laut Lonely Planet zum „erstaunlich erschwinglichen Paket“, das Berlin bietet, und wird gleich über der Street Art in Kreuzberg beworben.
Besucher vermissen "authentische KZ-Atmosphäre"
Zurück aus Oranienburg kann man dann seinen Tag in der Topografie des Terrors, der Dokumentationsstätte für NS-Verbrechen, ausklingen lassen. Den geneigten Lonely-Planet-Leser erwartet echte Abendunterhaltung: „Hitler, Himmler, Göring, Goebbels – die bloße Erwähnung der Verhasstesten von Nazi-Deutschland schickt Schauder die Wirbelsäule herunter.“ Für so viel Horror zum Nulltarif verleiht der Reiseführer das Prädikat „morbide-faszinierend“.
Die weltweit größte Internetplattform für Touristik, Tripadvisor, zeichnete die Berliner NS-Gedenkstätten jüngst als „Travellers’ Choice 2017 Gewinner“ aus. Ob die Plakette wohl demnächst in Sachsenhausen am Eingangstor neben dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ die Touristen anlockt? Schließlich beklagen sich manche in der Tripadvisor-Online-Community schon, dass keine „authentische KZ-Atmosphäre“ herrsche.
Gedenkstättenbesuche sind wichtig, freier Eintritt auch. Wenn aber Orte des Innehaltens zum Erlebnispark werden, verdrängt der Eventtourismus die Lehren der Geschichte zugunsten einer Lust am profanen Schrecken, gepaart mit ahistorischer Gleichgültigkeit. Bald werden die letzten Zeitzeugen der NS-Verbrechen sterben, dann liegt es an der Nachwelt, ob sie aus der Geschichte lernen oder sie bloß abchecken will. AfD-Politiker Björn Höcke fordert eine „erinnerungspolitische Wende“. Gerne, her damit! Aber natürlich nicht in dem Sinne, wie Höcke sie sich wünscht. Sondern in Richtung Demut und Wachsamkeit.
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