Berliner SPD nach der Europawahl: Führungslos, ratlos, freudlos
14 Prozent bei der Europawahl, ein Desaster für die SPD. Doch der Aufschrei und der Wille, die Partei umzukrempeln bleibt erneut aus. Ein Kommentar.
Das einzige, worüber sich die Hauptstadt-SPD nach der Europawahl freuen kann: Ihre Kandidatin Gaby Bischoff, eine routinierte und Brüssel-erfahrene Gewerkschafterin, hat ein Mandat erobert. Aber vielleicht ist das auch ein Teil des Problems. Anstatt die junge, höchst erfrischende und ziemlich links verortete Juso-Landeschefin Annika Klose für das EU-Parlament zu nominieren, wandelten die Genossen lieber auf ausgetretenen Pfaden. Und erreichten so nichts.
Es ist der Berliner Partei sogar gelungen, mit 14 Prozent noch unter dem Bundesergebnis zu bleiben. Das ist erschütternd, führte am Wahlabend aber nicht zu einem verzweifelten Aufschrei, gepaart mit dem unbedingten Willen, alles von unten nach oben zu krempeln.
Geliefert wurde stattdessen nur Routine: Ein Alarmsignal, gab der SPD-Landeschef Michael Müller lustlos zum Besten. Andere Sozialdemokraten grübeln darüber nach, ob man sich jetzt nicht vielleicht doch dem Umwelt- und Klimaschutz zuwenden müsste.
Die Genossen laufen ohne eine überzeugende Agenda dem Mainstream hinter
Das klingt nicht verkehrt, kommt aber 30 Jahre zu spät und zeigt außerdem, wo das Grundübel der SPD-Politik liegt, sowohl im Bund wie auch in Berlin. Die Genossen laufen ohne eigene überzeugende Agenda dem jeweiligen Mainstream hinterher. Es fehlt die Linie, eine Strategie.
Und es fehlt Führungspersonal, das einen originären Politikansatz überzeugend vertreten könnte. Es fehlt der Schwung und die Freude, neu zu gestalten.
Der SPD sind auch in Berlin die jungen Menschen abhanden gekommen und große Teile der liberal-bürgerlichen Mitte. Ein schleichender Erosionsprozess setzt sich unaufhaltsam fort. Die über Jahrzehnte führende Regierungspartei Berlins hat das Vertrauen der Wähler in einem Maße verloren, dass den Sozialdemokraten momentan jede Perspektive raubt.
Auch in der rot-rot-grünen Koalition hat die SPD nur noch pro forma den Führungsanspruch, auf dem der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef aber immer noch beharrt. Quasi per Autosuggestion.
Einige Genossen wünschen sich das Ende der Koalition
In zwei Jahren wählen die Berliner das Abgeordnetenhaus neu. Wenn nicht eine sozialdemokratisch gesinnte, höhere Macht noch persönlich eingreift, wird der Berliner SPD im Herbst 2021 das passieren, was die Bremer Genossen an diesem Sonntag erleiden musste. Vom Ergebnis her könnte es sogar noch viel schlimmer kommen.
Im besten Fall wird die Landes-SPD dann Juniorpartnerin in einem grün geführten Bündnis. Oder vielleicht doch - Opposition? Es gibt Genossen, denen diese Vorstellung schon jetzt innere Erleichterung verschafft. Und vielen Berlinern auch.