Südwestkirchhof in Stahnsdorf: Friedhofsverwalter wehren sich gegen Kupferdiebe
Er geht Patrouille, wenn es dunkel ist: Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeldt geht regelmäßig über den Stahnsdorfer Südwestkirchhof. Dass die Kupferdächer der Grabmäler nicht sicher vor Dieben sind, wurmt ihn. „Die schänden wirklich die schönsten Anlagen“, sagt er.
Heller Mondschein zwischen Kiefernwipfeln, Wolkenfetzen im Wind, und dann ist ein Waldkauz zu hören in der vollkommenen Stille auf dem Südwestfriedhof Stahnsdorf. „Hören Sie den?“, fragt Olaf Ihlefeldt – und muss selbst lachen. Einen Moment lang wirkt dieser monumentale, geschichtsbeladene alte Friedhof wie eine banale Horrorfilmkulisse.
Angst habe er nicht bei seinen nächtlichen Patrouillen über den Südwestkirchhof, sagt Friedhofsverwalter Ihlefeldt dann. Bislang ist bei Ihlefeldts nächtlichen Gängen, die Metalldiebe und Grabdenkmal-Zerstörer abhalten sollen, noch immer alles gut gegangen. Nicht weit vom Eingang entfernt befindet sich eines der wichtigen Ziele des Kontrollgangs, die Figur eines Trauernden in hockender Stellung, entworfen von dem Bildhauer Kurt Kroner, gefertigt aus Kupfer, Monument aus einer Zeit, in der die Begräbniskultur aufwendiger war als heute.
Die Kupferdächer bringen ein paar tausend Euro
Davon erzählt der Südwestkirchhof auf vielen seiner zweihundert Hektar Fläche. Reihenweise ziehen sich die Mausoleen und Erbbegräbnisse an einer Längsseite des Friedhofs hin, drei oder vier Meter hohe Häuser für die Toten, die bezeugten, was diese im Leben erreicht hatten. Goldene Inschriften, Trauernde aus Stein, dunkle, fast schwarze Engelsfiguren aus Metall erinnern an eine Zeit, in der Trauer in Bildhauerei übersetzt und auf Grabmale gestellt wurde. Bloß die Dächer mancher Mausoleen passen nicht mehr zu dem Wunsch, diese letzten Häuser der bürgerlichen Toten für viele Generationen bewohnbar zu machen. Die Dächer sind improvisiert, weil Buntmetalldiebe schon viele der originalen, viele Quadratmeter großen Kupferbleche gestohlen haben. Ein paar tausend Euro brächten solche Kupferdächer, vermutet Olaf Ihlefeldt, der Schaden für den Friedhof aber gehe in die Hunderttausende. „Die schänden wirklich die schönsten Anlagen“, sagt Ihlefeldt, der sonst ein sehr freundlicher Mann ist, wütend. „Das wurmt mich persönlich.“ Ein Mausoleum ohne Dach verrottet, wenn die Wände feucht geworden sind. Also versucht er mit seinen Mitarbeitern, den Verfall aufzuhalten, ein Dach wird improvisiert.
Die nächtlichen Kontrollgänge unternimmt Ihlefeldt allerdings allein. Als er vor Jahren damit angefangen habe, sei er doch ab und zu erschrocken, sagt er. Es gebe Grabmale, die tagsüber nicht besonders auffallen, nachts aber wirkten, als lauere dort jemand.
Längst hat Ihlefeldt wohl jedes Grab auf der Südwestfriedhof gesehen, jede schöne Trauernde, jeden Engel, jeden steinernen Jüngling, jedes Schwert. Doch so unterschiedlich die Konfessionen, so verschlungen sind die Wege über den Friedhof, der eben auch ein Gartendenkmal ist. Hohe Kiefern stehen neben Grünflächen, auf denen die Steine längst abgelaufener Gräber Winterstürmen nicht widerstanden haben und umgefallen sind. Man liest die Namen von Oberbrandmeistern und Künstlern und Politikern, man sieht Steine, die die Zeit gegen Bäume gekippt hat. Inschriften erinnern an einen „Ref. in der Kanzlei des Führers“, der mit gerade dreißig Jahren 1940 gestorben ist. „Hier ruht in Frieden mein über alles geliebtes Mütterchen“, so hat ein großer Sohn in den Stein schreiben lassen. „Du warst die Sonne meines Lebens, die nun nicht mehr für mich scheint“.
Bürgermeister, Kammersänger, Wirkliche Geheime Räte, ein Buchdruckereibesitzer und eine Frau, von der es nur heißt: „Sie hat gelitten“ – für das, was an all diese Menschen erinnert, ist Olaf Ihlefeldt nicht bloß zuständig, er fühlt sich dafür verantwortlich. Als gelernter Gärtner sei er in den achtziger Jahren auf den Südwestfriedhof gekommen. Und gleich beim ersten Besuch sei „etwas übergesprungen“. Was viele verstehen werden, die nach dem Fall der Mauer den Südwestkirchhof mit seinen kurvenreichen Wegen aus Moos und schlichter Erde entdeckt haben.
Mit der Taschenlampe sieht Ihlefeldt einem weiteren Engel kurz ins Antlitz, ein weiteres Mal kann er aufatmen, ein weiteres Grabdenkmal ist noch intakt. Regelmäßig unregelmäßig zieht er los, irgendwann zwischen Dämmerung und Dämmerung, meist schwarz gekleidet. Auf leisen Sohlen läuft er eine Stunde lang die Friedhofswege ab. Ihlefeldt wohnt mit seiner Familie auf dem Gelände, wenigstens hat er es nicht weit zu seinem Kontrollgebiet, das ihm in all seiner verfallenden Schönheit einfach wichtig ist. Was er in seiner begrenzten Zeit für diesen Friedhof tun kann, das sei für die nächsten hundert Jahre, sagt er.
Wildgänse ziehen über den Himmel, vorbei am „Heldenblock“, einer terrassenförmig angelegten Grünfläche mit niedrigen Steinkreuzen – Tote aus dem Ersten Weltkrieg. Das Mondlicht holt die Kreuze aus der Dunkelheit hervor. „Diese mystische Stimmung!“, sagt Ihlefeldt. Er kann den einsamen Gängen über den Friedhof etwas abgewinnen. Allerdings kein überzogenes Risiko: Er bewege sich so, dass er Fremde eher sehe als diese ihn, sagt er. Dann hole er die Polizei.