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Hier geht es in die Quarantäne.
© Tom Weller/dpa

Coronavirus in Berlin: Freiwillig in Quarantäne - und angefeindet

In der Kita ihres Sohnes infiziert sich eine Erzieherin mit dem Coronavirus. Als einzige begibt sich die Mutter in Quarantäne - und bekommt dafür Vorwürfe.

Seit vier Tagen verlässt Nora Blume (Name geändert) mit ihrem Sohn nur noch nachts die Wohnung. „Auf dem Spielplatz sind wir nur im Dunkeln“, sagt die alleinerziehende Mutter. Seit vier Tagen sitzen die beiden in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg in Quarantäne - freiwillig.

Am Montagmorgen hatte Blume ihren Sohn in die Kita Pappelallee 40 bringen wollen. Dort wurden die Eltern der 120 Kinder jedoch per Aushang darüber informiert, dass die Kita bis einschließlich Mittwoch geschlossen ist. Wenig später heißt es in einer Mail, ein „Teammitglied“ könnte sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Später wird der Fall bestätigt, aus den Medien erfährt Blume, dass es sich um eine Erzieherin handelt.

Die 40-Jährige deckt sich daraufhin umgehend im Supermarkt mit Lebensmitteln ein. Seitdem sitzen sie in freiwilliger Quarantäne. „Keines der anderen Kinder ist in Quarantäne“, sagt sie. Für sie ist das unverständlich und unverantwortlich. Die Kita habe ein offenes Konzept. Jedes Kind hat mit jeder Erzieherin Kontakt. Inzwischen hat die Kita die Schließung verlängert. „Personalmangel“, mehr weiß Blume auch nicht.

Ärzte wimmeln sie ab, via Telefon ist niemand erreichbar

Da ihr Sohn schon seit Tagen hustet, will sie einen Kinderarzt kontaktieren, wird jedoch abgewimmelt. Am Dienstag hat Blume dann auch Symptome. Kurzatmigkeit, Husten, Fieber. Normalerweise mache sich da keine Sorgen, jetzt aber ist die 40-Jährige alarmiert. Der Hausarzt verweist sie telefonisch ans Gesundheitsamt, dort erreicht sie niemanden.

Erst nach Stunden an einer Krisen-Hotline kann sie mit einer Ärztin sprechen. „Nette, aber völlig überfordert Person“, sagt Blume. Nach etwas hin und her verspricht die Ärztin der Mutter immerhin, ein mobiles Ärzteteam vorbeizuschicken. Auf das warten Blume und ihr Sohn nun seit über zwei Tagen. Ihr Eindruck: „Es gibt momentan hunderte, wenn nicht tausende, die einfach nicht getestet werden, um Anarchie zu vermeiden.“

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Kontakt zu Freunden und Familien hat sie seit Montag nur noch telefonisch, ab und zu stellen ihr Freunde Essen vor die Tür. Nicht nur für sie ist die Situation ungewiss, auch rund 20 bis 30 Bekannte, mit denen sie zuletzt Kontakt hatte, machen sich Sorgen. „Da uns niemand testen möchte, weiß ich nicht, ob ich ansteckend bin.“ Darf man noch arbeiten und Freunde treffen?

„In Israel ist Solidarität normal“

Blume ärgert sich bei der ganzen Geschichte vor allem über die Reaktionen. Nachdem sie zwei Posts auf Facebook - einen auf englisch und einen auf deutsch - veröffentlicht hat, erreichen sie zweierlei Arten. Solidarität und Empathie und dem englischsprachigen Text, Vorwürfe und Unverständnis unter dem deutschen Post. „Ich solle mich schämen und das sei Panikmache, hat man mir vorgeworfen“, sagt Blume. Sie findet, die Deutschen würden die Situation verharmlosen.

Blume ist in Israel aufgewachsen, wohnt seit 2000 in Berlin. Zum ersten Mal bedauere sie, dass sie nicht in Israel wohne. „Dort ist es vollkommen normal, dass man sich aus Solidarität mit den Alten zwei Wochen in Quarantäne begibt.“ Tatsächlich gilt in Israel seit Montag: Wer ins Land einreist, muss 14 Tage in häusliche Isolation. Rund 300.000 Menschen wurden vorsichtshalber unter Quarantäne gestellt. „Hier ist das Bewusstsein noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Inzwischen geht es ihr und ihrem Kind wieder besser. Der Junge huste noch, aber akute Angst habe sie nicht. Bis zum 17. März will sie noch in freiwilliger Quarantäne bleiben. „Das ist einfach wichtig.“ Langeweile empfindet sie nicht. „Diese ruhige Zeit erinnert mich ein bisschen an Weihnachten. Ich habe schon überlegt, ob ich den Weihnachtsschmuck aus dem Keller holen soll.“

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