Mieterhöhung in Berlin: Frau Franke soll das Klima retten
Energiesparend wohnen mit gut gedämmten Wänden, dazu ein Wintergarten und doppelt so viel Platz? Das kann sich eine Reinickendorfer Rentnerin nicht leisten – weil sich die Kaltmiete verfünffachen würde.
Es ist eine Mieterhöhung, die selbst für die Berliner Entwicklung der letzten Jahre außergewöhnlich wäre: Knapp 340 Euro zahlt die 80-jährige Edith Franke derzeit für ihre Wohnung mit Garten. Nach der angekündigten Modernisierung sollen es fast 1670 Euro sein – ein Plus von etwa 400 Prozent. Kaltmiete.
Und zwar nicht in Mitte, Kreuzberg oder sonstigen Szenevierteln, sondern weit außerhalb des S-Bahn-Rings. In der Reinickendorfer Steinbergsiedlung, rund 30 Minuten Fußweg von der Endstation der U8 entfernt. „Klein Kleckersdorf“ nennen die Menschen, die hier wohnen, ihr Viertel, die 38 Reihenhäuser und drei Mehrfamilienhäuser, insgesamt 62 Wohnungen. Eine Siedlung mit vielen Bäumen, großen Gärten und alten Fassaden. „Ein Idyll“, sagen einige der aktuellen Mieter, viele leben seit Jahrzehnten hier. Aber das Idyll hat ein Problem – es ist baufällig.
Vor gut vier Jahren kaufte die „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft“ die Häuser, die bis dahin im Besitz der GSW und des Landes waren. Die hatten über Jahrzehnte kaum Geld in die Instandhaltung gesteckt: Kohleöfen sind keine Seltenheit, feuchte Keller, Schimmel und löchrige Dächer auch nicht. Dafür war die Miete in den 1920 erbauten Häusern billig, und damit soll jetzt Schluss sein.
Was aus den Wohnungen einmal werden soll, lässt sich im Internet erkennen. „Stonehill gardens“ nennen die neuen Eigentümer die Siedlung, ein denkmalgeschütztes „luxuriöses Kleinod“ mit „absoluter Top-Ausstattung“ soll entstehen. Was das für die bisherigen Mieter bedeuten könnte, steht nicht im Internet. Dafür aber in der 23-seitigen Modernisierungsankündigung, die die Mieterin Franke vor knapp einem Jahr erhielt.
Nach den geltenden Gesetzen dürfen die Kosten für eine Instandsetzung von Wohnungen nicht auf die Mieter umgelegt werden; ein Vermieter ist verpflichtet, seine Wohnung in ordentlichem Zustand zu erhalten. Dazu zählen beispielsweise neue Fensterläden, eine funktionierende Klingel oder intakte Treppenstufen. Anders sieht es aus mit den Kosten für eine Modernisierung oder energetische Sanierung, die mit elf Prozent auf die Miete aufgeschlagen werden dürfen. Und zwar auch dann noch, wenn die Baukosten durch die erhöhte Miete bezahlt sind.
Um die Klimaschutzziele von Bund und Land zu erreichen, müssen Häuser energieeffizienter werden. Das vom Senat ausgegebene Ziel, Berlin bis 2050 „klimaneutral“ zu machen, also den CO2-Ausstoß von zurzeit sechs auf 1,5 Tonnen pro Einwohner und Jahr zu drücken, ist ohne konsequente Modernisierung des Gebäudebestandes nicht erreichbar. „Denkmalgerecht“ wolle man in der Siedlung sanieren, sagt ein Sprecher der neuen Eigentümer, dabei seien „insbesondere energetische Maßnahmen zum Klimaschutz geplant“. Das gilt auch bei Frau Franke, deren Wohnung außerdem durch Anbauten wie einen Wintergarten oder eine Terrasse von derzeit knapp 85 Quadratmeter auf dann gut 160 Quadratmeter vergrößert werden soll.
Außerdem soll die Fassade gedämmt werden, ebenso das Dach und der Boden im Erdgeschoss. Dazu neue Türen und neue Fenster, die besser schließen. Das alles hilft bei der Energieeinsparung, bedeutet also geringere Energiekosten für den Mieter. Doch gleichzeitig kann auch das explizite Nicht-Einsparen von Energie als Modernisierung gelten. Bei Frau Franke soll die Elektrik erneuert werden, auch diese Kosten werden auf die Miete aufgeschlagen.
Die Mieter sollen mehr bezahlen und dafür Energie sparen. Rechnet sich das?
„Es findet eine erhöhte Leistungsbereitstellung statt und deshalb können mehr verbrauchsintensive Geräte gleichzeitig betrieben werden“, schreiben die Eigentümer in der Modernisierungsankündigung. In der Summe bedeutet das: Für etwa 170 000 Euro wollen die neuen Eigentümer umbauen. 145 000 Euro davon soll der Mieter bezahlen, spart dafür künftig Energiekosten ein. So die Theorie. Rechnet sich das?
Nicht unbedingt, ließ sich vor einiger Zeit in einer Studie der staatlichen Förderbank KfW lesen. Für Hauseigentümer seien die Umbaukosten höher als die anschließend gesparte Energie, lautete ein Ergebnis der Studie. Nachdem diverse Interessensverbände protestierten, änderte die KfW ihre Darstellung. Nun galt die Sanierung nicht mehr als Minusgeschäft, „wenn eine Sanierung ohnehin durchgeführt werden muss und die Energiesparmaßnahmen daran gekoppelt werden“.
Außerdem wohne es sich in einem sanierten Haus schöner, steige der Komfort. Wer schleppt schon gerne Kohlen? Und allein im letzten Jahr habe die Sanierung 440 000 Arbeitsplätze gesichert, heißt es bei der KfW. Was aber haben Mieter wie Frau Franke von einer sanierten Wohnung, wenn sie anschließend die Miete nicht mehr bezahlen können?
Deutlicher wird David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), dessen Mitgliedsunternehmen rund 40 Prozent aller Berliner Mietwohnungen bewirtschaften: „In aller Regel sind die Modernisierungskosten höher als die Energieeinsparung.“ Eine Modernisierung, bei der sich Energieeinsparung und Baukosten die Waage halten? „Das kommt praktisch nie vor“, sagt Eberhart. Etwa 15 Milliarden Euro hätten die BBU-Mitglieder in den vergangenen zwanzig Jahren in die energetische Sanierung investiert. Unterm Strich profitierten davon vor allem „die Baustoffindustrie und die Hersteller von Dämmstoffen“.
Und natürlich sei ein Haus nach der Sanierung mehr wert. „Das ist aber vor allem dann interessant, wenn das Haus verkauft werden soll“, sagt Eberhart. Das gilt auch in Reinickendorf. „Nur mit den Füßen zuerst“ werde sie das Haus verlassen, sagt die 80-jährige Franke.
Anders gesagt: „Lebendig kriegen die mich hier nicht raus“, längst schon bearbeiten sich Mieter und Vermieter mit Anwälten.
Und längst schon werden im Internet Käufer für eine Wohnung in „Stonehill gardens“ gesucht. Durchschnittlicher Kaufpreis: rund eine halbe Million Euro.