zum Hauptinhalt

Leidenschaft Planespotting: Flugzeuge im Kopf

Wegen des BER-Desasters bleibt Tegel erstmal offen - ein Segen für die Planespotter. Sie klettern auf Container, riskieren ihre Jobs und schaffen teure Ausrüstungen an - alles nur für ihre große Leidenschaft, die Flugzeuge. Eine Milieustudie.

Er stand auf dem Kurt-Schumacher-Damm, als eine Boeing 707 John F. Kennedy nach Berlin brachte. Das war 1963.

Er stand auf der Besucherterrasse, als die erste britische Concorde in Tegel landete, 1985. Und einmal, da hat Ralf Manteufel eine Landung mit Bremsfallschirm fotografiert. „Ein echter Glücksfall für mich“, sagt er.

Ein Glücksfall, das ist der Flughafen Tegel für Menschen wie Manteufel, die Flugzeuge beim Anrollen, Starten und Landen beobachten, fotografieren. Planespotter. Kaum ein anderer Flughafen in Deutschland hat so viele Orte dafür.

Und ein noch größerer Glücksfall ist für die Planespotter, was ganz Berlin als Desaster bezeichnet, nämlich, dass der neue Flughafen, BER, noch immer nicht eröffnet wurde. Das bedeutet: Tegel lebt. Die Spotter behalten ihr Paradies.

Ralf Manteufel, 70, grauer Schnauzer, Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen, gilt als Legende. Lange genug dabei, um alte Aufnahmen zu besitzen. Bilder aus fünf Jahrzehnten. Die ersten machte er mit 18, als er gerade seine erste Kamera erspart hatte. Er nennt eine Boeing 737 „Donnerschwein“ und einen Metroliner „Angströhre“. Aber weil es einfacher ist und er sie gern hat, heißen sie meistens alle „Mühle“.

Gleichzeitig ist Manteufel jung genug, um seine Beute mit der ganzen Welt auf Facebook zu teilen. Zehntausende hat er – ähnlich viele bringt manch ein junger Spotter mit Digitalkamera von einem einzigen Ausflug mit. Zwei Jahre dauerte es, bis er seine alten Dias archiviert hatte. Manteufel kann zu jedem Bild eine Geschichte erzählen.

An diesem Dezembersonntag fährt er nach Tegel, um einen besonderen Anstrich einer Air-Berlin-Mühle vor die Kamera zu bekommen. Ein Weihnachtsmotiv. Doch es schneit dicke Flocken, nicht einmal er, die Legende, kann die Flugzeuge auseinanderhalten.

Der perfekte Spot

Am liebsten stünde er jetzt auf der Besucherterrasse, die das Tegler Sechseck komplett umgibt. „Der perfekte Spot – fast alles ist hier machbar“, sagt Manteufel. Er mag es, wenn die Sonnenstrahlen auf dem Flugzeug reflektieren und wenn er ein Flugzeug mit Häuserreihe aufs Bild bekommt. Damit man sieht, dass wir in Berlin, in Tegel, sind. Besonders mag er Militärbomber, Frachtflieger, Uno-Maschinen und Anstriche, die retro aussehen. „Interessant sind Zwischenanstriche. Wenn die Mühle den Besitzer wechselt, man aber noch sehen kann, wem sie zuvor gehörte.“

Eigentlich ist Manteufel echter Tempelhofer. Eine gigantische Maschine flog damals über den Sechsjährigen im Sandkasten, er rannte ihr hinterher. Seitdem schlich er heimlich auf den Flughafen, besorgte sich Prospekte in Reisebüros, auf denen Flugzeuge abgebildet waren, beobachtete Düsenjets, wie sie sich aus schwarzen Rauchwolken erhoben und schaffte es schließlich, in eine der begehrten Flughafenwohnungen zu ziehen. Natürlich wäre er gern Pilot geworden. Aber das Geld reichte nicht.

Trotzdem lebte er für Flugzeuge, reiste zu großen Flughäfen, besuchte unzählige Flugzeugausstellungen weltweit. Tagelang wartete er in Tempelhof auf die Ankunft eines besonderen Fliegers, freute sich über „kernige Piloten“, die auf dem kurzen Runway schwer beladene Maschinen landen konnten.

Manchmal riskierte er seinen Job. Zum Beispiel, als er Mitte der 80er während der Arbeitszeit – er war Baumchirurg beim Grünflächenamt – mit dem Schneidefahrzeug nach Tempelhof fuhr, statt zu den pflegebedürftigen Bäumen. 2008 verabschiedete er sich traurig von seinem liebsten Flughafen.

Von da an musste Manteufel Leiter und Stativ häufiger in Tegel aufbauen. Mindestens zwölf gute Positionen kennt er dort. Am Waldrand im Nordwesten fotografiert er anrollende Mühlen, auf dem Weg zum Terminal knipst er das Vorfeld durch Glas, von der Meteorstraße erwischt er landende Flugzeuge, mit Glück einen „Touchdown“, den Moment vor der Landung, wenn das Flugzeug mit dem Fahrwerk den Boden berührt. Manchmal besucht er eine alte Boeing 707 am Westende, die Berlin dort verrotten lässt. „Das war doch ein Geschenk“, sagt er vorwurfsvoll.

Leider, erzählt er, hätte die Stadt die Düne im „Franzosenviertel“ 2008 mit einer Lärmschutzwand versperrt. Aber es gibt noch das Dach des Einkaufszentrums „Der Clou“, etwa hundert Meter östlich des Flughafens, gut für Aufnahmen von Flugzeugbäuchen.

Und natürlich den Container. Aber der, sagt Manteufel, sei nichts mehr für ihn. Da kletterten nur die Jüngeren, die Eifrigen drauf. Neuerdings treffe man einen 13-Jährigen mit bester Fotoausrüstung. „Ich bin kein wahnhafter Sammler, der alle Zulassungen der 250 Easyjet-Maschinen als Detailaufnahme braucht“, sagt Manteufel.

Einige Planespotter sehen sich als Dokumentaristen. Weil sie festhalten, wenn Staatsmänner aus Maschinen steigen. Oder wichtige Beweisaufnahmen bei Unfällen liefern. Andere sprechen von Sehnsucht, von der Weite des Himmels. Manteufel ist niemand, der solche Worte benutzt. Er findet Flugzeuge schön. Den Klang. Von der Lockheed C-5A zum Beispiel. Die Form. Die Nasen. Die Antennen. Verliebt ist er in die Superconstellation, Super Connie nennt er sie. Nachts konnte man ihre herrlich blaue Auspuffflamme sehen.

Manteufel wohnt in Mahlow, Einflugschneise nach Schönefeld. Wenn es über seinem Dach lärmt, freut er sich. Seine Frau lächelt, auch sie erkennt Flugzeuge mit den Ohren. Viele Spotter wollen umziehen, wenn Tegel schließt, oder ganz aufgeben. Dabei muss man heute nicht mehr tagelang auf Flughäfen rumlungern, den Funkverkehr zwischen Tower und Piloten illegal abhören. Man muss sich auch nicht mehr auf papierne Flugpläne verlassen oder Geheimtipps von Flughafenmitarbeitern.

Ein Spotterabenteuer beginnt heute in Manteufels Arbeitszimmer. Auf den Schränken stehen Modellflugzeuge, in den Regalen liegen Dias, Flugzeugzeitschriften und seine Lieblingsfilme wie „Bomber B-52“. Im Internet schaut er, was die Kollegen aus der Szene – in Berlin gehören etwa 30 dazu – am Morgen fotografiert haben. Dann lädt er die Flugpläne für die nächsten Tage herunter.

Manteufel hofft, dass der neue Flughafen BER weitere, exotischere Fluggesellschaften anzieht. Auch, wenn man dort nie so gut spotten können wird wie in Tegel. Denn die Terrasse geht nur auf eine Seite raus und ist dazu noch verglast. Außerdem liegen zwei Kilometer zwischen den beiden Landebahnen, ein echtes Problem.

Manteufels Lieblingsseite im Netz zeigt Satellitenbilder von Flugzeugen. „Manchmal“, sagt er, „ertappe ich mich, wie ich auf diesem Nachthimmel Mühlen in Australien verfolge.“ Deren Geräusch und Bewegung kann er sich vorstellen.

Zur Startseite