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In Tegel läuft nicht nur der Flugbetrieb an der Kapazitätsgrenze.
© picture alliance / dpa

Berliner Airport: Flug und Trug in Tegel

Mit 21 Millionen Passagieren im Jahr müsste der Flughafen Tegel eigentlich längst kollabiert sein. Doch die An- und Abflüge sind nahezu pünktlich. Wie schaffen die das? Ein Rundgang.

Eigentlich beginnt die Geschichte schon vor dem Anfang. Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) hat zur Exkursion nach Tegel geladen unter dem Motto: „Erfolgreicher Flugbetrieb an der Kapazitätsgrenze“. Ein paar Teilnehmer kommen zu spät, weil ein chinesischer Staatsgast und ein Unfall an diesem Donnerstagabend ein Verkehrschaos ausgelöst haben, dem niemand entrinnt.

So verpassen manche das Grußwort, das je nach Gemüt zum Staunen taugt oder zum Gruseln. Elmar Kleinert, Betriebsleiter der Berliner Flughäfen, berichtet den Wirtschaftsleuten nämlich: „Selbst unsere Mannschaft sagt, das ist ein bisschen spooky, was wir hier erleben.“ Er meint, dass der Flughafen in diesem Jahr 21 Millionen Passagiere verkraften wird, ohne zu kollabieren – das Vierfache seiner ursprünglichen Kapazität. Auch heute seien wieder mehr als 90 Prozent der An- und Abflüge pünktlich gewesen, sagt Kleinert.

„Wenn es uns mal erwischt, dann richtig“, fasst er die Erwartungshaltung seiner Belegschaft zusammen, ohne dieses Szenario zu präzisieren. Lieber erklärt er „das Geheimnis: eine hoch motivierte, hoch engagierte Mannschaft, die nicht durch politisches Auf und Ab in Mitleidenschaft gezogen wird.“ Für Hierarchien habe man hier keine Zeit; jeder wisse, wofür er zuständig sei und wie sehr es auf ihn ankomme. Man sei „kein großer schwerer Tanker, sondern eine Flotte von vielen kleinen Schnellbooten“. Er redet, als kenne er den BER vom Wracktauchen. Dabei ist er auch dessen Betriebsleiter. Jedenfalls theoretisch.

Wahrheit mischt sich mit Wehmut

Wann es in Schönefeld losgeht, sagt Peter Forner hinter der Sicherheitskontrolle beim Einsteigen in den Rundfahrtbus: Tegel müsse laut Planfeststellungsbeschluss sechs Monate nach der BER-Eröffnung schließen, „also Ende '18, Anfang '19“. Auf Nachfrage wird er sagen, das sei Ironie gewesen. Gelacht hat allerdings niemand, auch nicht er selbst. Dabei ist Forner aus dem Gröbsten raus: 1970 hat er als Follow-Me-Fahrer in Tempelhof angefangen, war Verkehrsleiter in Tegel und bestreitet als Rentner von aktuell 75 Jahren gerade seine geschätzt etwa 600. Führung.

Der Bus rollt an, vorbei an den Erweiterungsbauten, die manche Flughafenleute „vereinigte Hüttenwerke“ nennen und dank deren Tegel allein im September 200.000 Passagiere verkraftet hat. Vom Rollfeld aus wirkt der Flughafen geräumig und wohlsortiert. Draußen wird es dunkel, für Sekunden fällt der Blick durch erleuchtete Fenster ins vollgestopfte Postzentrum und auf einen ungemütlichen Pausenraum, in dem die hellgrün gekleideten Kofferschlepper an einem großen Tisch verschnaufen. Kleinerts Schnellboote.

Als einer im Bus den vielen Platz draußen erwähnt, sagt Forner, bei Erweiterungsbauten etwa für Parkpositionen „hätten Sie sofort die Flughafengegner auf dem Buckel“. Höhnisches Lachen im Bus; die Fahrgemeinschaft erreicht ihre Betriebstemperatur. Einer schimpft über den Irrsinn, erst Tempelhof und dann Tegel zu schließen. Ein anderer betont gleich mehrfach und im Plural: „Wir haben ja Wowereit nicht gewählt.“ Wahrheit mischt sich mit Wehmut; in der Einflugschneise wohnt offenbar niemand, jedenfalls keiner von den Lauten im Bus. Forner erzählt eine Schnurre, die zum Motto mit der Kapazitätsgrenze passt: Wenn das Spitzenpersonal von Unternehmen wie VW oder Telekom nach Tegel fliegen wolle, könnten die Konzerne vorab einen Parkplatz für die Maschine reservieren. Den bekämen sie aber nur für eineinhalb Stunden. Bei längerem Aufenthalt müsse die Maschine nach Schönefeld umgeparkt werden. Ökologischer Irrsinn sei das. Der Bus raunt.

Guten Tag, guten Weg

Forner schüttelt noch ein Highlight aus dem Ärmel: „Wir können ja mal aussteigen“, sagt er, als jemand nach dem Zweck der markanten Dreieckspyramide hinter den Hangars von Lufthansa und Air Berlin fragt. Das Ungetüm ist mit perforierten Metallplatten ausgekleidet, die jedes Echo schlucken. Es sei für Probeläufe der irre lauten Triebwerke der ersten Generation gebaut worden. Staunend rufen und klatschen die Wirtschaftsleute ins schweigende Pyramidendach. Bis ein schwarz-gelb karierter Geländewagen angebraust kommt, dessen Fahrer fragt, was hier los sei. Der Ausflug sei nämlich nicht angemeldet. Ein Polizeiauto kommt hinzu, aber Forner, der Veteran, kann die Sache per Handy mit hoch dosiertem Vitamin B regeln.

Guten Tag, guten Weg. Letzterer führt zu einer von Wind und Wetter abgestumpften Boeing 707 am Rand eines Wäldchens westlich der Startbahn, die 1986 durch trickreiche Vorbereitung als erstes Lufthansa-Flugzeug in West-Berlin landete und jetzt dem Rasenmäher im Weg steht. Otto hat hier mal einen Film gedreht, zuletzt wollte ein Kölner Gastronom sie haben, jetzt niemand mehr. Vielleicht kann ein findiger Planer sie in das neue Stadtquartier integrieren, das irgendwann hier entstehen soll. Ab '18 oder '19, haha.

Der Tourbus fährt zurück zum Terminal, an der Haltestelle steht der X9er für den Nachhauseweg. „Ick hab' 59 Minuten Verspätung“, sagt der Fahrer beim Start. „Ach nee, jetzt sind's 63.“ In Tegel läuft nicht nur der Flugbetrieb an der Kapazitätsgrenze. Aber irgendwie läuft's eben.

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