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Benno Fürmann, 42, ist gebürtiger Kreuzberger. Der Schauspieler machte sich in Italien ein Bild von der Lage der Bootsflüchtlinge.
© Amnesty International

Interview mit Benno Fürmann: "Flüchtlinge führen ein Leben im Vakuum"

Der Berliner Schauspieler Benno Fürmann engagiert sich mit Amnesty International für Flüchtlinge. Dafür reiste er vor kurzem nach Italien. Dem Tagesspiegel berichtet er von seinen Erlebnissen.

Herr Fürmann, wie erleben die Italiener die Asylpolitik der Europäischen Union?

Bootsflüchtlinge gehören längst zum Alltag der Italiener. Auf Lampedusa hat jedes Kind eine Meinung zu Migration – nicht erst seit dem großen Schiffsunglück am 3. Oktober 2013, bei dem 380 Menschen umgekommen sind. Das Erste, das man sieht, wenn man in den Hafen kommt, ist ein Schiffsfriedhof, der einem Mahnmal gleicht: Wracks und zerborstene Boote mit arabischen Lettern liegen übereinandergestapelt am Ufer.

Sie haben mit Flüchtlingen geredet. Was haben die Menschen erlebt?

Ein Mann, Manu, ist aus politischen Gründen aus Gambia in den Senegal geflohen und gelangte letztlich nach Libyen, wo staatliche Strukturen nicht mehr bestehen und öffentliche Übergriffe zum Alltag gehören. Manu wurde von Arabern gekidnappt und gefoltert. Als seine Familie nach Monaten das Lösegeld aufgebracht hatte, wurde er entlassen. Aber ein direkter Rückweg schien ihm unmöglich. Zu groß ist die Gefahr, erneut gekidnappt und Opfer von Organhändlern zu werden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Flucht nach Norden anzutreten. Die geklebten Nähte des Bootes waren porös und schmolzen unter der Mittelmeersonne. Manu sagte, er habe 102 Personen gezählt, als er das Boot bestieg. 24 hätten überlebt.

Wie sind die Flüchtlinge untergebracht?

Mittlerweile werden sie nach ihrer Rettung durch die Hilfsaktion „Mare Nostrum“ nach Sizilien oder auf das italienische Festland gebracht, in ein bewachtes Auffanglager. Dorthin haben wir auch Manu gefahren, der sehr glücklich war, endlich in Sicherheit zu sein. In vielen großen italienischen Städten sind die Straßen voll von Flüchtlingen, die zwar einen Schutzstatus von drei Jahren haben, aber obdach- und mittellos sind. Es gibt keine Arbeit für sie und keinerlei staatliche Unterstützung. Das italienische System ist total überfordert.

Laut Amnesty International wurden zwischen 2007 und 2013 zwei Milliarden Euro für den Bau von Zäunen, hoch entwickelten Überwachungssystemen und Grenzkontrollen ausgegeben. Wovor fürchtet sich die EU?

Es ist das alte Spiel mit der Angst: vor dem schwarzen Mann, der Entfremdung, und dass es an unsere wirtschaftlichen Ressourcen geht. Dabei sind unsere Aufnahmekapazitäten noch lange nicht ausgeschöpft und der Zuzug kann auch prosperierend sein: Menschen mit abgeschlossenen Ausbildungen, Grundschullehrer, Ingenieure wollen hier arbeiten. Doch Politiker zeichnen am liebsten das Bild des Drogen verkaufenden Schwarzafrikaners.

Wie gelingt es den Flüchtlingen, von Sizilien aus nach Deutschland zu kommen?

Flüchtlinge haben oft schon Freunde und Verwandte in anderen EU-Mitgliedstaaten. Diese helfen selbstverständlich jemandem, der die schreckliche Überfahrt über das Mittelmeer gerade überlebt hat, bei der Weiterreise in ein Land wie Schweden oder Deutschland. Generell ist es so, dass nur diejenigen, die Geld haben, sich überhaupt die Flucht leisten können. Sie sind gezwungen, ihre Familie und ihr Land zu verlassen. Was die Asylsuchenden allerdings auf ihrem Weg erleben, davon erfahren die Daheimgebliebenen nichts. Die Flucht ist fast immer ein Trauma.

Sie haben auch in Berlin Unterkünfte besucht. Wie haben Sie das erlebt?

Ich bin zum Beispiel in der Mortardstraße in Spandau gewesen. Dort herrscht eine containerhafte Atmosphäre, ein Vakuum. Du bist in Berlin ohne in Berlin zu sein. Die Ausstrahlung dieser Unterkünfte spiegelt unsere Haltung gegenüber Fremden wider. Spezialisierte Einrichtungen wurden in Deutschland teilweise aufgegeben, sozialer Wohnungsraum verkauft, so dass Flüchtlinge häufig zusammengepfercht in Kasernen leben müssen.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Es müssen legale Einreisebedingungen geschaffen werden und die Menschen auf ihrer Flucht nicht in die Illegalität gezwungen werden. Außerdem muss die EU Italien endlich mehr bei der Seenotrettung unterstützen: Italien hat seit Oktober 2013 im Alleingang bis heute über 170 000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. Doch kein anderer EU-Staat unterstützt Italien dabei. Es wäre schön, wenn die Menschen die Möglichkeit bekämen, Menschen zu sein und nicht nur ein Problem.

Wie können wir in Berlin die Flüchtlinge unterstützen?

Eine Freundin von mir gibt ehrenamtlich Deutschunterricht, ich sammle ehrenamtlich Bekleidung im Freundeskreis. Ob künstlerisch oder sozial ist alles erlaubt, ich finde, es geht um die Geisteshaltung – wollen wir Menschen, die nach oft unglaublichen Odysseen bei uns in Sicherheit sind, willkommen heißen oder da haben, wo man sie am besten nicht sieht.

An der Seite von Marvie Hörbiger ist Fürmann derzeit in dem Kinofilm „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss“ zu sehen.

Lena Reich

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