Kreuzberger Projekt vermittelt Ausbildungsplätze: "Flüchtling ist kein Beruf"
Das Projekt Arrivo vermittelt Flüchtlinge an Berliner Handwerksbetriebe. Bei denen stößt die Idee auf großes Interesse, denn es mangelt an Fachkräften. Im Weg steht allen Beteiligten jedoch oft das Asylrecht.
Khalid steht an einer Werkbank in Kreuzberg, in der Hand ein Kastenschloss. Zehn Tage hat er gebraucht, um es zu bauen. „Ich habe vorher noch nie mit Metall gearbeitet“, sagt Khalid, der aus Syrien kommt. „Eigentlich war ich Maler“. Die Werkstatt gehört Arrivo Berlin, einem Projekt, das geflüchteten Menschen dabei helfen will, beruflich auf eigenen Beinen zu stehen. Außer Khalid gibt es 14 weitere Teilnehmer. Seit einem halben Jahr läuft das gemeinsame Projekt von Jugendhaus Schlesische27, Senat und Handwerkskammer, das jungen Flüchtlingen bei der Integration in den Berliner Arbeitsmarkt helfen soll. Der Slogan: „Flüchtling ist kein Beruf“.
Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kooperation mit Berliner Handwerksbetrieben. Denn die suchen händeringend nach Fachkräften. Und die jungen Männer, die an diesem Tag in Handwerkeroveralls in der Werkstatt stehen, sind viel motivierter als ihre deutschen Altersgenossen – und das, obwohl sie für ihre Arbeit in der Übungswerkstatt kein Gehalt bekommen. Sie sind aus Nigeria, Pakistan, Kamerun, Syrien geflohen, waren Matrosen, Stuckateure, Kfz-Mechaniker. Jetzt sind sie wieder in der Ausbildung.
Auch wenn eine Gesetzesänderung im November 2014 Flüchtlingen bereits nach drei Monaten den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, fehlt vielen der Mut, sich in die lokalen Strukturen hineinzuwagen. „Arbeitsmarkintegration ist zentral für alle, die hier leben“, sagt Barbara Meyer, Geschäftsführerin der Schlesischen27. Sie erklärt das Projekt: In einer Art Parcours durchlaufen die Teilnehmer sechs Berliner Innungen. So lernen sie nicht nur verschiedene Handwerksberufe kennen, sondern verbessern auch ihre Sprachkenntnisse.
„Es wurde von den Innungen sehr viel größeres Interesse angemeldet, als wir Teilnehmer hatten“, sagt Barbara Meyer. Während des Parcours gibt immer die Möglichkeit auszusteigen – wenn ein Betrieb einen Teilnehmer ausbilden möchte. „Auch wenn wir eine gute Familie sind, sind wir froh, wenn die Leute nicht wiederkommen“, sagt Meyer.
Fachkräftemangel wird getrennt von Flüchtlingen debattiert
Die Debatten über Flüchtlinge und fehlende Fachkräfte verlaufen weitestgehend getrennt. Flüchtlinge werden oft nicht als Menschen mit Talenten und Fachkenntnissen wahrgenommen. Canan Bayram, Grünen-Abgeordnete für Friedrichshain-Kreuzberg, sagt: „Wir müssen auch auf die Erfolgskompetenz schauen, die Menschen mitbringen, nicht nur auf die Probleme“. Für viele Firmen in dem Projekt sind die jungen Männer ein Segen. „Es gibt aus den Betrieben, also aus der Mitte der Gesellschaft heraus, durchaus ein Eigeninteresse, Flüchtlinge auszubilden. Deshalb gibt es auch viel Offenheit“, sagt Stephan Schwarz, Präsident der Berliner Handwerkskammer.
Eine große Hürde für Auszubildenden und Betrieb ist nach wie vor der rechtliche Zugang zum Arbeitsmarkt. Alle Teilnehmer bei Arrivo Berlin besitzen eine Arbeitserlaubnis und haben einen Sprachkurs absolviert. Damit gehören sie zu einer Gruppe von Flüchtlingen, die relativ gesehen mehr Sicherheit hat. „Wir wollen in Zukunft auch für Flüchtlinge, die etwas wackliger stehen, bessere Auffangmöglichkeiten entwickeln“, sagt Meyer.
Trotz ihres Status gibt es aber immer wieder Probleme mit der Ausländerbehörde. Emily Kuck betreut die Gruppe als Sozialarbeiterin. „Für eine Praktikumsgenehmigung habe ich mal mit einem Teilnehmer fünf Stunden bei der Ausländerbehörde gesessen“, sagt sie. Eigentlich eine reine Formsache. „Das macht das tägliche Arbeiten in den Betrieben sehr schwer.“
Rechtsunsicherheit belastet Flüchtlinge und Betriebe
Diese Unsicherheit belastet die Praktikanten ebenso wie die Ausbildungsbetriebe. Stephan Schwarz berichtet, wie ihn einmal eine verzweifelte Kfz-Meisterin anrief. Ihr Azubi war am Morgen von der Polizei abgeholt und abgeschoben worden. Für den Betroffenen wie den Betrieb ein Desaster. „Wir brauchen Rechtssicherheit für Ausbildungsverhältnisse und idealerweise auch für die Zeit danach“, fordert Schwarz.
Zurzeit gilt die Regelung, dass eine Aufenthaltserlaubnis auf drei Jahre befristet erteilt wird. Ein Dauerbleiberecht wird nur zuerkannt, wenn der Betreffende eine Verfolgung im Herkunftsstaat geltend machen kann. Dies im Einzelfall nachzuweisen, ist oft kaum möglich. „Diese Regelung wird in den nächsten Jahren Tausende daran hindern, auf eigene Beine zu kommen“, sagt Meyer.
Im zweiten Halbjahr wollen Meyer und ihr Team den Parcours noch vervielfältigen. Ausbildungsberufe aus dem Gesundheitswesen und dem kaufmännischen Bereich sollen hinzukommen. Außerdem sollen verschiedene Gruppen den Parcours zeitversetzt durchlaufen, so können mehr Teilnehmer aufgenommen werden. Wenn das Projekt breiter aufgestellt ist, sollen auch verstärkt Frauen geworben werden. Zurzeit besteht die Gruppe nur aus Männern. Wichtig ist den Machern aber eines: „Wir wollen nicht den Niedriglohnsektor mit Migranten auffüllen“, sagt Emily Kuck. „Wir haben Menschen, die sind motiviert, die werden gewollt und die wollen. Wir brauchen nur einmal einen Freifahrtschein.“
Pascale Müller