Schauplatz Berlin (Auflösung 15): Fliegerin zwischen den Fronten
Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2832 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Hier finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Auflösung zu unserer fünfzehnten Folge.
Von ihren beiden glücklichsten Jahren wohnte sie die zweite Hälfte, frisch verheiratet, in der jetzt mit ihrem Namen und ihrer Gedenktafel bezeichneten Fachwerk-Villa aus gelben Ziegeln, die heute zwischen einer Mietskaserne und einem Döner-Bistro steht, am Sterndamm in Berlin-Johannisthal. Geburtsort der Amelie Beese, Jahrgang 1886, ist der Dresdner Vorort Laubegast; widersprüchliche Angaben zu ihrer Vita mag Adalbert Nordens Roman „Flügel am Horizont“ (1939) befördert haben, der ihr Helden-Schicksal 14 Jahre nach ihrem Tod verarbeitet (und von späteren Biographen als Quelle genutzt wird ). Ob ihr Vater nun Architekt war, Steinmetz oder ein wohlhabender Lampenhändler: Ihre damals für eine Frau ziemlich exotischen Ausbildungsträume finanziert er. Sie darf Bildhauerei in Schweden studieren, erhält dort Preise für erste künstlerische Werke, begeistert sich leidenschaftlich fürs Hochsee-Segeln. Kehrt drei Jahre später heim nach Sachsen, mit Kisten voller Büsten und Plastiken. Am Dresdner Polytechnikum hospitiert Melli Beese ab 1909 bei den Mathematikern, Flugmechanikern und Schiffskonstrukteuren. Dabei muss der Traum vom Fliegen sie ergriffen haben: In den folgenden Jahren wird sie, bald nach der Eröffnung des ersten deutschen Motorflughafens Berlin-Johannisthal (1909) , als erste Deutsche die bislang unstrittige Männerdomäne der Fliegerei erobern. Sie setzt sich durch gegen die Tricks missgünstiger Kollegen, erwirbt Flieger- und Fluglehrer-Lizenzen, fasziniert das Publikum als waghalsige Pionierin, gründet eine Flugschule, eine Firma zur Flugzeugkonstruktion, meldet Patente für neue Modelle an. Sie heiratet im Januar 1913 nicht den eng mit ihr befreundeten Siemens-Enkel Werner Alfed Pietschker, sondern einen französischen Kollegen, ihren Firmen-Teilhaber Charles Boutard. Den eigenen Morphiumkonsum zur Linderung jobbedingter Verletzungen hat sie während dieser Jahre noch im Griff. Als ihr Projekt unternehmerisch durchstarten soll, bricht der Weltkrieg aus.
Eigentlich ist sie hart im Nehmen. „Nur ein Schlüsselbeinbruch, nächst dem Ehebruch der leichteste," soll sie eine ihrer Bruchlandungen kommentiert haben, bei der sie wieder einmal ramponiert aus Flugzeug-Trümmern kroch. Doch ihre berufliche Zerstörung verwindet sie nicht: Der Betrieb des Ehepaares war 1914 geschlossen worden. Sie seien als „feindliche Ausländer“ interniert worden, resümiert die Verbitterte 1923. Ihr Mann, dessen Staatsangehörigkeit sie mit der Eheschließung angenommen hatte, sei bald darauf schwer erkrankt, aus ihrer Firma seien Maschinen und Werkzeuge beschlagnahmt worden wie ebenfalls das kostbare Wohnungsinventar. Interniert in der Prignitz habe sie „eine Hölle kleinlichster Nadelstichpolitik“ erfahren. „Wir standen vor einem zertrümmerten Leben … man hat uns buchstäblich zugrunde gehetzt … Erst im kommenden Herbst … wird die Handlungsweise der deutschen Behörden in unserem Falle vor dem Pariser Schiedsgericht ihre Sühne finden, uns damit das Geld für neue Tätigkeit wieder freigeben.“ Ehekrise, Drogensucht, Depression. Sie erhält schließlich eine Entschädigung, doch die Summe verdampft unter den Auswirkungen der Inflation. Ihr Versuch, an die Innovation der eigenen Branche noch einmal Anschluss zu gewinnen und dafür bei einem Probeflug auf dem neuen Flugplatz Berlin-Staaken ihre notwendige Lizenz zu erneuern, endet im Absturz, den sie unverletzt übersteht. Am folgenden Tag, dem 22. Dezember 1925, erschießt sie sich in einer Wilmersdorfer Pension. „Fliegen ist notwenig, Leben nicht“, hatte sie auf einem Zettel notiert.
Die nächste Folge von Schauplatz Berlin erscheint am kommenden Sonntag im gedruckten Tagesspiegel
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität