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Ein brennendes Motorrad hängt über der Balustrade der Zuschauertribüne der Radrennbahn an der Potsdamer Straße.
© Berliner Illustrirte Zeitung

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Feuer auf der Rennbahn

Ein schwerer Unfall überschattet am 18. Juli 1909 die Eröffnung der neuen Radrennbahn an der Potsdamer Straße. Ein Motorrad rast in die Zuschauertribüne und explodiert. Sechs Menschen sterben.

Es ist etwa viertel nach fünf am Nachmittag an diesem 18. Juli 1909, als der Schrittmacher Werner Krüger, der dem holländischen Radrennfahrer Jon Stol vorausfährt, bei einem Überholmanöver plötzlich die Kontrolle über sein Motorrad verliert. Krüger rutscht über die geneigte Fahrbahn und stürzt. Emil Borchardt, Schrittmacher des nachfolgenden Schweizer Radsportlers Fritz Ryser, versucht auszuweichen und reißt den Lenker seines Motorrads um. "Bei dem scharfen Tempo vermochte er aber die Maschine nicht zu halten. Sie lief in waagerechter Haltung ungefähr zehn Meter an der Balustrade entlang und flog dann in hohem Bogen mitten zwischen die Zuschauer", ist später im "Sport-Album der Radwelt" zu lesen. Inmitten der Menge explodiert der Benzintank des Motorrads, die hölzerne Tribüne steht sofort in Flammen. Sechs Menschen sterben, 40 werden zum Teil schwer verletzt.

Ein "schwarzer Sonntag": Sechs Tote und mehr als 40 Verletzte

Ein Fotograf hält die Schreckensszenerie nach dem Unglück fest: Motorradwrack, Rauchsäule, Menschengewühl. Im Vordergrund greift sich eine Frau im Sonntagskleid ins Haar. Das Bild geht um die Welt. Für den Sportjournalisten Fredy Budzinski ist es ein "Schwarzer Sonntag". Es ist das bis dato schwerste Unglück im Berliner Radsport – und das ausgerechnet am Eröffnungstag der neuen Freiluftbahn auf dem Gelände des heutigen Kleistparks in Schöneberg. Das kaiserliche Berlin ist berauscht von rasanten Wettkämpfen: Auf 14 Freiluftbahnen ziehen Radrennfahrer das sportverrückte Publikum in ihren Bann. Vier Monate zuvor wurde in einer Halle am Zoologischen Garten das erste Berliner Sechstagerennen gefahren.

Gegen den Bau der Rennbahn auf dem Gelände an der Potsdamer Straße, frei geworden durch den Umzug des Botanischen Gartens nach Steglitz, regt sich im Vorfeld aber Widerstand: Anwohner richten einen Protestbrief an die Verwaltung, weil sie eine unzumutbare Belästigung durch Lärm und Gestank befürchten. Der zuständige Kreisarzt wischt die Einwände beiseite. Vom Rennbahnbetrieb sei nicht mehr Lärm zu erwarten als vom üblichen Großstadtverkehr. Der Betriebsgenehmigung wird erteilt.

Die vollständig aus Holz errichtete Arena mit der 333,3 Meter lange Strecke im Sportpark "Alter Botanischer Garten" ist speziell für die beliebten Steherrennen ausgelegt – dabei fahren Schrittmacher auf Motorrädern voraus, in deren Windschatten kommen die Radsportler auf Geschwindigkeiten von 80 Stundenkilometern.

Am Eröffnungstag der Rennbahn treten zum Einstundenrennen prominente Radsportler an, als einziger Berliner startet der 24-jährige Arthur Stellbrink aus Treptow, der im Vorjahr Europameister geworden ist. Um kurz vor fünf fällt der Startschuss. Dann, bei Kilometer 20, die Katastrophe. "Auf der Kurvenplatzseite brennt lichterloh ein Motorwagen, Motorräder und Rennfahrer überstürzen sich, einzelne von ihnen fliegen wie abgeschossene Kanonenkugeln auf den Sandplatz des Innenraumes", berichtet ein Zeuge. "Es entstand eine furchtbare Panik." Einige Männer stürzen zu dem brennenden Motorrad, unter dem Zuschauer begraben liegen. "Die erste Verunglückte ist eine Dame. Ihre schwarze, spitzenbesetzte Kleidung steht in hellen Flammen, eifrige Hände reißen ihr die brennenden Fetzen vom Leibe, bis sie in Hose und Hemdfetzen dasteht."

Das Desaster hat Folgen: Die Sicherheitsauflagen für Rennen mit motorisierten Schrittmachern werden verschärft. Die Berliner lassen sich davon in ihrem Eifer für Radrennen nicht bremsen. Nur die Anwohner an der Potsdamer Straße haben Glück: Die Rennbahn wird im Frühjahr 1910 abgebaut und als "Olympiabahn" in Plötzensee wiedereröffnet.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter: www.tagesspiegel.de/fraktur

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