Lollapalooza in Hoppegarten: Festivals in die Stadt!
Das Lollapalooza zeigt es mal wieder: Berlin fürchtet sich vor den Auswüchsen eines großen Pop-Events. Es wird in die Peripherie abgedrängt, statt im Zentrum stattzufinden, wo es hingehört.
Kann es sein, dass der Berliner ein Problem mit Nähe hat? Touristen bitte nicht in meinem Kiez, Partys nicht in meinem Haus, und wenn, dann nur mit Vorankündigung, und keine Clubs in meiner Nachbarschaft. Deshalb wird Berlins einziges großes Festival, das Lollapalooza, seit Jahren immer weiter in die Peripherie abgeschoben. Fand es zuerst noch bequem erreichbar auf dem Tempelhofer Feld statt, wanderte es vergangenes Jahr in den Treptower Park, wo es laut gerichtlicher Bewertung zu „erheblichen Beeinträchtigungen“ der Anwohner kam. In diesem Jahr muss das Festivalvolk deswegen nach Hoppegarten reisen.
Dabei halten die zentral gelegenen Bezirke doch sonst ganz andere Volksbelustigungen aus: Helene Fischer darf am Brandenburger Tor singen, der Karneval der Kulturen und das Myfest nehmen halb Kreuzberg ein. Klar wird es bei einem Festival auch mal laut, das Gelände ist danach vermüllt, möglicherweise sind auch mal ein paar U-Bahnen überfüllt mit Hotpants tragenden Festivalgängern oder der ein oder andere übertreibt es mit dem Konsum von überteuertem Bier aus Plastikbechern.
Andererseits – ist das nicht ein ganz normaler Freitagabend am Kotti? Und was ist schlimmer: Kirchentagsbesucher mit Wanderrucksäcken, die von der Bibelarbeit am Morgen bis zur Mitternachtsandacht orientierungslos und mit geschmacklosen Schals durch die Stadt tapsen – oder ein geschaffter Festivalbesucher, der mittags vielleicht leicht vorglühend mit seinen Freunden in der Bahn sitzt, um dann spätnachts völlig erschöpft die passende Haltestelle zu verschlummern, ansonsten aber kaum im Stadtbild auftaucht?
Es kann doch nicht so schwer sein, in dieser vergnügungssüchtigen Stadt ein Rockfestival auf die Beine zu stellen. Das Lollapalooza ist nun wahrlich Mainstream genug, um eine kritische Masse an Zuschauern aus allen Altersklassen anzuziehen und damit so etwas wie einen Kulturauftrag zu rechtfertigen: Zu den Foo Fighters können die Eltern mitgrölen und ihrer Grunge-Jugend nachhängen, Flauschpanda Cro lockt die Teenietöchter und -söhne und für die Jahrgänge dazwischen gibt es die immer noch nicht totgetourten Beatsteaks. So ein generationenübergreifendes Kulturereignis verdient etwas mehr Gastfreundschaft seitens der Bezirksämter.
Viele Bands kommen gar nicht erst nach Berlin
Andere Städte machen vor, wie's besser geht: In Hamburg feiert man das Stadtparkfestival und hält nebenbei zwei Mal im Jahr über Wochen das Gekreische der Fahrgeschäfte vom Dom aus, das den Nachbarn auf den oberen Etagen noch Kilometer entfernt den Schlaf raubt. In München leben die Anwohner mit weit Schlimmerem als kurzfristig durchziehenden Scharen von Musikfans, wenn die Oktoberfestbesucher schlingernd den öffentlichen Nahverkehr und die Bürgersteige unsicher machen. Im dänischen Odense haben die Veranstalter des Tinderbox-Festivals eigens einen Pfad vom Hauptbahnhof zum Festivalgelände im Tausendjahrswald eingerichtet und machen mit Kunstinstallationen und Gauklern am Weg bereits die Anreise zum Happening. So vermeidet man apokalyptische Szenen aus im Matsch versenkten Zelten und unbrauchbar gemachten Landwirtschaftsflächen. Festivals können auch als Stadtfestivals ohne Campingbereich stattfinden.
Stattdessen zwingt Berlin Musikfans, in die Provinz zu fahren. Denn viele Bands kommen gar nicht erst her, weil sie im Sommer die großen Festivals bereisen und höchstens im Winter kleine Clubtouren spielen. Und wer blockiert schon gern ganze Wochenenden und unzählige Feierabende, um zum zehnten Mal in diesem Sommer ins Waldstadion zu gurken, wenn gleich fünf Lieblingsbands gesammelt spielen? Deswegen müssen Berliner wohl oder übel mit dem vollgepackten Auto die Ausfallstraßen dieser Stadt verstopfen oder sich mühsam mit Sack und Pack durch IC-Gänge quetschen, statt klima- und verkehrsfreundlich in der eigenen Stadt aufs Festival zu gehen. Was dann wiederum auch nicht recht ist. Vielleicht wäre ein Festival im eigenen Vorgarten dann doch nicht so übel.