324 Beschwerden über Baustellen auf Radwegen: Fahrradstraße in Berlin-Wilmersdorf verläuft nun über Gehweg
Wegen einer Baustelle ist die Prinzregentenstraße gesperrt. Radfahrer müssen auf den Gehweg ausweichen. 2020 gab es 324 Beschwerden über mangelhafte Baustellen in Berlin
Plötzlich waren sie da, die orangenen Plastikbarrieren quer über die Fahrbahn. Über Nacht war die Wilmersdorfer Prinzregentenstraße, Berlins wohl bekannteste Fahrradstraße blockiert. Was also machen die vielen Radfahrer? Sie fahren - illegal - über den Gehweg.
Für Fußgänger wurde an der Baustelle an der Ecke Badensche Straße schmale Furten frei gelassen. An Werktagen sind hier täglich bis zu 2000 Radfahrer unterwegs, in der Fahrradstraße ist eine der 17 Berliner Zählstellen installiert.
Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf reagierte schnell. "Die Beschilderung entspricht offenbar nicht der Anordnung", teilte Baustadtrat Schruoffeneger mit. Auf die Anfrage des Tagesspiegels hin hat der Bezirk die Baufirma aufgefordert, "nachzusteuern". Eigentlich sollten Schilder auf den Gehwegen aufgestellt sein "Radfahrer frei". Die Baustelle ist genehmigt bis 19. März.
Die zusätzlichen Schilder würden das Beradeln legalisieren - aber nichts an der Gefährdung von Fußgängern ändern. Das Netzwerk Fahrradfreundliches Charlottenburg-Wilmersdorf ist deshalb unzufrieden. Auch Lisa Feitsch, die Sprecherin des ADFC, kritisiert, dass Radler auf den Gehweg geschickt werden, dann werden "zwei Gruppen gegeneinander ausgespielt, die eigentlich gemeinsame Interessen haben". Und beide Gruppen bräuchten viel mehr Platz in der Stadt.
Das Mobilitätsgesetz schreibt vor, dass Radfahrer bei Baustellen sicher fahren können. Das 2018 erlassene Gesetz fordert in Paragraf 39 bei Baustellen "die Sicherstellung einer sicheren Radverkehrsführung". Wenn das nicht geht, gilt: "Müssen Abschnitte von Straßen oder anderen Elementen im Radverkehrsnetz vollständig gesperrt werden, so ist für ausgewiesene Umfahrungsstrecken zu sorgen."
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Lisa Feitsch, die Sprecherin des ADFC, nennt die Lage in der Prinzregentenstraße einfach unglücklich gelöst." Es fehle ein Schild in der Art: "Radfahrer ab hier bitte in Luft auflösen."
In Luft auflösen müssen sich Radfahrer auch direkt vor dem alten Wilmersdorfer Rathaus am Fehrbelliner Platz. Während Autos auf dem Hohenzollerndamm drei Spuren pro Richtung haben, ist der Radweg einfach gesperrt, ohne jeden Hinweis. Alle Radfahrer rollen nun - manche schnell, manchmal langsam - durch die engen Kolonnaden am Fehrbelliner Platz.
Vor Jahren hatte die Verkehrsverwaltung einen "Baustellenleitfaden" angekündigt, und zwar für September 2019. Der sei immer noch nicht fertig und es gebe nicht mal einen neuen Termin, kritisiert der Berliner ADFC. Die Verkehrsverwaltung verweist auf die Möglichkeit, mangelhafte oder falsch beschilderte Baustellen per Internet zu melden.
324 Menschen meldeten 2020 hinderliche Baustellen
Erstmals liegen Zahlen vor: Im vergangenen Jahr 2020 meldeten 324 Menschen eine Baustelle in dem System. Ziemlich genau die Hälfte (162) Hinweise gingen zu Baustellen ein, für die die Bezirke zuständig waren. Lediglich zu drei Baustellen gab es mehr als eine Beschwerde. Diese Zahlen nannte die Sprecherin der Verkehrsverwaltung, Constanze Siedenburg, jetzt dem Tagesspiegel.
Radfahrer oder Fußgänger können also alle Baustellen beim Senat melden. Hinweise zu Straßen in Bezirks-Verantwortung werden sofort an die zuständigen Bezirksämter übermittelt, sagte Siedenburg. Bei Baustellen in Senatszuständigkeit erfolge "in der Regel die Überprüfung vor Ort, da unsere Erfahrungen gezeigt haben, dass der überwiegende Teil der Hinweise auf eine unzureichende Umsetzung von korrekt angeordneten Sicherungen beruht".
Kürzer formuliert: Die Ämter zeichnen korrekte Pläne, die Baufirmen schludern. Wie geht es dann weiter? "Die Baufirmen werden aufgefordert, den angeordneten Zustand herzustellen. Mitunter wird die Polizei bei Bedarf hinzugezogen", berichtete die Sprecherin der Verkehrsverwaltung. "Dieses Vorgehen ist in den meisten Fällen erfolgreich. In schwerwiegenden Fällen werden bei der Polizei Anzeigen ausgelöst."
Kritischer sieht der ADFC den Erfolg der Meldestelle. Die Mails werden angeblich weitergeleitet an die Bezirke, berichtet Lisa Feitsch, teilweise dann aber "trotz mehrfacher Mahnung nie behoben. Grundsätzlich läuft es mit den Baustellen nicht gut", sagt Feitsch, und zwar berlinweit.
In Charlottenburg-Wilmersdorf läuft das Meldeverfahren laut ADFC City-West "einigermaßen gut, man bemüht sich, auch wenn man schon mal mehrere Tage oder Wochen auf eine Antwort warten muss". Auch im Fall Prinzregentenstraße haben die Baufirmen diverse Schilder einfach vergessen. Dies geht aus dem "straßenverkehrsbehördlich angeordneten Verkehrszeichenplan" des Bezirks hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt.
Zu der Baustelle am Fehrbelliner Platz konnte das Bezirksamt nichts sagen - Hauptstraßen seien Sache des Senats. Allerdings habe sich ein Mitarbeiter die Stelle bereits angesehen und eine Meldung an die Senatsverkehrsverwaltung geschickt.
"Auch ohne Meldeverfahren muss es möglich sein, Baustellen so zu organisieren, dass es nicht auf Kosten des klimafreundlichen Verkehrs geht", meint ADFC-Sprecherin Feitsch. Schon im vergangenen Jahr war die Prinzregentenstraße monatelang wegen einer Baustelle der Wasserbetriebe gesperrt. Auch damals waren Radfahrer völlig vergessen worden, auch damals mussten sie über den Gehweg schieben.