Was der Radfahrer über Berlin denkt: Schlechte Wege, gute Stimmung
Kaum genutzte Leihräder, gute Erreichbarkeit, zugeparkte Radwege – wie zufrieden sind die Berliner mit ihrer Fahrrad-Infrastruktur? Wir haben mal nachgefragt.
Radfahren in der Stadt kann eine ebenso angenehme wie strapaziöse Erfahrung sein – gerade in Berlin, wo es vom breit ausgebauten Radweg in beide Richtungen bis hin zur schmalen, ungepflegten Holperpiste alles gibt. Wie angenehm oder strapaziös ermittelt der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) derzeit in Zusammenarbeit mit dem Bundesverkehrsministerium mit dem „Fahrrad-Klima-Test“: Noch bis zum 30. November können Radfahrer per Online-Formular beantworten, ob in ihrer Stadt die Radwege gut gepflegt werden, es häufig Konflikte mit Autofahrern gibt, Räder gestohlen werden oder genügend Abstellmöglichkeiten vorhanden sind.
Bis zum 30. Oktober hatten sich bereits 2 349 Berliner an der Umfrage beteiligt. ADFC-Landesgeschäftsführerin Eva-Maria Scheel rechnet damit, dass die Teilnehmerzahlen vom letzten Fahrrad-Klima-Test 2012 deutlich überschritten werden: Damals gaben von rund 80 000 Personen auch 2375 Berliner ihre Meinung ab, die Hauptstadt landete unter 38 Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern lediglich auf Platz 24. Die Umfrage – die größte ihrer Art in Deutschland – findet bereits zum sechsten Mal statt, die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2015 veröffentlicht werden.
Pauschalurteil zum Fahrrad-Klima kaum möglich
Wir wollten jetzt schon wissen, wie die Berliner ihre Stadt bewerten, zum Beispiel den Zustand der Radwege? "Die Wege sind befriedigend, aber manchmal gibt es schlicht keine", sagt der 47-jährige Jörn Ruebsam. Andere werden deutlicher: "Die Wege sind fast immer schlecht, viele Schlaglöcher, Wurzeln und Ähnliches", sagt der 19-jährige Maximilian Kaudelka, der meist in Kreuzberg und Neukölln unterwegs ist. "Mit dem Rennrad kann man oft nur auf der Straße fahren, aber da sind halt die Autos."
Ein Pauschalurteil lässt sich jedoch nicht feststellen: Fast alle Befragten sagen, dass es sehr darauf ankomme, wo man fährt. "Einige Strecken sind o.k., andere schlecht oder nicht vorhanden", so der 20-jährige Berliner Till Runge, der zusammen mit zwei Freunden den Blog „Alle Macht den Rädern“ betreibt. So schwanken die Meinungen: "In der Innenstadt fühle ich mich nicht von den Autos bedrängt, mit den Ampelphasen habe ich auch kein Problem", sagt Gerhard Plagens. Der 79-jährige fährt auch oft am Teltow-Kanal entlang: "Das ist sehr angenehm."
Radwege überwuchert und nicht gefegt
Randbezirke sind kein Garant für gute Radpisten: „Ich fahre meist in Teltow, hier gibt es noch viele alte Radwege mit Bäumen am Rand, wo die Wurzeln durchkommen und die nicht gefegt werden“, sagt eine 40-jährige Berlinerin, die an manchen Tagen 20 bis 40 Kilometer auf dem Rad zurücklegt. "Aber die Situation hat sich in den letzten drei Jahren schon verbessert."
Ähnliches beobachtet Runge: „Gerade bei der Wartung hat sich in den letzten Jahren viel getan.“ Eine Sicht, die andere nicht teilen können: „Die Wartung ist sehr schlecht, im Winter wird alles vom Bürgersteig auf die Radwege gekehrt“, sagt der 25-jährige Rennrad-Fahrer Eric Brauer, der bei einem Fahrrad-Händler arbeitet.
Mehr Kontrollen gegen Falschparker
Einig sind sich hingegen alle, dass Radwege viel zu oft von in zweiter Reihe parkenden Autos blockiert werden: „Das ist immer wieder ein Schwerpunkt in der Unfallstatistik“, sagt Eva-Maria Scheel. "Es muss dringend mehr kontrolliert werden!" Die Ursache liegt nicht nur am inkonsequenten Durchgreifen der Ordnungshüter, sondern auch in der Stadtplanung: "In Berlin gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Städten so gut wie keine Ladezonen für den Wirtschaftsverkehr", sagt Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion.
Gelbhaar weist jedoch darauf hin, dass die Bezirke unterschiedlich in ihrem Engagement bewertet werden müssen: „Das Ordnungsamt Marzahn-Hellersdorf zum Beispiel hat kaum Personal dafür, aber in Mitte, Pankow oder Charlottenburg gibt es genügend Leute, die nur für Parkraumbewirtschaftung zuständig sind.“ Gelbhaar findet, dass der Senat einerseits eine insgesamt gute Radverkehrsstrategie formuliert habe, andererseits aber weder ausreichend Personal noch Finanzmittel bereitstellt, um die formulierten Ziele auch zu erreichen. Scheel ergänzt: "Der Nationale Radverkehrsplan der Bundesregierung sieht vor, dass bis zu 15 Euro pro Person für Radverkehrsinfrastruktur ausgegeben werden müssten. In Berlin sind liegt dieser Wert bei knapp zwei Euro."
Man kommt gut durch in Berlin
Doch es gibt auch Lichtblicke: "Zum Beispiel werden immer mehr Einbahnstraßen für Radfahrer freigegeben", sagt Till Runge. Zudem gibt es 17 Fahrradstraßen in der Hauptstadt. Die meisten Berliner finden, dass man schnell von A nach B kommt. "Man kommt gut durch", findet der 42-jährige Christian Weyer, der regelmäßig zwischen Tegel und Lichterfelde unterwegs ist. Negativ bewertet er jedoch die Sicherheit: „Gerade in Mitte gibt es oft Konflikte auf Kreuzungen, wo man von Rechtsabbiegern geschnitten wird.“ „Ich wurde letztens fast von einem LKW erfasst“, fügt seine Frau Kirstin hinzu.
Das liegt nicht nur an rücksichtslosen Verkehrsteilnehmern, sondern auch an der schlechten Wegeführung: „Radstreifen enden häufig einfach und die Radler sollen sich dann abrupt in den Autoverkehr einfädeln; so ist es zum Beispiel an einigen Stellen am Hermannplatz und an der Karl-Marx-Straße“, sagt Runge. Ähnliches gilt für Gerangel mit Fußgängern: "Leider gibt es immer wieder Radwege, die durch Bushaltestellen durchführen."
Mitnahme in den Öffentlichen problematisch
Konflikte gibt es auch bei der Mitnahme von Rädern in Bus und Bahn: „Im Bus geht es nicht, außer der Fahrer ist sehr nett, und in der S-Bahn gibt es zwar Stellplätze, aber da sitzen dann auch Leute“, sagt Maximilian Kaudelka. Auf der anderen Seite gebe es Städte wie Freiburg – 2012 auf Platz zwei im ADFC-Ranking – wo man nicht einmal kaputte Räder mit in die Bahn nehmen dürfe, so Runge.
Ein spezieller Fall ist das Leihrad-System „Call a Bike“ in Berlin: „Es ist falsch konzipiert“, sagt Stefan Gelbhaar. „Die etwa 1700 Räder werden im Jahr nur rund 200 000 Mal bewegt, also viele Räder nicht mal jeden Tag – in Städten wie Paris liegt diese Zahl bei 20 Millionen Nutzungen im Jahr.“ Dies liege unter anderem daran, dass man die Räder nicht überall in der Stadt abstellen könne und dass die erste Stunde der Nutzung nicht kostenlos sei – so wie in Stuttgart oder Hamburg. Was Gelbhaar besonders ärgert: Der Vertrag mit dem aktuellen Betreiber Deutsche Bahn läuft Ende des Jahres aus, ein neuer Betreiber ist noch nicht gefunden: „Das hat der Senat schlicht verschlafen.“
Doch bei aller Kritik: Insgesamt sind die Berliner mit dem Fahrrad-Klima in ihrer Stadt erstaunlich zufrieden: „Ich würde insgesamt sieben von zehn Punkten vergeben“, sagt Maximilian Kaudelka. „Ich gebe eine zwei, also ‚gut'“, resümiert Gerhard Plagens. „Es macht Spaß – sonst würde ich es nicht machen!“, sagt eine Berlinerin. „Die Berliner fahren gerne Rad und es werden immer mehr, sie haben eine hohe Affinität zum Radfahren und sehen den Zeitvorteil und den Gesundheitsaspekt“, sagt Gelbhaar. Es sei erstaunlich, dass die Politik dies so wenig aufgreife, findet Till Runge: „Man könnte mit wenigen Investitionen viele Leute bewegen. Berlin ist sicher nicht das große Vorbild in Sachen Rad, aber von den Chancen her sind wir ganz vorne mit dabei.“