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U-Bahnlinie 55: Luxus im Fünf-Minuten-Takt

Die kurze U-Bahnlinie 55 ist ein kostspieliges Kuriosum im Netz der BVG. Viele Fahrgäste gibt es zwar nicht, aber Touristen finden die Linie trotzdem ganz praktisch.

Trödeln darf er nicht. Schließlich hat Helmut Bett nur zwei Minuten Zeit und einiges zu erledigen: Seinen Platz räumen, seine Tasche greifen, die gut 30 Meter an den zwei Waggons entlanglaufen und auf der anderen Seite wieder ins Fahrerhäuschen klettern. Und schon geht es wieder weiter. In die entgegengesetzte Richtung. Drei Minuten Fahrt und wieder von vorn. 7.45 Uhr Hauptbahnhof – Bundestag – Brandenburger Tor. 7.50 Uhr Brandenburger Tor – Bundestag – Hauptbahnhof. 7.55 Uhr … Sechsmal hin und zurück schafft es die U 55 in einer Stunde. Und so wird es mindestens noch sieben Jahre weitergehen. Bis der Anschluss der U 5 zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz fertig sein soll, deren Bau der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit vor kurzem mit einem symbolischen Spatenstich eröffnete. Solange fährt Helmut Bett hin und her. Doch nutzt dieses Angebot überhaupt jemand?

Ganz leer ist der Zug an diesem Morgen nicht. Aber voll auch nicht gerade. Während sich um diese Zeit in den anderen Linien der Stadt, die Berufstätigen wie Sardinen aneinanderpressen müssen, fühlt man sich in der U 55 wie in einer Luxuswelt. Das Angebot an Sitzplätzen ist groß, auch zu Stoßzeiten sitzen nur höchstens 40 Leute in den zwei Waggons des einzigen Zuges auf der Strecke. Rund 6000 Fahrgäste täglich sollen es nach BVG-Angaben sein. Der Spitzname „Kanzler-U-Bahn“ trifft es durchaus: Die meisten, die hier um acht Uhr die Beinfreiheit genießen, arbeiten im Bundestag oder dem Kanzleramt. Einige auch am Hauptbahnhof. Wie Georgios Kostudis, der bei der Deutschen Bahn im Controlling sitzt. Wenn der 47-Jährige von seiner Wohnung am Botanischen Garten zum Hauptbahnhof will, könnte er alternativ über die Friedrichsstraße fahren – nur ist dort morgens die Hölle los. Die geräumige Mini-U-Bahn findet er deswegen klasse. Genauso geht es Heike Reichert, die mit ihrer dreijährigen Tochter Maya jeden Tag die U 55 zum Bundestag nimmt. Sie arbeitet bei einer Fraktion, die Tochter geht dort in den Kindergarten. Früher sind die beiden vom Hauptbahnhof aus gelaufen. „Mit der Kleinen ist es nun viel einfacher für mich“, sagt Heike Reichert, kurz bevor sie mit der Mehrheit der Fahrgäste genau in der Mitte, Station Bundestag, aussteigt. Manchmal ist der Wagen danach komplett leer. „Im Winter war hier deutlich mehr los“, erzählt ein Fahrgast.

Die paar Fahrgäste finden die Strecke jetzt schon attraktiv

Noch ist die U 55 komplett isoliert vom Rest des U-Bahn-Netzes. Durch die gute Anbindung an die S-Bahn finden zumindest die paar Fahrgäste, die da sind, die Strecke auch jetzt schon attraktiv. Georgios Kostudis glaubt, dass viele Berliner noch gar nichts von der Linie wissen. Im Vergleich zum Rest des Berliner U-Bahn-Netzes mit 146 Streckenkilometern wirkt dieser lediglich 1,8 Kilometer lange Abschnitt wie eine eigene, unwirkliche kleine Welt. So neu, so sauber, so menschenleer. „Es ist etwas ganz anderes“, findet Fahrer Helmut Bett. Der 56-Jährige möchte gern bis zu seiner Pensionierung auf dieser Linie fahren. Dadurch, dass er alle fünf Minuten von einem Ende des Wagens zum anderen laufen muss, legt er gut zwei Kilometer pro Dienst zurück, während er auf anderen Linien zwischen 40 und 50 Minuten geradeaus fahren würde. Die Bewegung tut Helmut Bett gut. Dreimal pro Schicht wird er vom Bahnhofsmanager Frank-Ulrich Störring abgelöst, „damit er nicht rammdösig wird“, sagt der. „Wenn man siebeneinhalb Stunden immer nur hin und her fährt, dann wird jeder irgendwann verrückt.“ Dieser Rollenwechsel zwischen Bahnhofsmanager und Fahrer ist in Berlin einmalig. Für Störrig ist es eine willkommene Abwechslung. „Das Arbeiten auf der U 55 ist das angenehmste überhaupt“, sagt der 46-Jährige.

Eine französische Schulklasse steigt ein. Ab 9 Uhr übernehmen die Touristen fast vollständig. Es wird immer lauter und bunter. Rund 50 Prozent der Kundschaft ist hier von auswärts, schätzt Störring, der wie sein Kollege oft nach Auskünften gefragt wird. Diesen Kontakt zu den Fahrgästen finden die zwei angenehm. „Die Leute freuen sich über die schönen Bahnhöfe und darüber, dass man ihnen hilft“, erzählt Störring. Negative Äußerungen von Kunden gebe es selten.

Während die 20 Jungen und Mädchen aus Paris über die „niedliche“ Mini-U- Bahn scherzen, ist Werner Mogalle gar nicht zum Lachen zumute. Der 69-Jährige ist an diesem Morgen gekommen, um sich mal selbst ein Bild zu machen, „wo schon wieder das Geld verbraten wurde“. 320 Millionen hat dieser Abschnitt gekostet, weitere 433 Millionen sollen es für den Rest der Strecke werden, bis zur geplanten Eröffnung 2017. Werner Mogalle ärgert die neue Linie, die in seinen Augen niemand braucht. Die Bahnhöfe findet der Rentner „pompös“ und sagt: „Wenn sie was machen, dann machen sie es richtig.“ Wie ein Lob klingt das nicht. Bei der BVG ist man hingegen zufrieden. Das Fahrgastaufkommen sei sogar etwas besser als erwartet, sagt Sprecher Klaus Wazlak. „Und es würde keinen Sinn machen, den fertigen Abschnitt nicht zu nutzen.“

Dass plötzlich alles anders wird, wenn der Anschluss an die U 5 dann fertig ist, damit rechnet eigentlich niemand. Frank-Ulrich Störring ist davon überzeugt, dass es immer irgendwie anders bleiben wird. Als er um 9.15 Uhr wieder in den Hauptbahnhof einfährt, wartet Helmut Bett schon am Ende des Bahnsteigs. Dessen zweite Pause ist vorbei, er ist bereit, den Pendelverkehr wieder zu übernehmen. Seinem Kollegen hat er einen Kaffee mitgebracht. Eine schöne heile Welt. Anke Myrrhe

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