Radfahrer gegen Autofahrer: Der mühsame Weg zum Frieden
Das Verhältnis zwischen Autofahrern und Radfahrern ist voller Spannungen. Vielerorts wird gedrängelt, gepöbelt, gestritten. Mehr Zurückhaltung täte beiden Seiten gut. Aber der Weg zum Frieden ist weit. Ein Annäherungsversuch
Noch ist es ruhig. Ein Mann fährt mit seinem Auto an eine Kreuzung heran. Er will abbiegen, blinkt rechts und beginnt, das Lenkrad einzuschlagen. Plötzlich kommt ein Radfahrer, der aus dem toten Winkel schlüpft. Der Autofahrer tritt auf die Bremse, der Radler zieht seine Bremsen an. Passiert ist nichts, aber beide sind geladen. Wütend haut der Radler auf die Motorhaube, während der Autofahrer am Steuer gestikuliert. Es ist ein kurzer Moment der Empörung, an einem eigentlich schönen Tag. Begegnungen wie diese sind auf Deutschlands Straßen keine Seltenheit.
Unterschiedliches Autonomiebedürfnis
Manchmal genügt eine Lappalie, um aus Autofahrern und Radfahrern Feinde zu machen. Übertrieben ausgedrückt, gewiss, und für alle, die gelassen durch den Verkehr kommen, eine Anmaßung. Doch allzu häufig geraten Radler und Pkw-Fahrer aneinander. Der Verkehrssoziologe Alfred Fuhr sagt: „Autofahrer und Radfahrer sind zwei Autonome im urbanen Raum, die sich bekriegen.“ Eine einfache Erklärung für das schwierige Verhältnis könnte lauten: Autofahrer sind kompromisslose PS-Rowdys, die sich hinter Metall und ihrer Anonymität verstecken und keinen Zentimeter Platz machen. Dem gegenüber stehen die Radfahrer, die sich ökologisch und moralisch im Recht fühlen und als Ausdruck ihrer Überlegenheit demonstrativ rote Ampeln überfahren und Verkehrsschilder ignorieren. Gas gegen Pedal, Fahrer gegen Lenker, Motor gegen Muskeln. So einfach kann es sein.
Doch die Realität ist komplizierter. In dieser Debatte helfen Pauschalurteile wenig. Viele Autofahrer sind auch Radfahrer - und umgekehrt. „Man sollte die Parteien nicht stigmatisieren“, sagt Andrea Häußler, Verkehrspsychologin beim TÜV Süd. Die Persönlichkeit wechselt mit dem Verkehrsmittel. Dabei bleibt eine Eigenschaft jedoch erhalten: „Man neigt dazu, die eigene Rolle voll auszuleben“, erklärt Häußler. Es gebe ein Autonomiebedürfnis, eine gewisse Freiheit, die sich auf dem Rad und im Auto unterschiedlich äußert.
Anteil getöteter Radfahrer um knapp 12 Prozent gestiegen
Laut Alfred Fuhr neigt man als Radfahrer dazu, den Verkehrsraum so optimal wie möglich auszunutzen: Fahren über Bord und Stein, quer über die Kreuzung, über den Mittelstreifen, über Gras und Gehwege - alles kein Problem. „Radfahrer sind Teilzeitbefolger des Gesetzes“, sagt Fuhr. Wechseln Autofahrer auf das Rad, können sie endlich den kürzesten Weg zum Ziel nehmen.
Umgekehrt, wenn man im Auto sitzt, ist das Freiheitsgefühl anders geartet. Im Wagen ist man geschützt - und man ist Herr über PS und die Straße. „Mit 1500 Kilogramm Stahl um sich herum fühlt man sich sicher“, sagt Fuhr. Radfahrer sind keine Gefahr, Rücksicht müssen Autofahrer um ihrer selbst willen nicht nehmen. Das kann zu Nachlässigkeiten wie einem unzureichenden Schulterblick und dem Überfahren von Fahrradstreifen führen.
Wenn Radfahrer und Autofahrer ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen, sind Unfälle programmiert. Im Jahr 2014 sind auf Deutschlands Straßen mehr als 3370 Menschen gestorben. Der Anteil getöteter Radfahrer stieg dabei nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 11,9 Prozent auf 396. Laut Deutschem Verkehrssicherheitsrat (DVR) sind die Unfälle überwiegend auf Regelverstöße anderer Verkehrsteilnehmer zurückzuführen.
Rücksicht ist eine Einstellung
Rücksicht ist das, was Verkehrsexperten immer wieder einfordern, um Unfälle zu vermeiden - von Autofahrern und von Radfahrern. Doch was einfach gesagt ist, ist nicht einfach getan. Stephanie Krone vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) fordert, dass Autofahrer, die Stärkeren auf der Straße, die Belange von Radfahrern, den Schwächeren, mehr berücksichtigen. Herbert Engelmohr vom AvD hält von der Kategorisierung in starke und schwache Verkehrsteilnehmer hingegen wenig. „Es suggeriert, dass manche die Verkehrsregeln eher befolgen müssen als andere.“
Im Straßenverkehr neigt man dazu, das Regelwerk zu vergessen, es auszublenden. Deshalb kommt viel darauf an, mit welcher Grundhaltung Auto- und Radfahrer jede Fahrt antreten. „Rücksicht ist eine Einstellung. Und diese gewinnt man nur, wenn man seine Rolle hinterfragt und sich von seinen eigenen Interessen distanziert“, sagt Andrea Häußler. Man sei nicht Autofahrer oder Radler. In erster Linie sei man Verkehrsteilnehmer. Es ist überhaupt die einzige Rolle, die maßgeblich ist. Und welche Pflichten sich damit verbinden, steht in Paragraf eins der Straßenverkehrsordnung: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“.
Alexander Tietz
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