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Ein 16-jähriger Flüchtling am Fenster seines Zimmers in einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
© Daniel Karmann/dpa

Nach dem Anschlag bei Würzburg: Experten fordern bessere Betreuung junger Flüchtlinge in Berlin

Was kann getan werden, damit Minderjährige sich nicht radikalisieren? Fachleute fordern den Berliner Senat zum Handeln auf.

Nach der Attacke eines 17-jährigen Flüchtlnigs in Würzburg haben Berliner Jugendexperten eine bessere personelle und pädagogische Betreuung der Tausenden Kinder und Jugendlichen gefordert, die zuletzt allein und ohne Eltern nach Berlin gekommen sind.

Intensiv beschäftigt sich Marianne Burkert-Eulitz, die Sprecherin für Familie, Jugend und Kinder der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, mit der Situation der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge – seit Jahresbeginn kamen schon rund 1.000 auf eigene Faust in die deutsche Hauptstadt. Die Grünen-Expertin macht wie auch das Kinderhilfswerk und der Kinderschutzbund erhebliche Versäumnisse in der Versorgung der Kinder und Jugendlichen aus.

Großes Bedürfnis nach Fürsorge und familiärem Halt

Bei weitem nicht alle der jungen Syrer, Afghanen, Afrikaner oder Asiaten seien traumatisiert. Dennoch suchen sie wie in dem Alter typisch nach Fürsorge, Wärme, Orientierung, Halt in der Fremde. Damit sie diesen nicht womöglich bei Salafisten oder Islamisten fänden, müssten die zuständigen Behörden mit Moscheevereinen zusammenarbeiten, um präventiv tätig zu werden. Zudem appelliert Burkert-Eulitz an die Senatsjugendverwaltung, ein Netzwerk zu begründen, das jedem alleinstehenden jungen Menschen einen ehrenamtlichen Betreuer und einen Vormund vermittelt.

„Die Senatsjugendverwaltung muss die elterliche Sorge in Vertretung stärker wahrnehmen, damit die jungen Menschen nicht etwa aus ihrer Passivität und infolge von Depressionen auf die schiefe Bahn geraten.“ Zudem fehle eine berlin-, bundes- und europaweite Datenbank, die die Unter-18-Jährigen erfasst und die ermöglicht, zu kontrollieren, wer wohin zieht. Darüberhinaus seien die gerade 18 Jahre alt Gewordenen eine wichtige Zielgruppe, denn sie fallen zwar laut Gesetz aus der Jugendhilfe heraus, damit sind aber natürlich nicht alle Probleme automatisch gelöst. Berlin müsse dringend mehr betreute Wohngruppen öffnen, zudem fehle es an Therapeuten. Es müsse eine neue Form der Jugendarbeit für dieses Klientel entwickelt werden.

Ähnliche Amokläufe gab es auch bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund

Bei „Familien für Kinder“, die Flüchtlingskinder an Pflegeeltern in Berlin vermitteln, hieß es, diese Kinder seien in der Regel leichtere Fälle. Wer in eine Familie vermittelt werde, sei nicht traumatisiert, aber „mit einem großen Bedürfnis nach Fürsorge und familiärem Halt“. Da die Kinder und Jugendlichen teils Kriegserfahrungen gemacht hätten, würde man künftig noch genauer prüfen, wie die Pflegeeltern psychologisch geschult werden können, wie man Pflegekinder stärken und mit den Erlebnissen umgehen könne.

Björn Eggert, der jugendpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus sagte, ähnliche Amokläufe habe es auch bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund gegeben. Möglicherweise spielten pubertäre Probleme, Mobbing oder ähnliches in die Motivlage herein. Es müsse geklärt werden, ob beim Täter von Würzburg Fehler gemacht wurden, ob er beispielsweise schon lange auf einen Therapieplatz wartete.

Jugendliche suchen sich alleine keine therapeutische Hilfe

In Berlin müssten die Clearingprozesse, die die Senatsjugendverwaltung ausbaue, noch schneller und besser laufen, fordert Eggert. Es müsste auch in innovative Präventionsangebote investiert werden, da in der Regel Jugendliche nicht alleine auf die Idee kämen, sich therapeutische Hilfe zu suchen. „Die Clearingphase, in der Herkunft, Bildungsstand, Reife, medizinische Versorgung, Schulreife und anderes geklärt wird, dauert immer noch viel zu lange“, sagt auch Burkert-Eulitz, „das ist alles vertane Zeit“. Die wenigen Stunden Betreuung durch einen Pädagogen in der Woche in einem Hostel, einer Jugendherberge oder einer angemieteten Wohnung seien viel zu wenig. Auch eine Sprecherin des Flüchtlingsrates forderte eine bessere Versorgung, warnte aber auch davor, Parallelen zu ziehen zwischen der teils unbefriedigenden Lage der jungen Menschen und der Ausnahmetat des Afghanen.

Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba sagte, es sei voreilig, jetzt aus dem Fall detaillierte Schlüsse zu ziehen. In Berlin habe sich die Clearingphase auf vier Monate verkürzt, auch dank der ambulanten Clearings. Drei Monate seien dafür regulär angesetzt. Inzwischen hätten 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die allein nach Berlin kamen, einen Schulplatz.

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