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Designerin Tonia Merz zu besseren Zeiten - vor der Corona-Krise - in ihrem Korsettgeschäft in Berlin-Mitte.
© Promo

Schnelles Geld für alle in der Corona-Krise?: Etliche unterstützen Petition für ein bedingungsloses Grundeinkommen

Eine Berlinerin fordert via Petition ein bedingungsloses Grundeinkommen für sechs Monate als Hilfe in der Corona-Krise. Ein Verein will den Volksentscheid.

Von Ronja Ringelstein

Es war Freitag, der Dreizehnte, als Tonia Merz und wohl der gesamten Bundesrepublik klar wurde, dass Wirtschaft und Leben in Deutschland nicht mehr dieselben sein würden.

In der Bundespressekonferenz hatten Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mitgeteilt, dass Unternehmen nun, angesichts der Coronavirus-Krise, Hilfe durch unbegrenzte Kreditprogramme bekommen sollen – sie betonten, es gebe keine Grenze nach oben. Die Krise werde „sehr spürbare Folgen“ haben, wenn es um die wirtschaftlichen Konsequenzen gehe, hatte Scholz gesagt

Die selbstständige Unternehmerin Tonia Merz hatte die Folgen da schon gespürt. Ihr Geschäft liegt derzeit brach. Also startete sie auf Change.org eine Petition für das bedingungslose Grundeinkommen. Über 440.000 Personen haben schon unterzeichnet. „Nach der Pressekonferenz habe ich geahnt, was auf uns zukommt, wenn die plötzlich von so viel Geld reden“, sagt Merz. Sie hatte Existenzangst.

Merz ist Designerin, hat eine Ladenwerkstatt in Berlin-Mitte, fertigt mit fünf Mitarbeiterinnen Korsetts, die millimetergenau am Kunden abgemessen werden müssen. Derzeit unmöglich. „Mit Handarbeit lassen sich in Deutschland kaum Rücklagen bilden“, sagt Merz. Dann dachte sie: „Das betrifft nicht nur mich, das betrifft verdammt viele.“

Mit der Petition wurde sie von der Sympathisantin des Grundeinkommens zur Aktivistin. Sie fordert anstelle von Hilfskrediten für einige ein Grundeinkommen für jeden, egal ob Neugeborenes oder Rentner, ob Unternehmerin oder Angestellter. Denn: Die Konjunktur werde einbrechen, in einem Klima der Angst, glaubt Merz, hielten die Leute ihr Geld fest. Wenn jeder monatlich zwischen 800 und 1200 Euro aufs Konto bekäme, begrenzt auf sechs Monate, wären alle erst mal abgesichert und die Kaufkraft bliebe erhalten.

Mit etwa 500 Milliarden Euro wäre es teuer. Zu teuer?

Das würde die Bundesrepublik aber auch Geld kosten: 500 Milliarden Euro etwa. Ist das noch im Rahmen, wenn Finanz- und Wirtschaftsminister versprechen, es gebe „keine Grenzen nach oben“? „Jetzt muss es einfach schnell gehen. Prüfverfahren für Hilfen und Kredite sind oft sehr langwierig“, sagt Merz. Allerdings räumt sie ein, dass die Soforthilfen, die durch die Investitionsbank Berlin (IBB) innerhalb weniger Tage ausgeschüttet wurden, sehr unkompliziert waren. Da lief die Petition schon – und an der hält Merz auch weiter fest.

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen als Ausweg aus der Krise? Markus Helfen, Wirtschaftswissenschaftler an der Freien Universität, glaubt nicht, dass die Petition in der Form erfolgreich sein wird, dass die Bundesregierung das Grundeinkommen einführt. Der Arbeitsmarktökonom sagt: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Thema für die Zukunftsforschung. Ich bin sehr dafür, die Diskussion darüber zu führen.“

Ökonom: Der Arbeitsmarkt, wie wir ihn kennen, passt nicht zum Grundeinkommen

Doch er ist skeptisch, dass diese Krise der richtige Anlass sei, das gesamte Sozialsystem plötzlich umzustellen. Vor Ausbruch der Coronakrise war das Arbeitsmarktumfeld in Deutschland mit einem Rekordarbeitsvolumen von 62,7 Milliarden Stunden und geringen Arbeitslosenzahlen im letzten Jahr extrem positiv. „Gleichzeitig gibt es aber eine Polarisierung am Arbeitsmarkt, es wachsen vor allem die beiden Enden: der Niedriglohnsektor und der hoch qualifizierte Dienstleistungssektor“, sagt Helfen.

Er glaubt, dass man für eine positive Veränderung eher bei dieser Schere ansetzen müsste. „Ein bedingungsloses Grundeinkommen passt nicht zu den aktuellen Verhältnissen am Arbeitsmarkt, aber wenn sich diese Polarisierung fortführt, muss man übers Grundeinkommen und ergänzende Ansätze diskutieren.“ Die Frage sei auch ohne Krise: Wie sehen Wirtschaft und Arbeitsmarkt in 20 Jahren aus, wenn Digitalisierung und künstliche Intelligenz sich weiterentwickeln?

Ein Berliner Verein will das Grundeinkommen erproben, in fünf Bundesländern

Mit Blick auf die Zukunft will sich der Berliner Verein „Expedition Grundeinkommen“ mit dem Thema auseinandersetzen – und die Bundesländer mit Volksentscheiden zum Handeln zwingen. In Berlin startet diese Woche die Unterschriftensammlung. Nicht einfach, wenn Kontaktverbot herrscht. Der Verein hat sich 2019 gegründet. Zu acht arbeitet das Team an der Umsetzung eines Modellversuchs in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein.

Das Volksgesetzgebungsverfahren ist auf Länderebene bindend. „Wir wollen alle drei Etappen – erst die Volksinitiative, dann ein Volksbegehren und dann einen Volksentscheid – in allen fünf Bundesländern durchführen“, sagt Leonie Schraven, die Juristin und Wirtschaftspsychologin und Mitglied des Vereins ist. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf haben sie, angepasst an das jeweilige Landesrecht, erarbeitet. Der Verein plant, 2021 über das bedingungslose Grundeinkommen abstimmen zu lassen. Wo sich genügend Menschen dafür aussprechen, wird es ab 2023 getestet.

In Berlin startet nun die Volksinitiative für einen Modellversuch

Durchführen muss das Land den Modellversuch selbst, den Auftrag ausschreiben und an ein Forschungsinstitut vergeben. „In dem Gesetz steht alles, was aus unserer Sicht wichtig war. Aber wenn es beschlossen ist, geben wir das aus der Hand“, sagt Vereinsmitgründerin Laura Brämswig. In Berlin sind 3500 Menschen für den Versuch geplant. Die Einzelheiten soll das Institut nach sozialwissenschaftlichen und ethischen Standards ausarbeiten.

Sie hat den Berliner Verein „Expedition Grundeinkommen“ mitgegründet: Laura Brämswig.
Sie hat den Berliner Verein „Expedition Grundeinkommen“ mitgegründet: Laura Brämswig.
© privat

„Es gibt so viele Fragen zum Grundeinkommen. Wünsche und Hoffnungen, aber auch Ängste. Ich denke, wenn wir nicht einmal prüfen, ob das überhaupt eine Option sein könnte, dann verpassen wir als Gesellschaft eine Chance“, sagt Brämswig. In Hamburg hat die Initiative das erforderliche Quorum für die erste Stufe schon erreicht. 80 Prozent der Unterschriften hätten sie auf der Straße bei Großveranstaltungen gesammelt, sagt Brämswig.

Ein Modellversuch könnte viele Antworten bringen

Durch das Virus müssen sie für Berlin umdenken und mehr über Briefumfragen erreichen. Für den Volksentscheid braucht es Unterschriften auf Papier, anders als für eine nicht bindende Online-Petition. Die Strategie des Vereins ist damit eine andere als die von Tonia Merz.

„Es wird irgendwann weitergehen mit dem politischen und gesellschaftlichen Leben. Wir unterstützen die Idee, dass man ein Ad-hoc-Grundeinkommen einführt, um der Krise entgegenzuwirken. Aber wenn man das langfristig einführen will, muss man viele Fragen klären“, sagt Brämswig. Den Aufwind, den die Krise der Debatte gebracht hat, wollen sie nutzen, um die Diskussion weiterzuführen.

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