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Die Erinnerung stirbt nie. Täglich kommen Touristen und Berliner zum Gedenkort für Jonny K. am Alexanderplatz.
© Christian Mang

Nach den Urteilen im Fall Jonny K.: Es kann jeden treffen

Nach dem Urteil gegen die Totschläger von Jonny K. herrschen an der Gedenkstelle Unmut und Unsicherheit: Viele halten das Urteil für zu milde. Doch es gibt etwas, für das sie sich engagieren wollen.

Das Echo dieses sinnlosen Todes hatte man selbst in den kleinen Gemeinden Vorarlbergs vernommen. „Schau, das ist die Gedenkstätte für Jonny K.“, sagt der 23-jährige Martin zu seiner ein Jahr jüngeren Freundin. Die beiden österreichischen Touristen sind an diesem Donnerstag eher zufällig auf die unter einem schwarz-grünen Baldachin verborgene Gedenkstelle für den vor zehn Monaten am Alexanderplatz zu Tode geprügelten und getretenen 20-Jährigen gestoßen. Dabei war Jonny K. doch nur einem Freund zur Hilfe gekommen.

Die Freunde und Angehörige hatten am Abend vor der Urteilsverkündung den Ort hier vor der Einkaufspassage am Roten Rathaus noch einmal schön hergerichtet: Vasen für die zahlreichen Blumensträuße bereitgestellt, Briefe und Grußkarten geordnet, zwei Pinnwände für weitere Nachrichten aufgestellt.

Martin L. findet die Gedenkstelle gut: „Er darf nicht vergessen werden, weil er Zivilcourage gezeigt hat – und das ist in einer Großstadt viel schwerer als bei uns in den Dörfern, wo man sich kennt.“

Christoph Conradi aus Frankfurt am Main stimmt dieser Einschätzung zu. „Er wollte helfen und musste durch sinnlose Gewalt sterben, das ist extrem traurig“, sagt er und findet das gerade verkündete Urteil mit Haftstrafen zwischen zwei und viereinhalb Jahren viel zu milde. „Die Jungen haben einen Menschen getötet“, sagt er. „Die hätten nie wieder rausgedurft.“

„Immerhin müssen sie ins Gefängnis“, sagt Lilli Latwat. Die 82-Jährige wohnt seit 57 Jahren in Friedrichshain und kommt oft ins Eiscafé Lampe am Alexanderplatz. Es stört sie überhaupt nicht, dass direkt davor die Kerzen für Jonny K. brennen. Ganz im Gegenteil: „Wenn das hier nicht wäre, hätte man die Täter freigesprochen“, ist sie überzeugt. „Es ist furchtbar, dass hier in Berlin immer wieder so etwas passiert.“

Bettina und Markus Haubner aus Neumarkt in der Oberpfalz haben ihrer Tochter deshalb sogar ein Auto finanziert. „Sie ist 22 und studiert hier in Berlin“, erzählt Markus Haubner. „Wir möchten einfach nicht, dass sie abends oder nachts mit der U- oder S-Bahn fährt. Die Sache mit Jonny K. war ja leider auch kein Einzelfall.“ Und seine Frau fügt hinzu: „Unser Sohn ist jetzt 18 Jahre alt und er möchte Polizist werden. Ich bin schon in großer Sorge, weil doch gerade auch Polizisten in letzter Zeit immer wieder angegriffen wurden.“ Die zunehmende Gewalt sei aber durchaus kein Berliner Problem, betonen alle Touristen, die an diesem Tag länger oder kürzer vor den Blumen und Bildern von Jonny K. verweilen. Egal, ob sie aus Hessen, Bayern oder Baden-Württemberg kommen, alle sind der Ansicht: Das kann auch bei uns, das kann überall passieren.

Zwei 18- und 19-jährige Mädchen aus Schwaben haben lange vor den Blumen gestanden und sind dann die paar Schritte zum Drogeriemarkt zurückgelaufen, um eine Kerze zu holen. Mehrere Dutzend Lichter brennen schon unter dem Baldachin – „viel mehr als sonst“, wie Marian Kaffke auffällt. Der 24-Jährige kellnert im Eiscafé, findet das Urteil gegen die Schläger zu milde und die Idee, hier eine dauerhafte Gedenktafel für Jonny K. aufzustellen, gut. „Jede Erinnerung und jedes Zeichen gegen Gewalt ist wichtig“, sagt er. „Denn es kann jeden von uns treffen.“

Das Zeichen wird es geben, darin sind sich jedenfalls die Angehörigen von Jonny K. und die Bezirkspolitiker von Mitte einig. Erst vor acht Wochen war am U-Bahnhof Kaiserdamm eine Gedenktafel für den 23-jährigen Giuseppe Marcone enthüllt worden, der dort im September 2011 auf der Flucht vor Schlägern in ein Auto rannte und starb. Die von seinen Angehörigen und Freunden gegründete Stiftung plant auch ein größeres Mahnmal gegen Gewalt – für alle Opfer, auch für Jonny K. Dessen Schwester Tina möchte aber erst einmal eine Bodenplatte mit einem Handabdruck ihres Bruders an der Stelle in den Boden einlassen, wo jetzt die Blumen und Kerzen stehen.

Die 82-jährige Lilli Latwat findet das gut. „Ich würde dafür gern etwas spenden“, sagt sie. „Und viele meiner Bekannten auch. Aber mit dem Internet kennen wir uns nicht aus. Vielleicht sollte man hier im Eiscafé mal eine Sammelbüchse aufstellen.“

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