Gescheiterter Energie-Volksentscheid: Es hat nicht gefunkt
Nach der verlorenen Abstimmung schwanken die Aktivisten für den Berliner Volksentscheid Energie zwischen Frust und Trotz. Es reichte nur zu einem Achtungserfolg.
Vielleicht hat er es schon geahnt. Am Abend des Volksentscheids steht Stefan Taschner, Sprecher des Berliner Energietischs, auf der Wahlparty in der Saarbrücker Straße zurückgezogen neben der Bühne. Reglose Gesichtszüge. Wenn er überrascht ist, lässt er es sich nicht anmerken.
Das Quorum ist verfehlt, der Volksentscheid gescheitert. Denkbar knapp. Wo vorher die Unterstützer noch tanzten und Transparente hochhielten, kehrt nun bedrückte Stille ein. Zweieinhalb Jahre hatten sie auf die Abstimmung hingearbeitet. Alle Mühe ist verpufft mit dem Druck auf den Refresh-Knopf am Laptop, per Beamer wird das Abstimmungsergebnis an die Wand geworfen.
"Wir haben doch gewonnen, irgendwie!"
24,1 Prozent der Wahlberechtigten stimmten mit Ja. Zu wenig. Ein letztes Mal ergreift Taschner das Mikrofon. Er, den sie zum Gesicht und zur Stimme des Bündnisses gemacht hatten, hat seinen letzten großen Auftritt. „Die ganze Stadt redet jetzt über Energiepolitik“, ruft er, wieder ganz Campagnero. „Das ist unser Erfolg und den lassen wir uns nicht kleinreden.“ Und etwas leiser: „Wir haben doch gewonnen. Irgendwie.“
Unten vor der Bühne liegen sich die Unterstützer in den Armen. Vor Enttäuschung. Vor Erschöpfung. Andreas Otto, Umweltexperte der Grünen, hat sich mit einem Weizenbier in den Garten zurückgezogen. „Ich habe schon Schlimmeres erlebt“, sagt er trotzig. Der Senat könne die große Zustimmung ja nun nicht ignorieren. „Vor allem müssen wir darüber reden, dass die Abstimmung über Volksentscheide künftig nicht mehr von einer Wahl wegverlegt werden kann. Das ist unredlich.“
Knapp verfehlt ist auch daneben
Die Koalition aus SPD und CDU hatte den Termin vom Tag der Bundestagswahl auf den 3. November gelegt. Ein kalkulierter Schritt, um die Wahlbeteiligung zu senken? Drinnen geben sich die Aktivisten schon wieder kämpferisch: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten“, rufen sie. Schuldige sind schnell gefunden an diesem Abend. Doch so ist es nun mal: Knapp verfehlt ist auch daneben. Die Organisatoren des Volksentscheids können sich nur damit trösten, in den grün und links gestrickten Stadtregionen einen Achtungserfolg erzielt zu haben.
Friedrichshain-Kreuzberg stand zweifellos an der Spitze der Bewegung für eine ökologisch und sozial orientierte Energiepolitik. Dort stimmten 34,3 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja, lediglich 2,6 Prozent mit Nein. Kein anderer Bezirk erreichte ein ähnlich hohes Ergebnis. Lediglich in Pankow, Treptow-Köpenick und Charlottenburg wurde auch das Quorum von 25 Prozent Ja-Stimmen der wahlberechtigten Berliner erreicht.
Wahlergebnis teilt Berlin in zwei Hälften
Schaut man sich das Ergebnis im Detail an, lässt sich Berlin in zwei Hälften teilen: In den innerstädtischen Regionen (einschließlich der Ost-Bezirke), in denen SPD, Grüne und Linke dominieren, wurden besonders viele Befürworter des Volksentscheids mobilisiert. Von den Abstimmungsteilnehmern stimmten dort 84 bis 93 Prozent mit Ja. Dagegen gelang es den Gegnern des Volksentscheids, in den westlichen, eher bürgerlichen Bezirken ihre Klientel zu bewegen, an der Abstimmung teilzunehmen und mit Nein zu stimmen. In Reinickendorf votierten beispielsweise mehr als 26 Prozent der Teilnehmer gegen die Forderungen des Energietischs, das entspricht 7,1 Prozent aller Abstimmungsberechtigten.
Die hohe Beteiligung der Bürger am nunmehr vierten Berliner Volksentscheid war zwar ein Beleg dafür, dass dieses Instrument der direkten Demokratie ernst genommen wird. Aber zum dritten Mal blieben die Organisatoren einer solchen Abstimmung erfolglos. Es fehlten rund 21000 Stimmen. Der Volksentscheid zur Offenlegung der Wasserverträge von 2011 bleibt also vorerst der einzige Beweis dafür, dass die Bürger mit einem Plebiszit auch mal die Rolle des Parlaments übernehmen können.
Volksabstimmungen bleiben ein risikoreicher Kraftakt. Obwohl in diesem Fall Parteien, Verbände und Initiativen den Berliner Energietisch unterstützten und rund 210000 Euro aus Geld- und Sachspenden diverser Stiftungen, Fonds und Initiativen dem Volksentscheid zugute kamen, stand am Ende das Scheitern. Stefan Taschner gönnt sich nun nach Monaten endlich eine Pause. Bei dem Gedanken daran kann er schon wieder lächeln.