Psychotherapie und Flüchtlinge: „Es gibt Ängste, die berechtigt sind“
Ahmed Al-hafedh ist Psychotherapeut und behandelt Flüchtlinge ebenso wie Pegida-Anhänger. Ein Gespräch über Ängste, Hass und die Grenzen der Therapie.
Ahmed Al-hafedh arbeitet als Psychologischer Psychotherapeut in Potsdam und behandelt in seiner Praxis Flüchtlinge und Pegida-Anhänger. Im Interview sagt er, was hinter der Angst vor Flüchtlingen steckt.
Herr Al-hafedh, die einen werden in der Gesellschaft als Opfer, die anderen eher als Täter wahrgenommen. Inwiefern ist das für Sie eine Herausforderung?
Für mich ist das keine Herausforderung. Dass ein Flüchtling ein Opfer ist, ist im Normalfall nicht so schwer zu greifen. Dass ein Pegida-Anhänger ein Täter ist, ist für mich nicht so selbstredend.
Warum kommen Letztere zu Ihnen?
Auf den ersten Blick ist das ein Paradox, dass ein Pegida-Anhänger bei einem Ausländer, speziell bei einem Araber, einem Iraker, in Therapie ist. Bei differenzierter Betrachtung zeigen diese Menschen aber durch ihr Kommen, dass sie gewillt sind, mit Ausländern zu leben oder so weit zu gehen, ihre intimsten Gefühle auszubreiten: Diese Leute schenken mir ihr tiefstes Vertrauen.
Wie erklären Sie sich das?
Ein paar kommen, weil ihr Hausarzt mich empfohlen hat oder weil sie im Internet mein Foto gesehen haben und mich sympathisch fanden. Manche sagen, sie wollten zu einem Therapeuten, bei dem sie das Gefühl hatten, dass er sie verstehen würde. Das ist spannend, dass sie sagen, der Araber würde sie besser verstehen als der Deutsche.
Wie äußert sich dieser Widerspruch in der Therapie?
Auf der einen Seite kommt ein Typ Mensch, der lässt seinem Frust gegen Ausländer freien Lauf bis zu einem Punkt, wo es mir unangenehm wird. Das ist für mich manchmal eine interaktive Herausforderung, bei der ich überlege: Hat der völlig vergessen, wie ich heiße? Auf der anderen Seite geht es bei der Thematik Flüchtlinge und Islamisierung letztlich um das tiefe Gefühl der Angst. Auch wenn meine Patienten nicht jeden Tag konkret darüber sprechen, ist sie sehr spürbar: „Die Flüchtlinge kommen in Massen, die stehen Schlange vor einem Gebäude, wo ich mein Büro habe. Sie machen alles kaputt, bewirken ein Chaos und sind rücksichtslos.“ Das ist ein Amalgam aus Zuschreibungen. Ein Teil davon ist nicht rational, sondern pathologisch. Ein Massenphänomen, bei dem der eine sagt: „Hast du gehört, was der Flüchtling gemacht hat?“ Und der andere erzählt: „Und die Merkel hat dieses und jenes gesagt.“ Ähnlich wie in Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“, in dem die Dorfbewohner sich gegenseitig aufwiegeln.
Was ist der rationale Teil der Angst?
Ich kann verstehen, dass diese Menschen Angst haben. Es gibt Ängste, die berechtigt sind, aber teilweise leider mit den Füßen getreten werden. Von traumatisierten Patienten erfahre ich zum Beispiel, dass es in den Flüchtlingsheimen unter Menschen aus Afrika häufig zu Messerstechereien und Schlägereien kommt. Wenn ein Polizist in so einer Situation einen Einsatz hat, dann kriegt er nur dieses Bild vor Augen. Die Polizisten, die ich behandle, sagen mir zwar nicht, dass sie Pegida-Anhänger sind. Aber sie drücken teilweise aus, dass es ihnen bis hier oben steht. Andere wieder sagen: „Ich kenne keinen Ausländer, der gut ist. Ich kenne nur kriminelle Ausländer.“
Wie reagieren Sie konkret, wenn Ihre Patienten sich menschenverachtend äußern? Zeigen Sie ihnen eine klare Grenze?
Ja, ab einem gewissen Punkt zeige ich auch eine Grenze. Das ist therapeutisch gesehen als auch für meine eigene seelische und Arbeitshygiene wichtig.
Was steckt hinter der Angst vor Flüchtlingen?
Das sind teilweise Existenzängste von Menschen, die ein geordnetes, aber finanziell knappes Leben führen. Teilweise handelt es sich um psychosoziale Ängste wie die Angst vor der Partnerin, vor dem Chef, vor Konflikten. Es kann sein, dass manche dieser Ängste auf die Flüchtlingsthematik verschoben werden. Anders ist das bei Menschen, die sich in rechtsextremen Foren und Gruppierungen engagieren. Ihnen fehlt eine stabile innere Struktur, sie haben keinen guten Zugang zu ihren Gefühlen, leiden unter einer massiven Wut. Bei ihnen findet auch eine Verschiebung statt, aber destruktiver, unkontrollierter, und sie sind leicht für rechtsextreme Ideen zu gewinnen.
Wie gehen Sie mit den Ängsten eines Pegida-Anhängers um?
Manchmal nimmt dieses Thema bei der Behandlung überhand und es kann über nichts anderes gesprochen werden. Ich versuche dann, an der Realitätsprüfung zu arbeiten: Inwieweit ist die Angst begründet? Oder die Angst vor Gewalt und Terror durch Flüchtlingszunahme. Ich nehme die Dinge ernst und gebe den Menschen Raum, um diese Ängste auszuleben. Ich bin der Psychotherapeut und arbeite mit den Schattenseiten, das heißt mit den tiefer liegenden Anteilen der Psyche, die nicht bewusst sind oder nicht nach außen getragen werden können. Aber ich bin der Meinung, dass diese Herangehensweise nicht nur in der Therapie, sondern auch sozial und politisch angewandt werden könnte. Wir sollten nicht nur mit Flüchtlingen empathisch sein, sondern auch mit deutschen Bürgern, also auch mit Pegida-Anhängern. Integration sollte überall stattfinden.
Welche Folgen hat es, wenn man diese Ängste nicht ernst nimmt?
Ich befürchte, dass eine Unterdrückung der Angst vor Flüchtlingen sowie eine Verurteilung und Tabuisierung der Sorge vor einer Islamisierung Deutschlands genau das Gegenteil bewirken könnte. In anderen EU-Ländern sind rechtspopulistische Parteien längst auf dem Vormarsch. Hinter Hass stecken meistens Angst und Gefühle des Mangels. Diese bewusstzumachen, ist der Schlüssel für viele soziale und politische Konflikte.
Würden Sie der ersten großen Pegida-Studie der TU Dresden zustimmen, dass es sich bei den meisten Pegida-Anhängern um „ganz normale Bürger“ handelt?
Ohne Zweifel. Ich sehe und verstehe, dass diese Menschen nicht im Geld baden, dass sie ehrlich sind mit dem, was sie tun, und dass sie teilweise sozial krass benachteiligt werden. Gleichzeitig stellen sie fest, Deutschland nimmt Flüchtlinge auf. Sie haben Bilder im Kopf, die nicht angemessen und rational sind, etwa von Flüchtlingen mit Handys, und entwickeln daraus eine starke Wut und Ungerechtigkeitsgefühle. Aber dann sollte man mit ihnen den Austausch suchen. Viele solcher Vorurteile und Zuschreibungen könnten aufgehoben werden.
Das Interview führte Isabel Fannrich-Lautenschläger.