Nach Rücktritt von Berliner Kulturstaatssekretär: Erstmals auch aus der SPD offen Kritik an Wowereit
Konsequenz aus Steuerhinterziehung: Der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) ist zurückgetreten. Die Opposition sieht dennoch einen Fall Klaus Wowereit. Auch ein SPD-Bundestagsabgeordneter kritisiert den Regierenden Bürgermeister.
Kulturstaatssekretär André Schmitz hat den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit am frühen Nachmittag erwartungsgemäß gebeten, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. „Ich tue diesen für mich persönlich schmerzhaften Schritt, um Schaden für das Amt und für die Berliner Kulturpolitik zu vermeiden“, teilte Schmitz mit. Er habe das Amt des Kulturstaatssekretärs seit 2006 mit viel Freude und mit großer Leidenschaft ausgeübt. „Dabei habe ich von vielen Seiten hilfreiche Unterstützung erfahren. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Es waren für mich persönlich spannende und erfüllende Jahre.“ Schmitz dankte dem Regierenden Bürgermeister für die „vertrauensvolle und aus meiner Sicht für die Stadt sehr produktive Zusammenarbeit.“
In einer ersten Reaktion auf den „Fall Schmitz“ teilte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit, dass er die Bitte des Staatssekretärs um Entbindung von seinen Aufgaben „mit Respekt zur Kenntnis“ nehme und ihr nachkommen werde. Wowereit dankte Schmitz für seine „herausragende Leistung im Interesse der Berliner Kultur“. Er habe die positive Entwicklung der kulturellen Einrichtungen der Stadt über Jahre maßgeblich geprägt. Diese Verdienste blieben auch über die „Verfehlung wegen seiner privaten Steuerangelegenheiten“ hinaus bestehen. Wowereit bat den Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning (SPD), bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers die Amtsgeschäfte des Kulturstaatssekretärs zu übernehmen.
Auch der Berliner SPD-Landeschef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh würdigten die Verdienste des zurückgetretenen Kulturstaatssekretärs. Er habe herausragende Arbeit geleistet und die Kulturpolitik in der Hauptstadt für mehr als ein Jahrzehnt maßgeblich geprägt, teilten sie in getrennten Presseerklärungen mit. Die Berliner SPD habe großen Respekt, dass Schmitz aus privaten Fehlern die politischen Konsequenzen gezogen und damit eine weitere öffentliche Diskussion um sein Amt und seine Person verantwortungsvoll abgewendet habe, sagte Stöß.
SPD-Bundestagsabgeordneter: Wowereit ging 2012 "hohes Risiko" ein
Offen Kritik am Regierenden Bürgermeister äußerte der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu aus Neukölln. Er sagte dem Tagesspiegel: „Wowereit hat 2012 die Spitzen der Partei nicht eingebunden, sondern hat allein entschieden. Weil er sich mit niemandem ausgetauscht hat, hat er auch die politische Verantwortung allein übernommen. Das war mit einem hohen Risiko verbunden.“
Senatssprecher Meng: Es gab keinen Grund für Disziplinarverfahren
Schmitz zieht damit die Konsequenz aus der Hinterziehung von Steuern. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wusste von dem Fall schon 2012, hielt Schmitz aber trotzdem im Amt. Nach Informationen des Tagesspiegels hat Wowereit nicht vor, seinen Skiurlaub wegen der Affäre, die auch ihn tangiert, zu unterbrechen. Voraussichtlich wird der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, sich vorübergehend um die Kulturpolitik des Berliner Senats kümmern, bis ein Nachfolger gefunden ist.
Senatssprecher Richard Meng sagte bei der Senatspressekonferenz am Mittag, dass es für den Regierenden Bürgermeister keinen Grund gegeben habe, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Dies sei nur notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft einen Straftatbestand sehe. Dies sei bei Schmitz aber nicht der Fall gewesen, da das Verfahren eingestellt worden sei.
Kipping sieht bei SPD "breite Lücke zwischen Reden und Handeln"
Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, griff Wowereit und die SPD im Zusammenhang mit der Affäre frontal an. "Die Affäre ist mit dem Rücktritt von Schmitz keinesfalls erledigt. Da muss sich die ganze SPD fragen, warum immer so eine breite Lücke zwischen Reden und Handeln klafft", sagte Kipping dem Tagesspiegel. "Herr Wowereit muss sich erklären, warum er aus seiner Regierung einen Schutzraum für Steuertouristen machen wollte. Herr Gabriel muss sagen, ob das Linie seiner Partei ist.“ Überhaupt sei es "absolut nicht glaubwürdig", dass ein Staatssekretär wegen Steuertourismus belangt werde und niemand außer Wowereit davon etwas gewusst haben wolle. Kipping weiter: "Ich frage mich überhaupt, welches Gerechtigkeitsverständnis ein Herr Wowereit hat. Eine Pflegerin verliert schon ihren Job, wenn sie ein übrig gebliebenes Essen mitnimmt. Wowereit wollte einen Staatssekretär stillschweigend im Amt lassen, der die Staatskasse um mehrere Tausend Euro geplündert hat." SPD und Linke hatten bis 2011 ein Jahrzehnt lang zusammen in Berlin regiert.
SPD will Steuerselbstanzeige weitgehend abschaffen
Auch die Abgeordnetenhausfraktion der Linken wirft Wowereit vor, als Dienstherr versagt zu haben. Er hätte 2012 ein Disziplinarverfahren gegen den Staatssekretär Schmitz einleiten müssen, sagte die stellvertretende Fraktionschefin Katrin Lompscher. „Das ist bei Beamten so vorgeschrieben.“ Der Regierende Bürgermeister müsse umgehend aufklären, warum er dieser Pflicht nicht nachgekommen sei, fordert die Linksfraktion. Der Berliner FDP-Landesvorsitzende Martin Lindner erklärte, Wowereit sei nicht mehr Herr der Lage. „Über seine ureigenen Personalien entscheiden jetzt andere“. Damit meinte Lindner die SPD. „Es ist Zeit für ihn einzupacken.“
Die SPD will ein weitgehendes Aus für die Straffreiheit bei geständigen Steuersündern. „Wir wollen die strafbefreiende Selbstanzeige bis zu einer Bagatellgrenze abschaffen“, sagte die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Dienstag in Berlin. „Die Bagatellgrenze ist wegen des komplizierten deutschen Steuersystems notwendig, um vor allem kleine und mittelständische Betriebe zu schützen“, betonte Fahimi. Damit ging sie über Forderungen von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hinaus, der als Konsequenz aus den jüngsten Fällen der Publizistin Alice Schwarzer und des Berliner Kulturstaatssekretärs André Schmitz (SPD) Änderungen in Aussicht gestellt hatte.
Gleichzeitig müsse aber auch die Steuerfahndung verbessert werden, so Fahimi. „Steuerhinterziehung muss mit aller Härte verfolgt werden. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.“ Die jüngsten Fälle zeigten, dass es richtig gewesen sei, dass die SPD das Steuerabkommen mit der Schweiz verhindert habe. „Jetzt melden sich viele, aus Angst erwischt zu werden. Das Steuerabkommen mit der Schweiz hätte das alles verdunkelt und Steuerkriminelle geschützt“, sagte Fahimi.
Grüne sprechen von gravierender Fehlentscheidung Wowereits
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop, sagte am Dienstag, dass sich der Regierende Bürgermeister „jetzt nicht einfach aus der Affäre ziehen“ könne. Er müsse umgehend erklären, wie er diese „gravierende Fehlentscheidung“ treffen konnte, Schmitz trotz des Steuerbetrugs nicht zu entlassen. Und er müsse erklären, warum er so lange geschwiegen habe. Pop fragte in diesem Zusammenhang, ob Wowereit 2012 das beamtenrechtlich vorgeschriebene Disziplinarverfahren gegen seinen Staatssekretär eingeleitet habe, oder ob er sich eigenmächtig darüber hinweggesetzt und nach „Wowereitschem Landrecht“ entschieden habe.
Auch nach Einschätzung der Piraten zieht der Rücktritt Schmitz' keinen Schlussstrich unter die Affäre. Wowereit müsse genau erklären, was er gewusst und warum er keine Konsequenzen gezogen habe. Nach heutigem Erkenntnisstand müsse von einer schweren Pflichtverletzung des Regierenden Bürgermeisters ausgegangen werden. Leider passe dies alles gut zu seinem Regierungsstil. Der Fall werde ein parlamentarisches Nachspiel haben.