Neue Pflegeeinrichtung für schwerkranke Kinder: Erstes Kinderhospiz in Brandenburg eröffnet
In Burg wurde das erste Kinderhospiz Brandenburgs eröffnet. Betreut werden schwerkranke junge Patienten. Die Nachfrage ist groß.
„Schon drei Tage nach seiner Geburt musste Tobias operiert werden“, erzählt Kerstin H.: „Er hatte eine Zyste am unteren Rücken. Wir hofften zu diesem Zeitpunkt natürlich, dass er ein normales Leben würde führen können.
Doch dann gab es Komplikationen. Ich war Tag und Nacht an seiner Seite und konnte es nicht fassen, als die Ärzte mir sagten, dass er wahrscheinlich schwerst behindert sein wird.“ Kerstin H. fällt es auch heute noch schwer, über die Zeit zu berichten, die ihr Leben für immer veränderte.
Doch so niederschmetternd die Diagnose auch war, keine Sekunde hätte sie daran gedacht, ihr Kind, in ein Heim zu geben, erzählt sie. Heute ist Tobias 14 Jahre alt, er leidet unter schlimmen epileptischen Anfällen und wird über eine Magensonde ernährt. Er kann nicht laufen, nicht lange sitzen, fast nichts sehen und nicht sprechen.
Aber er nimmt seine Umwelt wahr und kann sich auch mitteilen: Unwohlsein durch Weinen oder Unruhe, Wohlbefinden und Freude durch ein Lächeln. „Dieses Lächeln ist unbeschreiblich“, sagt Kerstin H.: „Schon wenn er morgens wach wird und mich anstrahlt, bin ich glücklich. Das gibt mir Kraft.“
Im Alltag erleben die Eltern kaum Entlastung
Und Kraft braucht die heute 41-jährige gelernte Floristin, die in der Nähe von Cottbus lebt, mehr als genug. Tobias war das erste Kind für sie und ihren Lebenspartner. Drei Jahre später bekamen sie noch eine gesunde Tochter. Doch die Situation mit Tobias belastete die Beziehung schwer, und so kam es – wie in solchen Fällen leider nicht selten – dazu, dass sich das Paar trennte. Seither leistet Kerstin H. als Alleinerziehende fast Übermenschliches.
Zwar geht Tobias in normalen Zeiten vormittags „zur Schule“, wo er Physio-, Ergo- und Logotherapie erhält, zwar bekommt die Familie sehr kompetente Unterstützung durch die Johanniter-Unfallhilfe, aber die Hauptlast der Versorgung trägt Kerstin H. allein. „Früher konnte ich Tobias immer mal für ein paar Stunden bei seiner Oma abgeben“, sagt sie, „aber seitdem die epileptischen Anfälle schwerer geworden sind, geht das nicht mehr.“
Im Gegensatz zum Erwachsenen-Hospiz ist dies ein Ort zum Leben
Umso glücklicher ist Kerstin H. über das am 1. Mai eröffnete „Haus Pusteblume“ in der Spreewaldgemeinde Burg. Der im Stil eines spreewaldtypischen Dreiseitenhofes gebaute Gebäudekomplex beherbergt nicht nur Brandenburgs erstes stationäres Kinderhospiz mit zwölf Plätzen, sondern auch eine ambulant betreute Wohngruppe für insgesamt acht schwerstkranke Kinder und Jugendliche. „Diese Kombination unter einem Dach ist einmalig in Deutschland“, sagt die Leiterin der Einrichtung, Daniela Konzack.
Die Cottbuserin arbeitet bei der Johanniter-Unfallhilfe, die seit Jahren den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst und die ambulante Kinderintensivpflege in Südbrandenburg betreibt: „Daher wissen wir, wie hoch der Bedarf an solchen Pflegeeinrichtungen ist. Familien mit schwerstkranken Kindern können dadurch wenigstens zeitweilig entlastet werden“.
Aufgenommen würden Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre (im Hospiz) beziehungsweise bis 18 Jahre (in der Wohngruppe), die schwerstkrank beziehungsweise intensiv pflegebedürftig sind oder die keine Chance auf Heilung haben.
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„Im Gegensatz zum Erwachsenen-Hospiz ist das hier aber vor allem ein Ort zum Leben, nicht zum Sterben“, sagt die Leiterin. Bis maximal vier Wochen könnten sich Patienten, aber auch ihre Eltern und Geschwister hier erholen. Auf dem 12.000 Quadratmeter großen Gelände gebe es dafür viele Möglichkeiten, die herrliche Umgebung lade zu Ausflügen ein, wobei die Einrichtung auf die Unterstützung vieler ehrenamtlicher Helfer hofft. Im Haus selbst befinden sich auch eine Bibliothek, kleine Werkräume, ein Kaminzimmer und eine Küche.
Die Eröffnungsfeier musste wegen Corona ausfallen
„Die zwölf Hospizplätze bedeuten zwölf Zimmer für die Kinder und Jugendlichen und zwölf fast auf Hotelniveau eingerichtete Zimmer für ihre Angehörigen“, sagt Daniela Konzack. Der Aufenthalt sei für alle kostenfrei, natürlich müssten die Kassen vorher zustimmen. Da die nächsten ähnlichen Einrichtungen in Leipzig oder Berlin sind, ist der Bedarf in der Region sehr groß – die vielen Nachfragen und Anmeldungen machen das deutlich. Und die Gründe dafür sind vielfältig, weiß Daniela Konzack: „So muss etwa bei einer plötzlich eintretenden Krankheit oder ihrer Verschlimmerung oft das Zuhause umgestaltet werden. Oder die Patienten müssen nach einem längeren Klinikaufenthalt wieder auf die häusliche Pflege eingestellt werden. Oder die Eltern wollen einfach nur mal durchschnaufen.“
Es werden noch Fachkräfte benötigt
So wie Kerstin H., die Tobias für ein paar Tage in der „Pusteblume“ unterbringen würde, um zum ersten Mal allein mit ihrer jetzt zehnjährigen Tochter in den Urlaub zu fahren. „Tobias würde in Burg ja teilweise von den gleichen Pflegern der Johanniter-Unfallhilfe betreut worden wie daheim“, sagt sie: „Er kennt sie, und ich weiß, dass ich mich hundertprozentig auf sie verlassen kann.“ Die Corona-Krise hat nun nicht nur Kerstin H. vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn die schwerstkranken Kinder und Jugendlichen sind natürlich Hochrisikopatienten.
Auch die geplante große Eröffnungsfeier der „Pusteblume“ am 1. Mai musste ausfallen.
Dafür gab es ein digitales Willkommen auf der Homepage des Johanniter-Regionalverbands Südbrandenburg mit einem virtuellen Rundgang durchs Haus. Schon in wenigen Tagen wird das erste Kind in die ambulant betreute Wohngruppe einziehen, sagt Daniela Konzack.
Auch für das Hospiz gebe es zahlreiche Anmeldungen, da seien aber die Verhandlungen mit den Krankenkassen leider noch nicht abgeschlossen.
Außerdem werden dringend weitere Pflegefachkräfte benötigt, nach denen die Johanniter schon seit Monaten suchen. „Hospizarbeit ist tatsächlich etwas Besonderes, darauf muss man sich einlassen“, sagt Daniela Konzack. Nicht jeder könne die Gewissheit ertragen, dass ein kleiner Patient eben nicht wieder gesund werde. Zumal der Kontakt zwischen Pfleger und Kind sehr viel individueller und intensiver sei – fast wie in einer Familie.
Genau das ist es aber auch, was vielen Eltern von schwerst kranken Kindern, denen Loslassen besonders schwer fällt, so schätzen: „Hier hat Tobias feste Bezugspersonen“, sagt Kerstin H.: „– und ich habe die Gewissheit, dass er gut betreut ist. Sonst würde ich ihnen meinen Jungen nicht anvertrauen.“