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Eine unwahrscheinliche Begegnung. Josephine, Pia, Vanessa und Jil (v.l.n.r.) können zur Gedenkfeier am Sonntag auch Nachfahrin Ilana Moses begrüßen. Foto: Martina Dethloff
© Martina Dethloff

Stolpersteinverlegung in Wilmersdorf: Erinnerung mit Puderzucker

Sie lasen sich durch Akten und verkauften Waffeln, um Stolpersteine zu finanzieren: Schülerinnen des Walther-Rathenau-Gymnasiums gedenken am Sonntag Wilmersdorfer Holocaust-Opfer – gemeinsam mit einer Enkelin aus Israel.

Sie lasen sich durch historische Akten und verkauften Waffeln, um Stolpersteine zu finanzieren: Vier Schülerinnen gedenken Wilmersdorfer Holocaust-Opfer – gemeinsam mit einer Enkelin aus Israel Es war ein Versuch, mehr nicht, als Martina Dethloff bei der israelischen Botschaft anrief und um Hilfe bat. Sie hätte da drei Namen und eine Adresse von 1948 aus Palästina. Ob es nicht möglich sei, die Personen ausfindig zu machen.

70 Stolpersteine wurden an der Westfälischen Straße verlegt

Einige Monate, viele Zufälle und noch mehr Recherchen später steht Ilana Moses mit Schülerinnen des Walther-Rathenau-Gymnasiums an der Westfälischen Straße in Wilmersdorf über die Stolpersteine gebeugt, die an ihre Großeltern erinnern. Sie kann noch immer nicht ganz fassen, was da geschehen ist. Sie hat „zehn Tage nicht geschlafen“, bevor sie sich Anfang Mai in Tel Aviv ins Flugzeug setzte, um in Berlin bei der Stolpersteinverlegung dabei zu sein. Am Sonntag um 12 Uhr wird Rabbiner Andreas Nachama an der Ecke Joachim-Friedrich-Straße für die insgesamt 70 Deportierten, deren Stolpersteine in dieser Wochen verlegt wurden, das Kaddisch sprechen.

 Auszubildende des Bauhofs Lichterfelde setzten die Stolpersteine in der Westfälischen Straße ein.
Auszubildende des Bauhofs Lichterfelde setzten die Stolpersteine in der Westfälischen Straße ein.
© Martina Dethloff

Damit es so weit kommen konnte, musste viel passieren. Da musste die Stolperstein-Initiative der Westfälischen Straße Paten für die 70 neuen Stolpersteine suchen, am Walther-Rathenau- Gymnasium um Unterstützung bitten und auf die evangelische Religionslehrerin Martina Dethloff treffen, die mit Ethiklehrerin Manuela Ambrosi Schüler für das Thema interessieren konnte. Diese vier Schülerinnen, Pia Krause, Vanessa Hylton, Jil Lippert und Josephine Omotoye, waren es dann, die in die Archive gingen, um Informationen über zehn Deportierte zu suchen. Sie organisierten einen Waffel-Verkauf, um zwei der Steine auch sponsern zu können. Weitere Steine wurden von Anwohnern finanziert.

Ilana Moses mit den Fotografien ihrer Großeltern väterlicherseits, die im Haus Westfälische Straße 31 lebten. Heute erinnern Stolpersteine an das Ehepaar.
Ilana Moses mit den Fotografien ihrer Großeltern väterlicherseits, die im Haus Westfälische Straße 31 lebten. Heute erinnern Stolpersteine an das Ehepaar.
© Martina Dethloff

So konnten die Schülerinnen nach und nach die biografischen Daten sammeln und erfahren, wie es die später Deportierten in den ersten Nazi-Jahren geschafft hatten, sich durchzuschlagen, wie sie umziehen mussten, ihre Arbeit verloren und schließlich nach Auschwitz kamen. Wie sie vorher noch jeden Stuhl in einem Verzeichnis notieren sollten, den sie zurückließen, wie sie noch vom Erlös der verkauften Habseligkeiten ihre letzte Stromrechnung bezahlen sollten.

Es habe sie erschüttert, wie genau die Nazis über das Grauen Buch geführt hätten, sagt Vanessa bei der Stolpersteinverlegung. Die 64-jährige Ilana Moses steht dann später mit den Schülerinnen neben den Steinen ihrer Großeltern und spricht „von einem der besten Augenblicke“ ihres Lebens. Von einem Augenblick, mit dem sie nie gerechnet hatte, bis vor einigen Monaten ein Bekannter vor ihr stand.

Ein Zufall half, die Enkeltochter zu finden

Er hatte von einem Journalisten der israelischen Zeitung Haaretz erfahren, dass die Botschaft nach den Nachkommen der Familie Moses suchte. So fügte sich alles, und so kam es, dass die jüngste Tochter des Holocaust-Überlebenden Alexander Moses, der als Minderjähriger mit seinen Geschwistern 1934 nach Palästina hatte auswandern können, bei der Verlegung der Stolpersteine für ihre Großeltern dabei sein konnte und erfuhr, dass ihre Vorfahren nicht vergessen wurden.

Nicht nur das Walther-Rathenau-Gymnasium hat die Verlegung der Stolpersteine als Möglichkeit entdeckt, ihren Schülern diesen Teil der deutschen Geschichte zu vermitteln. Auch an der Grunewald-Grundschule hat es sich eine Religionslehrerin zur Aufgabe gemacht, von der ersten Klasse an mit ihren Schülern Spuren zu suchen. Ihre Stolpersteinverlegung unter dem Titel „Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch“, wird am 15. Mai an der Delbrückstraße 17 und 19 um 10 Uhr mit einer Gedenkfeier begangen. Bis zu ihrer Flucht 1933 besuchte die Schriftstellerin Judith Kerr die Grunewald-Schule.

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