Berlin: Erich Mielke: Der Mörder als Opfer
Wie die Witwe des einstigen Stasi-Chefs ihren Mann zum Verfolgten der Nazis stilisiert – und so um eine höhere Rente kämpft
Am Tag danach war Erich Mielke in Feierlaune. Im „Lichtenberger Hof“, der Stammkneipe des Berliner Rot-Front-Kämpferbundes, wurde er mit Gejohle begrüßt. Mielke stellte sich an den Tresen und klopfte Umstehenden auf die Schultern. „Heute wird ein Ding gefeiert, das ich gedreht habe“, sagte er und bestellte Bier. Das Ding war ein Doppelmord. Am Tag zuvor, dem 9. August 1931, fielen vor dem Kino „Babylon“ in Mitte zehn tödliche Schüsse auf die Polizisten Paul Anlauf und Franz Lenk. Nach dem Mord auf dem Bülowplatz, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz, und der Feier floh Mielke mit gefälschtem Pass in die Sowjetunion. Dort begann seine Karriere als Kommunist. Nach dem Krieg wurde Mielke zum gefürchteten Chef der DDR-Staatssicherheit. Ein brutales Leben. Bis zum Machtverlust.
Erich Mielke starb vor zweieinhalb Jahren. In einem Pflegeheim schlief er ein – am Bett saß seine Frau Gertrud, eine Schneiderin, mit der er seit 1948 verheiratet war. Gertrud Mielke ist inzwischen 92 Jahre alt, in einer Plattenbauwohnung in Hohenschönhausen führt sie ein zurückgezogenes Leben. Manchmal spricht sie mit Anwälten – dann geht es um ihren Mann und den Mord. Gertrud Mielke verlangt Gerechtigkeit. Vor dem Landessozialgericht in Tiergarten will sie eine Rentennachzahlung erzwingen. Weil ihr verstorbener Mann zwischen 1931 und 1945 auf der Flucht war, müsse er nachträglich eine Rente für Verfolgte des Nationalsozialismus bekommen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) lehnt das ab, da Mielke nicht vor den Nazis geflohen sei, sondern vor der Justiz der Weimarer Republik. Die hatte Mielke wegen Mordes angeklagt. In erster Instanz verlor Gertrud Mielke den Streit um die Geschichte und um mehrere hundert Euro. Am heutigen Dienstag wird endgültig entschieden.
Die Aufregung ist groß. „Eine Rentenerhöhung für Frau Mielke wäre schamlos“, sagt Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. „Wo kämen wir hin, wenn Verbrechen mit mehr Rente belohnt werden würden?“, fragt Jörg Drieselmann vom Opferverein Astak, der in Mielkes alter Machtzentrale in Lichtenberg arbeitet. Hans Modrow, einst DDR-Ministerpräsident und heute PDS-Ehrenvorsitzender, ist anderer Meinung. „Aus humanitären Gründen sollte Frau Mielke mehr Rente bekommen“, sagt er. Modrows Rechnung: „Viele Witwen von Nazi-Opfern bekommen niedrigere Renten als Witwen von Nazi-Verbrechern.“
Der Prozess um die Witwenrente von Gertrud Mielke könnte ein kleines Stück Zeitgeschichte werden. Im Landessozialgericht an der Invalidenstraße 52 (Beginn 9 Uhr) steht der größte Verhandlungssaal zur Verfügung. Gegen das Urteil von Richterin Monika Majerski-Pahlen kann Gertrud Mielke keine Revision mehr einlegen. Der 1993 verurteilte Mörder Erich Mielke könnte ab heute für die Justiz ein abgeschlossener Fall sein.
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