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Faire Pornografie: Er und Sie. Der Kamin prasselt. Dann schwenkt die Kamera weg

Hollywood zeigt Sex verklemmt, Mainstream-Porno feiert männliche Begattungsfantasien. In Berlin arbeitet eine alternative Pornoszene daran, diese Konventionen zu verändern - und damit unsere Einstellung zu Sexualität. Fünf Positionen.

Olympe de G / Autorin, Regisseurin, Performerein

"Pornos können Frauen helfen, sich mit ihrem Körper auseinanderzusetzen und Lust zu empfinden."

"Ich war Filmemacherin für Musikvideos und Werbespots, bis ich  realisierte, dass Sexualität das Thema ist, das mich am meisten  inspiriert. Für mich ist alternative Pornografie eine Möglichkeit,  künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, dass ich als Frau ein sexuelles  Subjekt bin. Meine Filme versuchen zu zeigen: Sex ist schön, Sex ist  Leben, Sex ist nichts, wofür irgendjemand angeprangert werden sollte.  Mein erster Film 'The Bitchhiker', bei dem ich Regie führte und als  Darstellerin auftrat, zeigt, wie ich auf einem Motorrad durch Berlin  fahre, mit einem nackten Anhalter auf dem Sozius. Die anschließende  Sexszene zeigt intimes, sensibles Pegging. Daran bewegt mich, dass die  Rollen verkehrt werden: Der Mann wird penetriert. Durch den Film merkte  ich: Meinen Körper und meine Sexualität zur Schau zu stellen, erfüllt  mich mit mehr Stolz, als ich je geglaubt hätte. Ich habe die Hoffnung,  dass Pornografie Frauen hilft, sich mehr mit ihrem Körper  auseinanderzusetzen und Lust zu empfinden. Und dass sie Männer dazu  bringt, weniger darüber nachzudenken, wie hart ihre Penisse sind und  sich bewusster zu werden über die vielen Arten, Vergnügen und  Empfindungen zu teilen.

Alle Einnahmen meiner Filme gehen an  Einrichtungen, die für Legalisierung von Sexarbeit und gegen Homo-, Trans- und Biphobie kämpfen. Bei meinem Film 'We are the Fucking World',  einer queeren, pansexuellen Orgie, legten alle Darsteller*innen und die  Produktionsfirma zusammen - am Ende spendeten wir 5000 Euro an Amnesty  International."

"Es geht um Grenzerfahrungen."

Olympe de G / Autorin, Regisseurin, Performerin.
Olympe de G / Autorin, Regisseurin, Performerin.
© Paula Winkler

*spir@lena*, Candy Flip, Theo Meow / Produktionskollektiv Meow Meow

"Es geht nicht darum, dass es immer heiß hergeht. Es geht um Grenzerfahrungen."

"Im Hollywood-Kino wird Sex sehr verklemmt dargestellt: Der Kamin  prasselt, dann schwenkt die Kamera weg. Im Mainstream-Porno wird dagegen  mit erbarmungsloser Direktheit draufgehalten. Wir dachten: Es muss  etwas dazwischen geben! Wir stehen alle vor der Kamera und haben krude  Sachen im Kopf. Wir machen keine normalen Wichspornos. Unsere Filme sind  sexy, sollen aber auch verstören und eine verfremdete Ästhetik zeigen.  'Hanna und die Keta-Boys' etwa dreht sich um eine Teenager-Gang, deren  Anführerin die Menschheit vernichten will - mit einem Nervengift, das  sie aus Spargel herstellt. Ihr Freund fliegt mit dem Raketenrucksack  herbei, um sie umzustimmen - der ideale Startpunkt für leidenschaftlichen Sex. Für ein anderes Projekt haben wir eine nackte  Person in einen Sarg aus Plexiglas gelegt und den mit 100 Liter veganer  Gelatinemasse aufgefüllt. Einige von uns sind Diplompsychologen, aber  der Job war einfach zu langweilig. In der Pornografie gibt es noch viel  zu holen. Es geht nicht darum, dass es immer nur heiß hergeht. Unsere  Zuschauer sollen Bedürfnisse und Fetische in sich entdecken und ihre  Sexualität hinterfragen. Dafür braucht es Grenzerfahrungen.

Unsere Filme entstehen mit hauchdünnen Budgets. Wir drehen darum  meist mit Freunden oder Bekannten, in WG-Zimmern oder Kellern. Einmal  haben wir in bester Pfadfinder-Manier Kekse gebacken und verkauft. Wir  sind mit dem Schild 'Cookies for Porn!' in Kreuzberg über den Flohmarkt  gelaufen. Unser Budget hatten wir in wenigen Stunden zusammen."

"Ich kann nicht einfach sagen: Ich mache Pornos."

*spir@lena*, Candy Flip, Theo Meow / Produktionskollektiv Meow Meow.
*spir@lena*, Candy Flip, Theo Meow / Produktionskollektiv Meow Meow.
© Paula Winkler

Lina Bembe / Filmemacherin, Performerin

"Andere sagen: Ich arbeite in einem Café. Aber ich kann nicht einfach sagen: Ich mache Pornos."

"Ich habe einen akademischen Hintergrund im Bereich Internationale  Beziehungen und Politische Theorie, aber in keinem Job war ich so  glücklich wie jetzt. Ich hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, in einem Porno mitzumachen, versuchte es - und stellte fest: Porno  vereinigt meine Interessen, meine Überzeugungen und meine Fähigkeiten.

Ich möchte nicht in die lächerlichen Kategorien der Mainstream-Pornografie  eingeteilt werden wie 'Ebony' oder 'Interracial'. Umso schöner ist,  dass es in der alternativen Berliner Szene eine große Diversität gibt, was Körper, Hautfarbe und sexuelle Präferenzen angeht. Die alternative  Porno-Szene hat mir den Einstieg enorm erleichtert. Die Darsteller  werden gut behandelt und ich habe hier ein starkes Gefühl der  Selbstwirksamkeit: Ich will immer, dass mir in der Performance mein  Körper und meine Lust gehört. Neulich schrieb ich nach einem Dreh auf meiner Instagram-Seite etwas, was es gut zusammenfasst: 'Es war ein  Ritual femininer Kraft, das den Zauber von Porno bestätigt. Es war  richtig, diesen Weg zu gehen.'

Pornografie sollte endlich nicht  mehr als Müll abgestempelt werden. Wenn wir Pornos nur als Produkt zur  Masturbation betrachten, ist das engstirnig. Pornografie ist eine  ernsthafte und komplexe Kunstform. Leider sind Darsteller immer noch mit  einem gesellschaftlichen Stigma konfrontiert. Andere sagen: 'Ich bin  Architektin' oder 'Ich arbeite in einem Café'. Ich kann aber nicht  einfach sagen: 'Ich mache Pornos.'"

"Wir sollten alle viel weniger Pornos schauen."

Lina Bembe / Filmemacherin, Performerin
Lina Bembe / Filmemacherin, Performerin
© Paula Winkler

Katy Bit / Filmemacherin, Produzentin

"Wir sollten alle viel weniger Pornos schauen - dafür die mit Vor- und Abspann."

"Ich  habe mir mit 17 das erste Mal einen Porno ausgeliehen - und fand den  schrecklich. Im Internet habe ich wochenlang nach einem guten Porno  gesucht. Als ich mit 27 Jahren immer noch keinen gefunden hatte, habe  ich selbst angefangen, mit Freunden zu drehen.

Es ist schwierig, Menschen nackt zu filmen. Man darf sie nicht  stören, trotzdem will man gute Bilder bekommen. Darum müssen die Leute,  die mit mir arbeiten, ihr Handwerk beherrschen. Und: Die Performer  sollen entscheiden, was sie vor der Kamera machen. Am liebsten arbeite  ich mit Paaren oder mit Menschen, die sich schon vor dem Dreh  kennengelernt haben. Im Mainstream haben die Performer manchmal nur fünf  Minuten, bevor es zur Sache geht. Da kann nichts entstehen.

Auch im alternativen Porno dreht sich alles um die Darstellerinnen,  teils auch bei meinen Filmen. Da wir in Zukunft noch mehr von Pornos  lernen werden als aus Aufklärungsbüchern, finde ich es wichtig, den Mann  mehr in den Fokus zu nehmen und ihn nicht auf seinen Penis zu  reduzieren. Aber wir sollten überhaupt alle viel weniger Pornos schauen -  dafür die mit Vor- und Abspann. Die Zuschauer müssen doch auch müde sein von all der schlechten Pornografie. Die dargestellten Fantasien  sind so gestrig. Die permanente Verfügbarkeit der Frau - wer glaubt da  denn heute noch dran? Ich habe mal mit einem Kameramann gedreht, der gar  nicht gemerkt hat, dass die Darstellerin gekommen war. Er war es  gewohnt, dass Frauen ihren Orgasmus im Porno vortäuschen."

"Wir müssen den Kontakt zum Mainstream halten."

Katy Bit / Filmemacherin, Produzentin.
Katy Bit / Filmemacherin, Produzentin.
© Paula Winkler

Parker Marx / Performer

"Wir müssen den Kontakt zum Mainstream halten, schließlich wollen wir den verändern."

"Ich habe schon früh eine Faszination für jede Art von Sexualität in  mir entdeckt. Doch ich fühlte mich durch traditionelle gesellschaftliche  Konventionen eingeschränkt. Ich wollte dem entkommen, und mein Weg führte mich in die Sexindustrie. Anfangs filmte ich mich mit einer Webcam, 2015 traf ich dann eine Regisseurin aus der alternativen  Pornoszene, die mir riet, zum Pornfilmfestival nach Berlin zu fahren - es fühlte sich an, als würde ich nach Hause kommen. Heute plane ich  meine eigenen Filmprojekte. Ich interessiere mich für Angstlust und für Fetischismus. Die dunkle und problematische Seite der Sexualität ist  für mich nicht nur aus erotischer Perspektive aufregend. Ich will in  meinen Filmen versuchen, einen bewussten Umgang mit den Persönlichkeiten  und Körpern der Darsteller zu finden. Wenn man kulturellen Wandel  vorantreiben will, muss man den Kontakt zum Mainstream halten,  schließlich wollen wir den ja verändern. Der Mainstream will das, was  sicher, normal und profitabel ist. Der alternative Porno drängt weg davon, will Vielfalt und Herausforderung. Wenn wir diese Spannung aushalten, kann das sehr fruchtbar sein."

Parker Marx / Performer.
Parker Marx / Performer.
© Paula Winkler

Hannes Soltau

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