zum Hauptinhalt
Rote Schuhe, schwarze Weste - und nichts drunter. Depeche Mode-Sänger Dave Gahan begeistert das Publikum im Berliner Olympiastadion.
© Davids/Darmer
Update

Depeche Mode in Berlin: Enjoy the Pathos

Es zuckt und blitzt und leuchtet am Himmel, während die Pop-Dinosaurier von Depeche Mode ihre alten Hits und neuen Songs im Berliner Olympiastadion spielen. Ihr Konzert ist einziges großes Fest.

Es gehört zu den Gepflogenheiten von Depeche-Mode-Konzerten, dass in ihrem Verlauf Sänger Dave Gahan seinem ewigen Mitstreiter und Gitarristen Martin Gore Bühne und Mikro überlässt, in der Regel bei zwei, drei Songs. Das gehört sich so, um nicht zu sagen: Es ist das Mindeste. Denn Gore schreibt den Großteil der Stücke der Band. Er ist der Noel, der zwar seinen Bruder Liam schon irgendwie braucht (obwohl: Oasis? Wie klein und nicht mehr existent sind die denn im Vergleich! Egal), die Showelemente, die Exaltiertheiten. Trotzdem wären Depeche Mode ohne Gore weniger als nichts.
Das ist also Auftrittsroutine, könnte man sagen, auch an diesem vom Wetter schön beeinflussten Abend im Berliner Olympiastadion. Doch scheinen die Gore-Gesangseinlagen dem Auftritt der britischen Band das entscheidende Surplus zu geben. Eine Gefühligkeit und vor allem eine Größe, die nichts mit der Menschenmenge, dem Stadion oder der langen und erfolgreichen Existenz der Band (seit ihrer ersten Single „Dreaming of Me“ im Jahr 1981) zu tun hat. Sondern Größe, die vielmehr mit Erhabenheit gleichzusetzen ist, mit einer gewissen Übernatürlichkeit.

Martin Gore singt eins der ältesten Stücke von Depeche Mode, „A Question of Lust“, von ihrem Album „Black Celebration“, dann das genauso schöne Stück „Home“. Er sieht nicht wirklich gut aus, gezeichnet von was auch immer. Schlank, aber dabei weniger athletisch als abgezehrt wirkend, wozu auch seine effektvoll schwarzen Lidschatten beitragen. Er singt mindestens so gut wie Gahan, tiefer, noch bluesiger. Dazu gehen die Lichter aus den Handys an, im ganzen Rund, hie und da auch, genau!, ein Feuerzeug. Das ja vorwiegend mittelalte Publikum und die Band werden eins. Dave Gahan läuft von nun an immer mal wieder auf dem Steg in die vordersten Reihen des Publikums, um die Messe zu lesen, keine schwarze, sondern eine mit der Botschaft: Uns gibt es ewiglich, wir können es immer noch, und wenn das mit der Erlösung nichts wird, egal, kann warten, ist trotzdem schön.

Düster-Treibendes und Melancholisch-Zartes

Depeche Mode touren mit einem neuen Album, „Spirit“, ihr vierzehntes. Es ist dies kein schlechtes, die Songs fügen sich gut in das Gesamtwerk der Band und auch in dieses Best-Of-Konzert. Sie sind besser als die, die Gore, Gahan und Andrew Fletcher vor vier Jahren neu vorstellten, vom damals aktuellen Album „Delta Machine“ (von dem sie an diesem Abend nichts spielen). Die „Spirit“-Songs sind zum Teil düster und treibend, wie das von der Band an die Telekom verkaufte Stück „Where’s the revolution“, andererseits melancholisch und gar zart, so wie „Cover Me“, und natürlich demonstrieren sie, wie Synthiepop und Düsterrock zusammengehen. 

Was jedoch alles in der ersten halben, Dreiviertelstunde eine einzige Routine war: die Maschinenmusik der fünfköpfigen Band, die Videos, die zu manchem Song laufen, die smarten Schlangenbewegungen von Gahan in seinen roten Schuhen, seiner schwarzen Weste auf nacktem Oberkörper (das rote Jäckchen hatte er schnell abgestreift), seine dauernden Griffe in den Schritt, (warum macht er das bloß?), seine Hosengehüpfe – all das ist nun ein Fest, eine Feier voller Pathos

Ein Gefühlsüberschwang, dem man sich nur schwer entziehen kann

Natürlich ist dieses Pathos sinnlos und leer, dient es zu nichts anderem als der Vermittlung von<TH>Gefühlen im Kollektiv, und doch hat es was, ist es schwer, sich dem zu entziehen: Musik für die Massen. Zumal es an diesem wilden, sommerlichen Abend doch noch richtig stark zu regnen beginnt, ausgerechnet als Depeche Mode ihren Super-Alt-Hit „Everything Counts“ spielen. Nun hat die Band alle Wettergötter an ihrer Seite. Es zuckt und blitzt und leuchtet am Himmel über Berlin und dem Olympiastadion, und die nachfolgenden Großstücke „Stripped“, „Enjoy The Silence“ und „Never Let Me Down Again“ wirken noch eine Idee weltenentrückter, großartiger und befreit von jedem Rock-Quatsch.

Der Rest, die fünf sowieso geplanten Zugaben, ist eine Art Malen nach Zahlen. Martin Gore hat einen weiteren Solo-Auftritt, performt „Strangelove“. Die Verbeugung vor David Bowie mit „Heroes“ ist gleichfalls hübsch. Dieses Cover klingt ganz anders, zurückgenommen, gar nicht bohrend und pumpend, zerbrechlich geradezu, wie aus einer anderen Zeit. Depeche Mode, das beweist dieser Auftritt, machen alles richtig. Sie sind gegenwärtig, die Zeiten überbrückend, Vergangenheit und Gegenwart verknüpfend, selbst wenn sie für ihr Publikum vor allem als Erinnerungstrigger fungieren. Ein Pop-Dinosaurier, ganz bei sich und weiterhin recht beweglich. Nicht nur die Erlösung kann warten, auch die Revolution.

Zur Startseite