Eltern aus Berlin: Endlich Ferien von den Ferien
Die Ferien sind vorbei. Sechs Wochen Ausnahmezustand. Hier erzählen ein Vater und eine Mutter, wie sie die besondere Zeit überstanden haben.
Generalstabsmäßig planen – oder einfach mal gucken: Familien gehen ganz unterschiedlich damit um, wie sie die Zeit ohne Schule, regelmäßig stattfindende Hobbys, Hort und Kita verbringen. Die Zehlendorfer Bloggerin Nina Massek und der Köpenicker Kinderbuchautor Kai Lüftner berichten von ihren schönsten und schlimmsten Ferien-Momenten.
„DAS HAT UNS ÜBERROLLT“
Wir haben gerade zum ersten Mal anderthalb Monate Ferien hinter uns. Anderthalb Monate – das ist der Wahnsinn. Das hieß nämlich bei uns: sechs Wochen Vollzeit-Kinderbetreuung. Ich liebe mein Kind, aber das war hart. Wir sind in diese ersten großen Ferien ganz unbedarft hineingestolpert, wir dachten, das läuft schon irgendwie. Nach dem Motto: Oh geil, erstes Schuljahr ist vorbei, mal gucken. Eine Woche waren wir auf dem Campingplatz – aber dann waren da noch immer fünf Wochen. Als Freiberufler hat man ja nicht einfach mal so mehrere Wochen frei. Das hat uns überrollt. Ich war im Abgabestress für mehrere neue Kinderbücher, die ich gerade parallel schreibe, zwischen Lektorat und Brainstorming. Außerdem bereite ich eine Crowdfunding-Kampagne für meine dritte CD vor. Meine Frau ist bei mir angestellt. Und dann steht da das Kind in der Tür zum Arbeitszimmer und sagt: Papa, mir ist langweilig.
Wenn die ganze gewohnte Struktur nach dem Schuljahr auf einmal wegbricht – Hobby, Schule, Hort –, dann ist das krass. Unser Sohn hatte sich im Laufe des ersten Schuljahres daran gewöhnt, sechs bis sieben Stunden pro Tag Programm zu haben. Und dann heißt es auf einmal: Jetzt kannst du machen, was du willst. Aber was denn? Das fragt er dann völlig zu Recht. Wir hatten keine Ferienbetreuung in unserer Schule organisiert, und im Nachhinein ging das nicht mehr. Am Anfang hatten wir noch hehre Vorstellungen davon, wie selten das Tablet zum Einsatz kommen darf. Aus Mangel an Möglichkeiten haben wir uns nicht an die Vorstellungen gehalten, mit Tablet war endlich mal Ruhe.
Um halb sieben stand das nicht ausgelastete Kind am Bett
Wir haben dann festgestellt, dass wir nicht einfach mal so die nächsten Wochen in den Tag hineinleben können – und haben versucht, irgendwie eine Ferien-Struktur zu finden. Ich fand das alles doof – mich selbst fand ich in der Situation doof. Ich hätte mich total gern frei darauf eingelassen und mich an das Motto gehalten: Ist doch egal, ob du Kohle verdienst.
Meine Frau hat den größeren Teil der Betreuung übernommen. Und ich hab oft Nachtschichten geschoben, um tagsüber mit meinem Sohn Fußball zu spielen und auf den Spielplatz gehen zu können. Wir haben den Ferienpass gekauft und die Angebote wahrgenommen, das war cool. Aber wenn ich bis drei Uhr nachts gearbeitet hatte, war es wirklich schwierig, wenn um halb sieben das nicht ausgelastete Kind am Bett stand und nach Entertainment verlangte.
Wir haben uns zuerst so alleine gefühlt, wir sind nicht gut eingebunden in Familienstrukturen – alle Verwandten sind weit weg. Und unser Kind wohnt weiter weg von der Schule. Da ist kein System mit anderen Eltern. Nach der ersten Klasse ist man ja noch nicht so vernetzt, wie Familien mit älteren Kindern, die sich schon so lange kennen, und für die es somit ganz selbstverständlich ist, dass die Kinder der anderen Familie öfter mal mitbetreut werden und umgekehrt das eigene Kind auch mal außer Haus ist.
Wir haben dann im Laufe der Ferien mitbekommen, dass erfahrene Eltern so etwas generalstabsmäßig geplant hatten. Und viele, die wie wir weniger erfahren sind, hatten das gleiche Problem. Unser Vorsatz fürs nächste Jahr: Wir müssen sehr bald anfangen, die Ferien zu planen. Mal gucken, wer von seinen Schulkumpels ab und zu bereit für einen Kindertausch ist.
Seit die Schule wieder angefangen hat, bin ich noch nicht so richtig wieder in Tritt gekommen. Dabei muss ich eine ganze Menge nachholen, was ich in den Ferien nicht geschafft habe. Ich muss jetzt aber erst mal wieder einen Rhythmus finden. Eigentlich bräuchte ich jetzt erst einmal Ferien. (aufgezeichnet von Daniela Martens)
Kai Lüftner, 41, hat Sozialpädagogik studiert, schreibt heute Kinderbücher, (zum Beispiel: „Volle Kraft voraus – die Geschichten der Milchpiraten“) macht Kinderlieder („Rotz ’n’ Roll Radio“) und wohnt mit Frau und Sohn in Köpenick
„DIESES WUNDERBARE FERIENGEFÜHL“
„Mama, Mama, ganz da oben war ich!“ Mein Sohn deutet mit dem Zeigefinger auf einen gefährlich steilen Berggipfel, der im blauen österreichischem Himmel an die weißen Wölkchen kratzt. Ich bekomme Schnappatmung und genehmige mir erst mal eine dieser zuckerknirschenden, beim Wandern aber unausweichlichen „Manner-Schnitten“, um mich zu beruhigen. Der Bergführer nickt anerkennend. „Der Bua kann dös.“ Ja, offenbar. Ich blicke auf mein Kind, das mit Bergführer und Vater auf 2215 Meter gekraxelt ist. Und das alles in neonfarbenen Fußballschuhen, mit denen er sonst im Berliner Flachland herumbolzt.
Unermüdlich, völlig angstfrei, nicht ein einziges Mal quengelnd. Auch die Langeweile, die ja oft in den Ferien (zu Hause) aufkommt – wie weggeblasen. Und das alles, obwohl die Haselnusswaffeln am Ende der Wanderung aus waren. Von mir hat er das nicht. In unserem Berliner Alltag ist es sonst recht beschwerlich für ihn, die Treppe im Haus zu erklimmen, um etwas Vergessenes zu holen.
Dabei sind ja auch Ferien in Berlin schön, wenn man einen Hort und Kindergarten hat, der nur drei Wochen Schließzeit hat. Zum Sommerprogramm unserer Einrichtung gehört übrigens auch eine einwöchige Reise beider Kinder zum See in der Nachbarschaft. Fünf Tage und Nächte sturmfreie Bude für die Eltern und „double income, no kids“ spielen.
Handy-Gedaddel ersetzt nicht das Erlebnis des Bergsteigens
Die eine zu überbrückende Woche ohne Kinderbetreuung ist dann aber hart. Nach Hort, Spielplatz, Schwimmbad und einer Runde „Minecraft“ wird es dem Kind dann doch mal langweilig. „Wir hatten damals nichts, kein Handy, kein Internet, nur das Testbild bis zum ZDF-Ferienprogramm mit Hansi Fischer, stell dir das mal vor“, ermahne ich meinen Sohn dann gerne pädagogisch-wertvoll.
Aber Handy-Gedaddel kann eben nicht das Erlebnis des Bergsteigens ersetzen, und darüber bin ich ganz schön froh. Im Urlaub ist alles anders und so herrlich analog: Gipfel werden im Galopp erklommen, Schluchten furchtlos erkundet, eiskalte Bergseen durchschwommen. Wir genießen die gemeinsame Zeit. Schule? Alltag? Ganz weit weg!
Offenbar kann man doch ganz gut auch ohne Mathe-Textaufgaben, Englisch-Vokabeln und Schönschrift etwas lernen, besonders über sich selbst und über seine Stärken und Talente. Für mich als Mutter „mein schönstes Ferienerlebnis“ überhaupt. Zu sehen, wie mein Kind realisiert, dass es etwas richtig gut kann. Freude, Stolz und Anerkennung für sein Können zu verspüren, das steht in keinem Lehrbuch.
Am letzten Ferientag heften wir ihm die „Bad Gasteiner Wandernadel in Bronze“ an sein T-Shirt, die er sich mit seinen gesammelten Gipfelpunkten erwandert hat. Das Abzeichen verströmt auch auf der Heimfahrt magische Kräfte, denn mein Sohn ist das entspannteste Familienmitglied im endlos langen Stau auf der Autobahn. Und zu Hause? Da warten wieder Stundenpläne, tägliches Herumgehetze und die ersten Klassenarbeiten.
Wie rette ich als Mutter dieses wunderbare Feriengefühl herüber? Vielleicht kraxeln wir zwei einfach mal den Kreuzberg rauf, denken uns die restlichen 2149 Meter hinzu und basteln uns eine „Berliner Wandernadel in Silber“ selbst.
Nina Massek ist Buchautorin („Eine Mama am Rande des Nervenzusammenbruchs“) und wohnt in Zehlendorf. Auf ihrem Blog www.frau-mutter.com schreibt sie regelmäßig über ihr Familienleben