Die Feiertage in Berlin: Einsam am Weihnachtsfest? Bloß nicht!
Viele Berliner werden Weihnachten allein verbringen. Was tun bei Einsamkeit? Unter Leute gehen. Oder Fremde einladen – wie es eine Frau aus Tegel macht.
Ein Weihnachtsbaum in der Ecke, festliche Musik im Hintergrund, eine Tafel mit Gedecken. So soll das klassische Weihnachtsfest aussehen – für viele Normalität. Doch viele Berliner werden Jahr das Fest alleine verbringen. „Gerade Weihnachten wird vielen Menschen ihre Einsamkeit schmerzlich bewusst“, sagt Peter Walschburger, emeritierter Professor für Psychologie an der Freien Universität. Das Bild vom perfekten Weihnachtsfest schüre überhöhte soziale Erwartungen. Könnten diese nicht erfüllt werden, folge oft der Weihnachtsblues. Zumal viele Freunde abreisen, um bei der Familie zu sein. Das Weihnachtsfest befinde sich außerdem in der Zeit der Wintersonnenwende, so der Psychologieprofessor. Die Tage sind also am Kürzesten – kein Stimmungsheber.
Der Rat des FU-Professors
Einige Menschen kämen gut damit zurecht, die Feiertage allein zu verbringen. „Das kommt auch darauf an, wie man Nähe und Beziehung in der Kindheit erfahren hat“, sagt Walschburger. Außerdem betont er: „Nur, weil Menschen mit anderen zusammen sind, sind sie nicht automatisch glücklicher.“ Davon kann auch Lothar Jeck berichten. Er ist Mitarbeiter der Telefonseelsorge. Tatsächlich sei einer der häufigsten Gründe, warum Menschen an den Feiertagen anriefen, die Familienstreitigkeiten. Jeck arbeitet seit 20 Jahren ehrenamtlich für die Seelsorge und übernimmt regelmäßig die Heiligabend-Schichten. „Ich möchte für Menschen da sein, die eine schwere Zeit haben.“ Jeck kann vor allem von Gesprächen mit älteren Menschen erzählen: „Die haben vielleicht niemanden mehr an den Feiertagen. Der Partner ist verstorben, die Kinder und Enkel wohnen weit weg. Außerdem wollen sie niemanden mit ihren Belangen belasten.“ Jeck selbst feiert vormittags mit Freunden und steht ab 15 Uhr für die Seelsorge bereit.
Der Helfer von der Telefonseelsorge
Wer Heiligabend nicht nur telefonieren möchte, findet auch eine Reihe von Veranstaltungen in Berlin. Einige Kirchengemeinden bieten offene Weihnachtsfeiern für Alleinstehende an, wie beispielsweise die Kirche am Eichhorster Weg in Wittenau. Ältere Menschen sind zudem zum Weihnachtsfest in das St. Josefsheim für Senioren geladen (Pappelallee, Prenzlauer Berg). Dort können die Besucher bei Kaffee und Kuchen Weihnachtsgeschichten und -musik hören. Für Kulturinteressierte finden einige Konzerte und Aufführungen über den Tag verteilt statt, wie der Auftritt des Berliner Residenz Orchesters im Schloss Charlottenburg. Zudem hat das Kino „Delphi Lux“ Heiligabend regulär geöffnet und das „Moviemento“-Kino feiert den Höhepunkt seines Weihnachtsfilmfestivals mit dem Film „Mercy Christmas“. Walschberger begrüßt solche Angebote: „Ich würde für die Feiertage empfehlen, den sozialen Kontakt zu suchen. Das Weihnachtsfest steckt schließlich voller Rituale, die Gemeinsamkeit erfahrbar werden lassen.“
Die alleinerziehende Mutter
Neben der Vielzahl an öffentlichen Angeboten werden einige Berliner einfach selbst aktiv. Mittels ihres eigenen Inserats auf Ebay oder anderen Plattformen suchen sie nach Gesellschaft. Eines dieser Inserate hat Mirjam Spremberg aus Tegel aufgegeben – dieses Jahr schon zum zweiten Mal. „Vor zwei Jahren sind wir selbst an Weihnachten woanders untergekommen“, so die alleinerziehende Mutter. „Da wir nun ein schönes Zuhause haben, wollten wir das mit jemanden teilen.“ Die Nachfrage auf ihre Anzeige war sehr hoch. „Wir haben viele Rückmeldungen erhalten. Es wollte sogar eine Frau aus Frankfurt anreisen.“ Zu viele könne sie natürlich nicht aufnehmen. Die 38-Jährige glaubt, dass es viele Menschen in Berlin gibt, die Weihnachten nicht die Möglichkeit haben mit der Familie zu feiern. „Die Dame, die uns letztes Jahr besuchte, war auch Krankenpflegerin und hatte Dienst an den Feiertagen. Die Zeit dazwischen hat nicht ausgereicht, um irgendwohin zu fahren. Also wäre sie in Berlin allein gewesen.“
Ob sie denn nicht auch Angst davor gehabt hätte, fremde Menschen einzuladen? Spremberg lacht: „Also, als wir letztes Jahr am U-Bahnhof auf unseren Gast gewartet haben, schlug meine Aufregung kurzzeitig in Angst um. Ich dachte nur: Was ist, wenn das nicht passt?“ Schlussendlich sei es ein wunderbarer Abend gewesen, den sie nun wiederholen möchte. Auch die diesjährige Besucherin habe weder Kinder noch sei sie verheiratet, die Eltern seien schon früh verstorben. „Sie sagte mir, dass sie sich eigentlich schon damit abgefunden habe, Weihnachten alleine zu verbringen. Als sei das jetzt ihr Schicksal. Nun blüht sie richtig auf, möchte mir unbedingt mit dem Essen helfen und freut sich sehr.“ Spremberg möchte damit auch ihren Kindern die Idee des Weihnachtsfests vermitteln: „Sie sollen mit dieser Offenheit für andere Menschen groß werden und lernen, dass sie auf andere zu gehen können. Wir sind ja nicht reich, aber trotzdem können wir diesen familiären Gedanken von Weihnachten miteinander teilen.“
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