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Nicht nur für Radfahrer ärgerlich: Parken in der zweiten Reihe.
© Doris Spiekermann-Klaas

Parken in zweiter Reihe: Einer bremst alle

Es ist ein Dauerproblem, jährlich gibt es mehr als 50 000 Verfahren. Aber die Stadt bekommt das Halten in zweiter Reihe einfach nicht in den Griff.

Ob er regelmäßig Ärger mit anderen Verkehrsteilnehmern habe? Aber hallo! „Da muss man einfach mal die Nerven behalten“, ruft der Mann mit dem roten Shirt und den dicken Oberarmen, während er ein Paket in den Matratzenladen am Tempelhofer Damm schleppt. Auf der Straße zurück bleibt sein weißer Lastwagen. Mit Warnblinkanlage in der zweiten Reihe – und damit als Teil jener Plage, die Autofahrer nervt, Busse bremst und Radler gefährdet. Die Unsitte ist so weit verbreitet, dass sie etliche Hauptstraßen der Stadt oft in einspurige Kriechstrecken verwandelt. Die Kantstraße in Charlottenburg etwa, den Kottbusser Damm in Kreuzberg, den Tempelhofer Damm … Wenn jeder Berliner pro Tag eine Minute hinter einem Zweite-Reihe-Parker hängt, gehen addiert täglich sechs Jahre und fünf Monate verloren.

Für solche Rechnungen fehlt dem Muskelmann die Muße. „So drei, vier, fünf, sechs Mal im Jahr“ zahle er Strafe, sagt er, während die Ladeluke hochklappt. „Manchmal schreibt einen die Polizei auch im Vorbeifahren auf.“ Oder sie halte an und belehre ihn über die Straßenverkehrsordnung und über Ladezonen, als wüsste sie die Theorie nicht von der Praxis zu unterscheiden. Seine Lieblingsstelle sei ein Kunde an der Schöneberger Straße. Würde er dort legal auf den Hof fahren, müsste er rückwärts wieder raus – „quasi in die Ausfahrt der Stadtautobahn“. Dann ist die Luke oben und der Mann im Fahrerhaus verschwunden. Er müsse weiter, dringend.

Eilig hat es auch der Grauhaarige, der Kartons mit der Sackkarre von seinem warnblinkenden Transporter zu einem Handwerker schiebt. Etwa bei zwei seiner täglich zehn Fahrten als Kurier müsse er in zweiter Reihe halten. Die Polizei belehre ihn gelegentlich – und bisher stets kostenfrei. Der BSR-Mann, der ein paar Meter weiter die Mülleimer leert, sagt, er schalte die Warnblinker möglichst frühzeitig ein, meide den Berufsverkehr – und stehe ohnehin nur eine Minute auf der Straße.

Die Statistik zeigt, dass die Beamten nicht immer nur den Zeigefinger erheben: 54 155 eingeleitete Ahndungsverfahren und 426 Umsetzungen – also Abschleppen – meldet die Polizei für das vergangene Jahr. Knapp die Hälfte der Anzeigen und drei Viertel der Umsetzungen seien von der Polizei veranlasst worden, die anderen von den Ordnungsämtern.

Schwerpunkte sind Straßen mit vielen Geschäften und solche mit Fahrradstreifen. Doch die Delinquenten unterscheiden sich. Während am Tempelhofer Damm die eiligen Lieferanten dominierten, sind es in den Wohnstraßen um den Kreuzberger Viktoriapark eher Menschen, die das Leben auf Kosten anderer genießen: Zwei Schönlinge im Cabrio öffnen andächtig das elektrische Dach, während die Radler um sie herumkurven. Eine Ecke weiter steht ein Twingo im Weg. „Ehe ich hier eine halbe Stunde nach einem Parkplatz suche …“, sagt der Fahrer, der auf jemanden wartet. Er fährt auch nicht in die Lücke, die hinter ihm frei wird. Gegenüber bemüht sich ein Golffahrer gar nicht erst, möglichst weit rechts zu halten. Der Fahrer reißt die Tür ohne Rücksicht auf drei nahende Radler auf. Im vergangenen Herbst starb in Potsdam eine Radfahrerin, als sie in einer solchen Situation unter ein folgendes Auto geriet. Mit expressivem Gang schlendert der Golffahrer in einen Laden. Gruppendynamisch hält gleich noch ein Touran dahinter. Die Fahrerin wartet auf eine Freundin.

Der Jungspund, der mit seinem Hyundai die Radspur in der Kreuzbergstraße blockiert, steht nach eigenem Bekunden öfter hier. Er beliefere den Bäcker, sagt er. Jetzt allerdings wird er beliefert – mit einem Kaffee, den sein Beifahrer bringt. Er wisse, „dass es scheiße für die Radfahrer ist“, aber schuld seien die Kneipengäste, die den Anliegern die Lücken wegnähmen. Im vorigen Jahr habe er zwei Knöllchen bekommen. Das sei die Sache wert.

Der Charlottenburg-Wilmersdorfer Ordnungsstadtrat Marc Schulte (SPD) sagt, dass es abends in der City-West besonders schlimm sei: In der Westfälischen und der Schlüterstraße ließen die Leute ihre – gern auch etwas dickeren – Autos während des Restaurantbesuchs auf der Radspur. „Da fehlt einfach das Unrechtsbewusstsein.“ Die Ordnungsamtler kontrollierten „sehr intensiv und lassen auch Autos umsetzen“, weil die Unsitte vor allem bei Dunkelheit für Radler lebensgefährlich sei. Die Amtsleute seien gehalten, erkennbar flotte Ladevorgänge zu tolerieren. Wobei es sich bei der Fracht eher um eine Waschmaschine als um eine Brötchentüte handeln sollte.

Bei der BVG gelten die nur zeitweise gültigen Busspuren als Hauptproblem. Sie werden nach Auskunft von Sprecher Klaus Wazlak oft versehentlich blockiert: Morgens sind alle weg – bis auf einen, der abends gedankenlos sein Auto zu den anderen gestellt hat. „Es ist ein massives Problem, für das wir noch keine Lösung haben“. Allein im Januar seien 670 Behinderungen festgestellt und 400 Autos umgesetzt worden.

Laut ADAC-Sprecher Jörg Becker ist Parken in zweiter Reihe kein spezielles Berliner Phänomen. Besserung versprächen „mehr Ladezonen, günstige Preise für Kurzzeitparker und mehr Kreativität“. So könnte statt einer gemeinsamen Bus- und Fahrradspur oft eine zweite Autospur plus Radstreifen und Vorrangschaltung für den Bus an Ampeln günstiger sein.

In der Großbeerenstraße ist die Radspur wie fast jeden Tag  praktisch nicht benutzbar: Ein Mercedes, ein Transporter, zwei Lieferwagen vom Elektriker, ein Glaser und davor quer, mit der Nase ganz weit vorn, das Auto eines Malers, der auf der hinteren Stoßstange Siesta hält. Zeit für einen Anruf unter 4664 4664. Der Mann am Bürgertelefon der Polizei verspricht, das Ordnungsamt zu informieren. Tatsächlich: Später am Tag parken die beiden Elektriker legal. Der Rest ist weg. Dafür stehen drei andere Autos auf der Spur. Zeit für den nächsten Anruf.

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