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Bernd Leyon (hier in seinem Laden „Musik Department“ in Prenzlauer Berg) hat ein Faible für Schallplatten mit Berlin-Covern.
©  Doris Spiekermann-Klaas

Berlin-Bücher: Eine Zeitreise auf Plattencovern

Über 200 Platten mit Berlin-Motiven auf dem Cover hat Bernd Leyon schon gesammelt. Jetzt hat er daraus den Bildband „Berlin on Vinyl“ gemacht.

Im Jahre 1990 stöbert ein junger Mann auf einem Wochenmarkt in Prenzlauer Berg in einer Schallplattenkiste. Er zieht eine der Papphüllen heraus, betrachtet das Cover und ist beeindruckt. Zwei Mark kostet ihn das Schmuckstück.

Das Cover zeigt eine Momentaufnahme eines ziemlich gewöhnlichen Tages in der Schönhauser Allee im Jahr 1970. „Gross Stadt Rhythmus“ ist darauf zu lesen. Der Fotograf Karl-Heinz Krämer hätte sich wohl nie träumen lassen, dass sein Bild 20 Jahre später den Impuls zu einer Projektidee geben könnte.

Der Plattenkäufer von damals heißt Bernd Leyon und verhilft seit mehr als 20 Jahren als Plattenhändler Vinylfreunden zu ihren Lieblingsscheiben. Betritt man seinen Laden „Musik Department“ in der Kastanienallee 41 in Prenzlauer Berg, so fällt der Blick unweigerlich auf das vergrößerte Cover von „Gross Stadt Rhythmus“. Ringsum schmücken weitere Cover mit Berlin-Motiven den Raum, was einen Kunden einst zu einer gemurmelten Bemerkung veranlasste: „Schade, dass es so etwas nicht als Bildband gibt“ – Initialzündung zu Leyons jetzt realisierter Idee zum Bildband „Berlin on Vinyl“. Im Herbst 2013 stellte er sie bei der Crowdfunding-Plattform „startnext“ vor. Hier werden Projekte durch Spenden von Interessierten und möglichen späteren Kunden finanziert. Das funktionierte so gut, dass Leyon den Bildband „Berlin on Vinyl“ vor einigen Wochen in Händen hielt.

Als er die Kampagne startete, umfasste seine Sammlung bereits 150 Plattencover, und sie wächst kontinuierlich: Im Bildband sind es schon über 200 Motive. Eröffnet wird das Buch durch den steinernen Bären, der auf dem Mittelstreifen der Autobahn in Dreilinden Bewohner und Besucher Berlins begrüßt – Beginn eines schallplattenhistorischen Rundgangs durch die Stadt, der vom Messegelände mit ICC und Funkturm zum Alexanderplatz und schließlich in einzelne Kieze führt. „Das Optimum ist natürlich, wenn Menschen mit dem Bildband in der Hand durch Berlin fahren, zu den Originalschauplätzen, und das Jetzt mit dem Cover vergleichen“, sagt Leyon.

Doch die Cover – jeweils erläutert, so weit das möglich war – zeigen weit mehr als nur alte Fotos, spiegeln vielmehr den Zeitgeist wider, durch Details wie Mode und Autos wie auch durch den Wandel in Aufmachung und Gestaltung. Jede Schallplattenhülle wurde abfotografiert, samt allen Gebrauchsspuren dokumentiert, wird so selbst zu einem Zeugnis ihrer Zeit.

Doch „Berlin on Vinyl“ ist nicht nur etwas für Nostalgiker und Plattenfans. Genießen kann den Band auch jeder, der sich nur dunkel an die darin dargestellte Zeit von 1960 bis 1989 erinnert oder diese erst gar nicht miterlebt hat. Man wird mitgenommen in diese Zeit, die für Bernd Leyon das „wahre Berlin“ ist und die Gegenwart der Stadt noch immer prägt. Ein Sammler in Leyons Promotion-Video zur Startnext-Kampagne sah es so: „Wenn ich dieses Cover sehe, dann rieche ich auch, wie es damals gerochen hat.“

Mit seinem Bildband – darunter mit Covern von Platten mit Hildegard Knef oder Dave Brubeck – konserviert Bernd Leyon einen Teil Berliner Zeitgeschichte. Und er hält die Erinnerung an Platten lebendig, die sonst in Vergessenheit geriete, führt dabei Cover für Cover vor Augen, dass es bei einer Schallplatte nicht nur darum geht, was man hört, wenn die Nadel in der Tonspurrille liegt. „Das eigentlich Zweitrangige einer Schallplatte tritt hier in den Vordergrund“, sagt Leyon.

Als besonderer historischer Moment wird der Besuch von John F. Kennedy mit einem eigenen Kapitel gewürdigt. Es folgen Abschnitte mit besonders beliebten Covermotiven wie Brandenburger Tor und Kurfürstendamm, dazu eines über Artcover. Sie kamen ohne Foto aus, hatten aber deutlichen Berlin-Bezug.

Der Bildband schließt mit einem Kuriosum, heute fast vergessen: Tonpostkarten, auch Schallbildkarten genannt. Touristen konnten damit nicht nur visuelle Grüße schicken, sondern Familie und Freunde zugleich mit Berliner Weisen auf dem heimischen Schallplattenspieler erfreuen.

Bernd Leyon (Hg.): Berlin on Vinyl.144 Seiten, 219 Bilder, 29,90 Euro. Bezug über musikdepartment@gmail.com.

Karim El-Helaifi

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