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Brandanschläge: Eine surreale Atmosphäre von Bürgerkrieg

Die Berliner Polizei sperrt Straßen ab und kontrolliert verdächtige Personen. Doch die Brandstifter sind schnell. Also sollen die Bürger helfen, findet die Politik. Schließlich ist Wahlkampf.

Als der Mann mit der Fernsehkamera am Tatort eintrifft, sind die Polizisten auch schon da, danach kommen noch ein paar Fotografen, aber als Erster war Ben da. Ben ist Mitte 30, er trägt das blonde Haar gescheitelt, dazu Polohemd, Siegelring und eine Gießkanne. Es ist ein giftgrünes Modell aus Kunststoff und an den Rändern ein bisschen mit Ruß verschmiert, Spuren des Kampfes mit den Flammen. Ben hat ihn gerade gewonnen. Er zieht an einer Zigarette, was nicht ganz passt zu seiner Rolle als Brandlöscher, aber auch nicht weiter auffällt im dichten Qualm, der ihn umgibt und von dem Auto ein paar Meter weiter stammt. Der Mann mit der Kamera will ein Interview, aber Ben will nicht mehr verraten als seinen Vornamen und dass er gerade einen brennenden Autoreifen gelöscht hat. Dann hetzt der Mann mit der Kamera auch schon weiter zum nächsten Brandort, die Polizisten friemeln dunkle Beweisstückchen in durchsichtige Tütchen, und Ben sagt zu einem Bekannten: „Cool, ich bin jetzt im Fernsehen!“

Auf diese Weise beginnt in der Nacht zu Donnerstag das Projekt Bürger jagen Brandstifter, mit dem Klaus Wowereit den Autozündlern endlich beikommen will. In einer Stadt mit 1,2 Millionen zugelassenen Autos und einem mehrere tausend Kilometer langen Straßennetz könne die Polizei nun mal nicht überall gleichzeitig präsent sein, sagt der Regierende Bürgermeister und dass „die Berlinerinnen und Berliner“ doch bitte ein waches Auge haben sollten auf das, was da nächtens vor ihren Häusern passiert.

Das Charlottenburger Ufer ist eine ruhige Wohnstraße, idyllisch gelegen an der Spree zwischen Schloss- und Caprivibrücke. Keine Kneipen, kaum Publikum nach Einsetzen der Dunkelheit. Aber es ist eine laue Nacht, viele Fenster stehen offen und der Anwohner Ben bemerkt schnell den Geruch von brennendem Gummi. Also greift er zur Gießkanne und hastet zu dem dunklen Audi, über dessen linkem Vorderreifen schwarzer Qualm nach oben steigt. Der Reifen ist schnell gelöscht, aber der Qualm steht noch lange in der Luft. Der Audi parkt vor einem Schild, das zum Schutz der Grünanlagen aufruft.

Stehen hier bald andere Schilder? Solche, die zum Schutz von Audis, BMWs und Mercedesen bitten?

Ein Polizeiauto bleibt am Tatort, ein anderes hetzt weiter. Die Beamten haben es nicht weit. Links in die Lohmeyerstraße, einmal um den Block rum zur Eosanderstraße. Hier brennen gleich drei Autos. Ein Ford, zwei BMW. Charlottenburg leuchtet gespenstisch.

Warum eigentlich Charlottenburg?

Wissen wir auch nicht, sagen die Ermittler.

Als vor zwei Jahren in Prenzlauer Berg und Kreuzberg die Autos brannten, feierte die militante Linke dies als ein Signal gegen die Gentrifizierung, als Sieg des Prekariats gegen wohlhabende Zuzügler. Rund um den Charlottenburger Spreebogen gibt es weder Prekariat noch Kapital. Mittelneue Mittelklassewagen stehen am Charlottenburger Ufer und in der Eosanderstraße. Wer kämpft hier gegen wen und warum? Kämpft hier überhaupt jemand oder lebt hier nur eine erlebnishungrige Generation ihre durchgeknallten Fantasien aus?

Lesen Sie auf Seite zwei, warum ein Fotograf einen BMX-Fahrer in Verdacht sieht.

Die Polizei muss eingestehen, dass sie praktisch nichts über den oder die Täter weiß. Dass die Bandserie mit jetzt seit Wochenbeginn 43 zerstörten Fahrzeugen kurz nach der Verurteilung eines Brandstifters zu einer Bewährungsstrafe anfing, lässt sie vermuten, dass es einen Zusammenhang gibt. Doch überlagern sich in der vierten Anschlagsnacht zwei Phänomene. Auch Nachahmungstäter könnte es nun vermehrt geben.

Ein Fotograf, er hat schon vor Mitternacht in Erwartung neuer Anschläge auf der Caprivibrücke Posten bezogen, erzählt von einer seltsamen Begegnung. Ein dunkel gekleideter und ziemlich junger Mann sei mit einem BMX-Rad vom Ufer auf die Brücke abgebogen, ganz langsam, auffällig unauffällig. Ein paar Minuten später sieht der Fotograf den Qualm aufsteigen, aber da ist der Mann mit dem BMX-Rad schon weg.

Es wird voller auf den zuvor so wenig befahrenen Straßen. Motorräder, Kastenwagen, Roller, Fahrräder. An der Otto-Suhr-Allee winkt ein Zivilpolizist einen Wagen zur Seite. „Habt ihr hier einen mit dunklem Kapuzenpulli gesehen?“

„Sorry, wir sind keine Polizisten, wir sind Pressefotografen.“

„Macht doch nichts. Habt ihr nun was gesehen?“

Beide Seiten kennen sich, zuweilen mehr als nur flüchtig, wie aus den Gesprächen der Fotografen untereinander herauszuhören ist. Keiner mag seine Quellen preisgeben, aber die Polizisten sind offenbar froh über jedes wache Augenpaar, und schließlich haben sie doch alle annähernd gemeinsame Ziele, die sich nur um Nuancen unterscheiden. Die einen jagen mit Handschellen, die anderen mit der Kamera.

Scheinbar ziellos patrouillieren die Jäger durch das schläfrige Viertel. Am Kaiserdamm, in einer etwas lebhafteren Gegend, wird ein Jugendlicher dabei beobachtet, wie er sich in einem Gebüsch versteckt. Sofort ist ein Polizeiwagen zur Stelle, aber die Sache ist schnell aufgeklärt: Der Jung ist ein Schüler, der, wahrscheinlich nach dem Genuss von ein paar Bieren, seinen Kumpels einen Streich spielen wollte.

Die Polizisten haben genaue Vorstellungen von ihrer Zielperson. Jeder Radfahrer wird angehalten, und wer jung und dunkel gekleidet ist, muss sich mit gespreizten Armen und Beinen einer intensiven Leibes- und Rucksackvisitation unterziehen lassen. Auf der Caprivibrücke radelt einer einfach weiter, aber schon rennen vier Männer in olivfarbenen Anzügen hinter her, „halt, stehen bleiben, Polizei!“, sie leuchten ihm mit Taschenlampen ins Gesicht, und als sie ihn nach 50 Metern endlich zum Stehen gebracht haben, sieht das aus der Distanz verdächtig nach einem Fahndungserfolg aus. Doch nach ein paar Minuten sind alle Verdachtsmomente ausgeräumt. Der Radfahrer hat die Polizisten nicht gehört, weil sein iPod auf volle Lautstärke gedreht war.

Die Berliner CDU will die brennenden Autos in den nächsten Tagen von der Straße holen und auf ihre Wahlkampfplakate beamen. Es ist ein dankbares Wahlkampfthema. Gerade vor dem Hintergrund der Krawalle von London. Die Opposition wird nicht müde zu behaupten, die Polizei könne das Brandstifterproblem deshalb nicht lösen, weil sie vom rot-roten Senat kaputt gespart worden sei.

Lesen Sie auf Seite drei, was der Polizei für einen Fahndungserfolg noch fehlt.

In der Luft dieser Nacht liegt eine surreale Atmosphäre von Bürgerkrieg. Alle paar Straßenecken blockieren Streifenwagen die Fahrbahn. Völlig unverhofft springen Polizisten aus dunklen Hauseingängen, um Passanten zu kontrollieren, sobald sich überhaupt welche zeigen, was selten genug vorkommt. Über der Spree rattert ein Hubschrauber, der mit Wärmekameras nach Brandstiftern sucht. Mehr Polizeipräsenz ist schwer vorstellbar.

Was fehlt, ist die andere Hälfte des Bürgerkrieges. In Charlottenburg steht die Polizei einem unsichtbaren Feind gegenüber. Der verschwindet in der Weite und Leere der Charlottenburger Nacht. Im Schlosspark Charlottenburg oder in den Büschen an der Spree, vielleicht auch in einem Auto oder Hauseingang. Dieser Feind ist nur mal für ein paar Sekunden sichtbar, wenn er sein Feuerzeug zückt zum entflammen eines Grillanzünders. Und vielleicht ist das seine Botschaft an alle: Ihr könnt mich nicht aufhalten!

Die Polizei braucht nicht mehr Personal. Damit könnte sie vielleicht jede Straße in Charlottenburg absperren, während die nächtlichen Brandstifter ihre Grillanzünder in Mariendorf oder Karlshorst einsetzen, in Lichterfelde oder Friedrichshagen. Berlin ist reich an bürgerlichen Wohngegenden.

Was die Polizei braucht, ist den berühmten Zufall. Den einen winzigen Moment, in dem sich ein Bandstifter zu sicher fühlt, in dem er unvorsichtig wird, in dem er sein bisheriges Glück überstrapaziert. Hätte der Zündler vom Charlottenburger Ufer nicht über die Gießkanne des blonden Ben stolpern können? Und warum ist dieser eine Polizeiwagen nicht drei Minuten später durch die Händelallee gefahren?

Die Händelallee liegt zwei Spreebögen weiter im Hansaviertel. Es ist schon bald halb zwei, als dort die letzten beiden der sechs Autos dieser Nacht in der City West brennen. Eine Fotografin ist vor Ort, sie protokolliert später die Szene vor dem benachbarten Wohnhaus, wie ein Mieter sein Fenster öffnet und fragt, ob denn da unten ein silberner BMW brenne. Der Polizist nickt. „Ach du Scheiße“, ruft der Mann aus dem Fenster, „das ist meiner!“

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