Stephan Wuthes erstes Buch: Eine kleine Kulturgeschichte des Swing
Stephan Wuthe ist der Schellack-DJ der Stadt. Die Musik der großen Swinglegenden geht ihm unter die Haut. Jetzt hat der Tanzfan ein Buch über seinen Lieblingsjazz geschrieben.
Liebe ist, wenn sich einer das Intro eines Liedes in den Oberarm tätowieren lässt, so wie Stephan Wuthe das mit dem Song „Klarinettenzauber“ gemacht hat. Und Swing ist, wenn es bounced. Wenn es was macht? „Na, wenn es bounced, also wippt“, sagt der Swing-DJ. Er legt eine Nummer von 1936 auf – „Goody Goody“, gespielt von der Benny Goodman Band – und macht dazu Tanzschritte auf seinem Schöneberger Parkett. Dynamische amerikanische Swingtanzschritte, die Balboa heißen oder Lindy Hop. Er führt vor, was das heißt, in den Boden zu bouncen, zu schwingen, quasi als vertikale Bewegung. Auch im Gegensatz zum seitwärts – also horizontal – getanzten europäischen Foxtrott. Es ist der synkopierte Rhythmus, der Off-Beat, der dem distinguierten Herrn da in seiner von Schellackplatten, Grammophonen und Swing-Devotionalien okkupierten Wohnung in die Füße fährt. Und das schon 30 Jahre lang.
Jetzt hat der 1966 in Wilmersdorf geborene und seit 20 Jahren als Berufs-Swingfan europaweit tätige Schallplattenunterhalter, Sammler, Vortragsreisende und Autor sein erstes Buch über sein Lebensthema herausgebracht: „Swingtime in Deutschland“, eine hübsch aufgemachte kleine Kulturgeschichte des Swing-Hörens, -Tanzens, –Musizierens hierzulande von 1925 bis jetzt. Gefühlt rollt schon das zweite Swing-Revival innerhalb von 20 Jahren durch die Clubs der Stadt. Das erste ging Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger los, als Andrej Hermlin sein Swing Dance Orchestra gründete, Wuthe selbst in der Turbine Rosenheim und später im Schöneberger Hafen Swing auflegte, Tanzschulen wieder Lindy Hop unterrichteten und Filme, Bücher und Ausstellungen die Swing-Jugend als Subkultur im Nationalsozialismus entdeckten. Die kommt im Buch, das auch von den Zeitzeugen-Gesprächen des Enthusiasten lebt, natürlich auch vor. Wuthe hat bei seiner Recherche etwas herausgefunden, was selbst ihn überraschte. „Swing tanzen war unter den Nazis niemals gesetzlich verboten.“ Nur Soldaten in Uniform hatte man es im Krieg untersagt. Unter den vielen Berliner Swinglokalen der Dreißiger und Vierziger gab es sogar eines, wo Juden und SS-Leute gemeinsam Musikern wie dem späteren „Ghetto-Swinger“ Coco Schumann lauschten: „Die Insel“ in der Innsbrucker Straße.
Zu den früheren Swing-Bars oder Tanzpalästen der Stadt wie dem Delphi an der Kantstraße oder dem Femina in der Martin-Luther-Straße, von deren Glamour das Buch erzählt, geht Stephan Wuthe auf seinen Swing-Spaziergängen durch Berlin auch gerne mit seinem Koffer-Grammophon, dem „Hot-Koffer“, und spielt dann auf der Straße die Musik ab, die einst drinnen gehört wurde. Für ihn ist Swing nicht einfach nur tanzbarer Jazz, sondern Lebensgefühl, ja Lebensfreude. „Wenn ich Marschmusik höre, wird mir körperlich schlecht.“
Und wie war das jetzt mit dem Tattoo? „Klarinettenzauber“ sei eine Nummer des Orchesters Teddy Stauffer, erzählt Stephan Wuthe. Stauffer, das war der deutsche König des Swing und sein Klarinettist, Franz Teddy Kleindin, der auch in anderen wichtigen deutschen Swingorchestern spielte, lange Jahre mit Wuthe befreundet. Sogar eine handschriftliche Partitur des geliebten Songs hat er ihm gewidmet. Und ihm seine Klarinette vermacht. „Er war mein Kronzeuge für die Zeit“, sagt Wuthe über den vor ein paar Jahren mit 93 Jahren verstorbenen Musiker. Was ihm das bedeutet, kann jeder sehen, für den er den Ärmel hochrollt. Kleindins „Klarinettenzauber“ geht ihm für immer unter die Haut.
Stephan Wuthe: Swingtime in Deutschland, Transit Verlag Berlin, 16,80 Euro. Am Mittwoch, 22.8., 21 Uhr, ist Wuthe DJ beim Swing in Clärchens Ballhaus, Auguststraße 24 in Mitte, Eintritt frei
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