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Zug um Zug: Ein neues Modell – wie hier bei Bombardier die S-Bahn für Frankfurt – entsteht weitgehend in Handarbeit. Berlin muss noch Jahre darauf warten.
© Bodo Schulz

Wie funktioniert die Stadt? (4): Eine Klasse für sich

Berlins älteste S-Bahnen haben knapp 30 Jahre auf dem Blech-Buckel. Die brandneue Modelle fahren nicht vor dem Jahr 2020. Na gut, die Anschaffung der 400 Wagen kostet 800 Millionen. Aber: Warum dauert es so lange, einen neuen Zug zu bauen?

Wie funktioniert die Stadt? Folge 4: Die Berliner S-Bahn

Seit 90 Jahren befördert sie Menschen durch die Stadt: Die Berliner S-Bahn Deutschlands älteste. 330 Gleis-Kilometer mit einer Besonderheit: Die Züge fahren mit Gleichstrom aus der Schiene statt mit Wechselstrom aus der Oberleitung wie andere Züge. Das erschwert Netzerweiterungen. Spitze ist Berlins S-Bahn bei den Fahrgastzahlen: bis zu 1,4 Millionen Menschen nutzen sie täglich – wenn denn alles nach Fahrplan läuft. Um 2020 soll es auch neue Züge geben. Wie die in etwa aussehen werden, zeigt das Poster, das der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegels am 2. Dezember beiligt.

S-Bahnen haben etwas mit Flugzeugen gemeinsam, behauptet Kurt Beier: Die lange Zeit, die erforderlich ist, um ein neues Modell zu entwickeln. und zu bauen. Beier kennt den Weg aus Erfahrung. Er war BVG-Projektleiter für eine neue Fahrzeug-Generation der S-Bahn, als die BVG im Januar 1984 den Betrieb im Westteil der Stadt von der DDR-Reichsbahn übernahm. Gut zwei Jahre später standen schon die ersten beiden Züge auf den Gleisen. Doch deren Serienfertigung begann – nach ausgiebigen Tests – erst 1990. Und inzwischen ist die Bahn-Welt noch viel komplizierter geworden. Ehe ein neues Fahrzeug zuverlässig funktioniert, vergehen meist mehr als fünf Jahre. Für Berlin ist also weiter Warten angesagt. Der neue S-Bahn-Zug wird wohl frühestens um 2020 auf den Gleisen stehen. Drei Jahre später könnte dann die erste Serie ausgeliefert sein.

Berlins S-Bahnen sind Handarbeit

Während Autobauer zunehmend Komponenten verwendeten, die in mehreren Typen eines Herstellers eingebaut werden können und die Produktion nach Möglichkeit automatisch erfolgt, werden Bahnen auch heute noch bevorzugt in Handarbeit gebaut, sagt Beier. Bevor die ersten Teile zusammengeschweißt, Kabel gezogen und Motoren eingebaut werden können, sind Tüftler am Werk. Der Besteller muss zum Beispiel festlegen, wie das neue Fahrzeug ausgestattet werden soll – nehmen wir das Beispiel Klimaanlage. Nach langem Hin und Her hat sich der Senat, der die Vorgaben bestimmt, für eine Klimatisierung der künftigen S-Bahn entschieden. Doch der Einbau ist in diesem Fall besonders kompliziert, weil die Geräte nicht – wie bei anderen Bahnen – auf dem Dach angebracht werden können. Dafür fehlt es an Höhe. Der in den 1930er Jahren gebaute Nord-Süd-Tunnel ist zum Teil so niedrig, dass die Bahnen mit ihrer derzeitigen Höhe gerade noch so durchpassen. In die Höhe wachsen können sie also nicht. Nach derzeitigem Stand werden die Klimaanlagen an der Decke der Züge angebracht, wodurch der Innenraum niedriger wird, aber immerhin nicht ganz so niedrig wie das Oberdeck eines Doppeldeckerbusses der BVG.

In jedem Fall soll die neue S-Bahn umweltfreundlich sein, wenig Energie verbrauchen, leise fahren. Der Zug muss so gebaut werden, dass die Wartung später einfach – und damit kostengünstig – wird. Und Fahrgäste erwarten hohen Komfort – bei den Sitzen ebenso wie bei den Informationen.

Wie schnell fahren Berlins S-Bahnen?

Selbst die Geschwindigkeit bestimmen die Konstrukteure nicht willkürlich. Vor dem Zweiten Weltkrieg rauschten die so genannten Bankierszüge zwar mit Tempo 120 ohne Halt von Zehlendorf zum damaligen Potsdamer Bahnhof in Berlin, doch heute ist auch bei modernen S-Bahnen Schluss bei 100 Stundenkilometern. Berliner Zügen mehr Tempo zu verordnen, ist, wie Beier erklärt, bei den meist kurzen Bahnhofsabständen unwirtschaftlich. In Teilen des Netzes dürfe man ohnehin nicht schnell fahren. Im kurvigen Nord-Süd-Tunnel sind nur 50 Stundenkilometer zugelassen, auf der fast ebenso kurvenreichen Stadtbahn zwischen Charlottenburg und Ostbahnhof sind es 60. Dennoch, so Beier, habe man sich in Berlin für Tempo 100 entschieden, weil so auf langen Strecken, auf denen die Züge voll beschleunigen können, Verspätungen einfacher aufgeholt werden können. Auch Behinderten- und Fahrgastverbände haben bei den neuen Modellen ein Mitspracherecht, doch nicht immer werden Wünsche erfüllt. Im neuen Zug soll es aber auf jeden Fall mehr Platz für Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle geben als bei den Vorgängermodellen. Alle betrieblich-technischen Vorgaben legt der Auftraggeber in einem „Lastenheft“ fest. Besteller und Auftragnehmer stimmen dann alle Details ab. Bis es soweit ist, vergehen Monate oder gar Jahre. In Berlin ist es dieses Mal besonders kompliziert. Früher legte die S-Bahn das Grundkonzept eines neuen Zuges selbst fest. Jetzt kommen die Vorgaben vom Senat, weil der Betrieb nach EU-Recht ausgeschrieben wird. Kaufen muss die Züge aber der künftige Betreiber. Man nimmt an, dass die für den Ring-Verkehr erforderlichen knapp 400 Wagen etwa 800 Millionen Euro kosten. Bestellt werden sie erst, wenn die Finanzierung steht. Es gibt auch einfachere Entscheidungen, etwa, wie die Züge aussehen sollen. Kurt Beiers Team sah in den Achtzigern eine kristallblaue Lackierung vor, entschied sich dann aber – nach heftigen Protesten – doch für die traditionellen Farben Ocker plus Rot mit etwas Schwarz. Und dabei bleibt es jetzt tatsächlich.

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