Urban Gardening oder Fußball für Kinder: Ein soziales Projekt bringt Aufruhr ins Weddinger Himmelbeet
Auf einer Brache in Berlin-Wedding gärtnern hunderte Kiezbewohner. Jetzt aber soll dort mit Unterstützung von Oliver Kahn Deutschlands erstes Fußball-Bildungszentrum für benachteiligte Kinder entstehen.
Jetzt grünt und blüht es schon aus allen Kisten. Salate und Möhrenkraut sprießen der raren Frühjahrssonne entgegen, Pimpinelle und Kapuzinerkresse sind gut im Wuchs in dieser Oase im dicht bebauten Wedding. Und sowie es das Wetter zulässt, tummeln sich hier Kiezbewohner, gärtnern oder sitzen auf der Café-Terrasse inmitten ihres „Himmelbeets“. So heißt das 2013 gegründete Urban-Gardening-Projekt in einer großen Baulücke, ein paar Schritte vom Leopoldplatz entfernt. Doch nicht nur die dunklen Aprilwolken werfen derzeit Schatten auf den Weddinger Gärtnerhimmel. Die Beetpächter fürchten seit Ostern, dass sie vom Acker müssen. Der Bezirk Mitte habe erste Schritte unternommen, um das Areal ausschließlich einem anderen sozialen Projekt zu überlassen, heißt es – dem „Amandla Edu Football e.V.“
"Eine gemeinnützige Initiative würde die andere verdrängen - wie absurd"
„In diesem Falle würde ja eine gemeinnützige Initiative die andere verdrängen, es wäre absurd“, sagt ein junger Mann – und harkt grantig Hornspäne in die Erde, Wachstumsbeschleuniger für Kräuter.
Am Leopoldplatz tost der Verkehr, aber in der Ecke zwischen Schulstraße und Ruheplatzstraße, hinter dem kunterbunten Willkommensschild in vier Sprachen, ebbt der Lärm ab, warten kleine Fluchten, ähnlich wie in den Kreuzberger Prinzessinnengärten oder am Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld. Gepflanzt wird an diesem grünen, etwa 1700 Quadratmeter großen Begegnungsort in 300 gezimmerte Kästen aus Brettern, jeder kniehoch, etwa eineinhalb Quadratmeter groß. In Reihen stehen die „mobilen Hochbeete“ nebeneinander, dazwischen Fußwege, das in Lehmbauweise errichtete Café, Spielekisten, bepflanzte Leiterwagen.
Der Andrang auf die Minibeete ist groß, Familien, Senioren, Studenten bewerben sich, es gibt Wartelisten. Etwa 170 Pflanzkästen werden von privaten Pächtern versorgt, die anderen sind Gemeinschaftsbeete von Kitas, Seniorenklubs, Behindertenwerkstätten, Kiez- und Flüchtlingsinitiativen. Motto: Gärtnern verbindet. Es geht um ein soziales und ökologisches Miteinander, um Freiräume im Problemkiez. Kaum gegründet, gedieh der Mehrgenerationengarten üppig. Doch 2015 herrschte erstmals helle Aufregung im Himmelbeet.
Drei Fußballplätze sind geplant und ein "Amandla Safe-Hub"
Grund waren die Pläne des Vereins Amandla Edu Football. Der in München ansässige Verein will zusammen mit der Stiftung des einstigen Torhüters Oliver Kahn Deutschlands erstes Fußball-Bildungszentrum für benachteiligte Kinder und Jugendliche im sozialen Brennpunkt Wedding errichten – und zwar auf der riesigen bezirkseigenen Brachfläche, die teilweise vom Himmelbeet genutzt wird. Dort sind drei Fußballplätze geplant sowie ein einstöckiges Gebäude, das sogenannte „Amandla Safe-Hub“.
Oliver Kahn will Kinder durch "die Kraft des Fußballs" motivieren
Darin sollen sich Sozialarbeiter um die Kids kümmern, Coaches bei Lern- und Nachhilfeangeboten helfen, die Persönlichkeitsentwicklung fördern. Fußballtraining ist bei alledem die Eintrittskarte, frei nach Oliver Kahns Philosophie: „Ich bin überzeugt, dass Kinder und Jugendliche durch die Kraft des Fußballs ganzheitlich motiviert, gefördert und bestärkt werden können.“
Zwei ähnliche „Safe-Hubs“ betreibt der von Sponsoren und Stiftern geförderte Amandla-Verein bereits in Südafrika. Daher der Name Amandla, ein Gruß aus der Zeit der Anti-Apartheid-Bewegung. Nun will Amandla auch in Wedding einen „Gegenpol bilden zum Mangel an fördernden Freizeitangeboten“.
Dass dies „ein tolles Vorhaben“ ist, darüber herrscht auch bei den Himmelbeet-Aktivisten weitgehend Konsens. Deshalb gingen sie nach dem ersten Schock auf den Amandla-Verein zu. Es gab runde Tische. Man suchte gemeinsam nach Lösungen, um beide Projekte zu sichern. Sogar ein bundesweit einzigartiges Modellvorhaben wurde entwickelt, „Green.Urban.Lab“. Dafür wollten beide Projekte eng kooperieren.
Schließlich fand man mit Amandla und dem Bezirk folgende Perspektive: Das Himmelbeet sollte nun tatsächlich zum Himmel hinauf umziehen, und zwar aufs Dach einer geplanten neuen Bezirkssporthalle am südlichen Rand der Baulücke. Im Mai 2016 übernahm die Bezirksverordnetenversammlung Mitte (BVV) diese Idee, zugleich stellte sie sich in einem Beschluss hinter die Gärtner und Amandla. Beide bürgerschaftlichen Engagements müssten dauerhaft integriert werden, heißt es darin.
Das Himmelbeet spielte im Vorvertrag plötzlich keine Rolle mehr
Alles erschien gut geregelt, bis die Himmelbeetler vor zwei Wochen erfuhren, dass Mittes Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU) offenbar am 7. April Amandla einen Vorvertrag überreicht hat zur alleinigen Nutzung der insgesamt 4100 Quadratmeter großen Brache ab 2018. Das Himmelbeet spielte darin keine Rolle mehr. Dessen Pachtvertrag mit dem Bezirk über die Gartenfläche läuft Ende 2017 aus. Aber das war nicht die einzige schlechte Nachricht. Zugleich wurde bekannt, dass die geplante Sporthalle doch erst in fünf bis acht Jahren gebaut werden soll. Wohin bis dahin mit den 300 Pflanzkästen?
40.000 Berliner unterstützen die online-Petition zur Rettung des Gemeinschaftsgartens
„Das Himmelbeet muss bleiben!“, fordern seither die Gärtner in einer Online-Petition, die schon mehr als 40.000 Berliner unterstützen. Einen Kompromissvorschlag hat der Geschäftsführer der gemeinnützigen Himmelbeet GmbH, Felix Lodes, parat. Falls Amandla nur zwei statt der geplanten drei Fußballfelder baue, könne der Gärtnerhimmel fast komplett fortbestehen. Vom Vorschlag des Bezirks, bis zur Fertigstellung der Sporthalle auf nahe Ersatzplätze umzuziehen, hält er nichts. „Zwei Umzüge mit einem derart aufwendigen Gartenprojekt, das ist nicht durchzuhalten.“
Angesichts des Aufruhrs im Himmelbeet erklärten die Grünen in der BVV Mitte am Dienstag, man müsse beiden Projekten wie längst beschlossen eine Zukunft geben, dürfe sie nicht gegeneinander ausspielen. Zugleich versicherten der grüne Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel und Stadtrat Spallek, sie wollten das Himmelbeet erhalten. Nun richten sich alle Hoffnungen auf ein Gespräch am heutigen Freitag mit allen Beteiligten. Von Dassel ist zuversichtlich. Er will sicherstellen, „dass die Interessen aller Beteiligten umfassend berücksichtigt werden“.
Den Gemeinschaftsgarten mal besuchen? Mehr Infos gibt's auf der Website: www.himmelbeet.de.