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Unvergessen. Auf ihrem Festival erinnern Aktivisten an die Gezi-Proteste.
© Tsp

In Gedanken in Istanbul: Ein Solidaritätsfest erinnert an die Gezi-Proteste

Fünf Jahre nach den Protesten vom Gezi-Park feiern Aktivisten in Berlin ein Solidaritätsfestival.

Fünf Jahre nach den Geziprotesten blickt Ekin Altun (Name geändert) wieder hoffnungsvoll in die Zukunft. „Schlimmer kann es im Land nicht mehr sein.“ Alles liege am Boden, die Wirtschaft, die Justiz, der Bildungssektor. Deshalb könnten die anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eine Veränderung einläuten, glaubt die 24-Jährige. „Erdogans Zeit ist abgelaufen. Ich denke, dass sehen auch viele seiner Stammwähler so.“ Ekin Altun lebt seit einem Jahr in Berlin und wartet auf die Zulassung zum Masterstudium in Soziologie. Sie zählt sich in der Türkei einer Generation zu, die erst durch die Gezi-Proteste ein politisches Bewusstsein entwickelt hat. „Damals skandierten wir: Das ist erst der Anfang“, sagt Altun. Der Anfang vom Protest, versteht sich.

Der Geist von Gezi lebt also fort. Er lebt auch in der türkisch-sprachigen Community in Berlin und damit über Landesgrenzen hinweg fort. Auf dem Blücherplatz in Kreuzberg veranstaltete der Berliner Ableger der türkischen Aktivisten-Gruppe Birlesik Haziran am Samstag fünf Jahre nach Gezi ein Festival. Die Berliner Gruppe fand sich 2013 zusammen, um Solidarität mit den Gezi-Protestierenden in der Türkei zu zeigen. „Seitdem haben wir jedes Jahr zum Jahrestag kleinere Aktionen gemacht. In der Türkei ist eine größere Veranstaltung heute wegen des Ausnahmezustands nicht möglich. Und so haben wir uns überlegt, selbst etwas Großes zu organisieren,“ sagt Can Koc von Birlesik Haziran Berlin.

Der Protest breitete sich in der ganzen Türkei aus

Was Ende Mai 2013 als Protest gegen den Abriss von Bäumen im Gezi-Park am angrenzenden Taksimplatz im Istanbuler Stadtzentrum begann, breitete sich rasch über das ganze Land aus. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, damals noch Ministerpräsident, wollte ein Einkaufszentrum im Stil einer osmanischen Kaserne auf dem Platz im Gezi-Park errichten. Anfangs stellten sich 50 Aktivisten den Abrissbaggern in den Weg. Die Polizei räumte ein Protestcamp und setzte Tränengas ein, die Lage eskalierte. In den darauf folgenden Tagen kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Demonstranten. Im ganzen Land ging es längst nicht mehr nur um ein Paar Bäume. Die Protestierenden störte unter anderem der zunehmende autoritäre Regierungsstil der AKP-Regierung unter Erdogan. Solidarität aus der ganzen Welt erhielten sie wegen der Polizeigewalt. Rund zehn Menschen starben damals, über 8000 wurden verletzt. Altun versorgte damals Protestierende mit Flüssigkeit gegen die Augenreizungen nach Reizgasattacken. „Unter den Demonstrierenden herrschte eine einzigartige Atmophäre. Menschen begegneten sich mit sehr viel Güte und Respekt. Sonst eher verfeindete Kreise gingen behutsam miteinander um.“

Das Berliner Festival versucht, ein Stück weit die Gezi-Protestcamps nachzuahmen. Bis zum frühen Nachmittag kamen rund 300 Menschen zusammen, bis spät abends werden es noch viel mehr sein. Auf einem Forum kann jeder seine Meinung kundtun. Zwei Themen stehen hier im Vordergrund: Die Rolle der Medien und die Bedeutung der Wahlen am 24. Juni für die Opposition. Über die Rolle der Medien wird der exilierte Journalist Erk Acarer von der Birgün und der Taz-Gazete referieren. Über die Wahlen wird ein Gast aus der Türkei, Alper Tas von der ÖDP, der Partei der Freiheit und Solidarität, sprechen. Ein anderer Gast von der türkischen Erzieher-Gewerkschaft ist wegen besonders strenger Passkontrollen für türkische Beamte am Flughafen in der Türkei aufgehalten worden. Zwei Oppositionsparteien, die HDP und die CHP, haben jeweils einen Stand auf dem Fest. Sie werben um ihre eigenen Präsidentschaftskandidaten.

In diesen Tagen ist der Gezi-Park vorsorglich wieder mal abgesperrt. Am Donnerstag haben mehrere Hundert Menschen demonstriert. Noch kann sich das Blatt nach den Wahlen im Sinne der Gezi-Proteste wenden, hoffen die Aktivisten. Und Ekin Altun hofft nicht zum ersten Mal. „Seitdem ist viel passiert. Jedesmal vor Wahlen oder dem Verfassungsreferendum im letzten Jahr schöpften wir immer wieder neue Hoffnung auf Veränderung.“

Hülya Gürler

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