zum Hauptinhalt

Berlin: Ein Menschenleben kostet 1750 Euro

Wie gerecht ist das Recht? Geringe Geldstrafe für eine fahrlässige Tötung – da ist eine Beamtenbeleidigung manchmal teurer

Von Fatina Keilani

Ein junger Mann fährt eine alte Frau tot – und das Gericht verhängt gegen ihn eine Geldstrafe von 1750 Euro wegen fahrlässiger Tötung. So geschehen am Dienstag im Strafgericht. Das Gesetz sieht als Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor. Daran gemessen erscheinen 1750 Euro als sehr milde Strafe. Ganz schön wenig Geld für ein Menschenleben – so scheint es jedenfalls. Wie viel ist ein Leben wert?

Diese Frage, die sich der Normalbürger stellen mag, ist im Strafrecht nicht von Bedeutung, im Zivilrecht bei den Schmerzensgeldern hingegen schon. Beim Schmerzensgeld gibt es mittlerweile eine richtige Tabelle, zum Beispiel beim ADAC oder im Internet ( www.marktplatz-recht.de ). Auch hier gilt zwar, dass jeder Einzelfall anders ist, aber es haben sich über die Jahre in der Rechtsprechung gewisse Richtwerte entwickelt. Das Schmerzensgeld dient dazu, erlittene Schmerzen, Sorgen, Gesundheitsschäden einigermaßen auszugleichen – also nichtmaterielle Schäden. Für materielle Schäden gibt es den Schadensersatz. Aber das Zivilrecht gilt, wie der schon andeutet, nur zwischen Bürgern. Der Staat ergreift hier keine Partei.

Ganz anders im Strafrecht. Im Vordergrund steht der Gedanke, wie groß eigentlich das Unrecht ist, das der Angeklagte angerichtet hat. Wie weit hat er sich schon von den Grundprinzipien unserer Gesellschaft verabschiedet? Hat der Richter diese Frage geklärt, überlegt er erst einmal, welche Strafe angemessen wäre. An Geld denkt er dabei noch nicht, eher an Zeit: zwei Monate? Sogar drei? Im Falle des 23-jährigen Jimmy J., der am Dienstag vor Gericht stand, weil er die 93-jährige Schauspielerin Marga Legal überfuhr, hielt der Richter 70 Tage für angemessen. Erst im zweiten Schritt wird ausgerechnet, wie viel Geld der Straftäter dann zu zahlen hat. Das hängt von seinem Nettoeinkommen ab. Ein reicher Mann hat also pro Tag mehr zu zahlen als ein Armer. Jimmy J. ist gelernter Glas- und Gebäudereiniger, seit August arbeitslos. So hielten Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger 25 Euro als Tagessatz für angemessen. Mit 70 malgenommen, ergibt das die verhängten 1750 Euro.

„Es wäre unseriös, das zu kommentieren, ohne die Akten zu kennen“, sagt der CDU-Rechtspolitiker Michael Braun dazu. „Wir haben die richterliche Unabhängigkeit, es kommt immer auf den Einzelfall an. Nach meinen Erfahrungen wird im Gericht auf Gerechtigkeit sehr geachtet.“

Im Straßenverkehrsrecht werden meistens recht niedrig wirkende Strafen verhängt. Aus folgendem Grund: Wer im Straßenverkehr Fehler macht, ist meist kein Krimineller, auch wenn der Fehler erhebliche Folgen hat. Meist hat er sich von den Prinzipien unseres Zusammenlebens in der Gesellschaft nicht verabschiedet, und Vorsatz hatte er auch meist nicht. Jimmy J. zum Beispiel fuhr nicht zu schnell und war auch nicht betrunken, es war hellichter Tag, bloß eine Sekunde lang hat er nicht aufgepasst. Diese Sekunde aber war entscheidend. Wer könnte schon von sich sagen, dass er niemals kurz an seinem Radio dreht oder ähnliches, sondern immer ganz aufmerksam ist? Sicher kaum jemand. Marga Legal wiederum war schwer seh- und gehbehindert und hätte das Haus nicht ohne Begleitperson verlassen dürfen. So steht es in ihrem Schwerbehindertenausweis.

Weil alle diese Aspekte im Strafrecht eine Rolle spielen, ist es nicht möglich zu sagen: So viel kostet ein Menschenleben, oder: Eine Beleidigung muss immer billiger sein als eine fahrlässige Tötung. Im Falle von Jimmy J. gilt außerdem, was in den meisten dieser Fälle gilt: Der Täter ist auch gestraft durch das, was er angerichtet hat, es belastet ihn selbst, er wollte es ja nicht. Das hat sich auch darin gezeigt, dass der Verteidiger nicht etwa Freispruch verlangte, sondern 50 Tagessätze Geldstrafe beantragte.

Das Wertesystem im Strafrecht stand bis 1998 im Widerspruch zum Wertesystem des Grundgesetzes und der meisten Menschen. Wer jemanden beklaute oder betrog, also nur materielle Schäden anrichtete, wurde härter bestraft als einer, der Menschen beschädigte. Für Geldfälschung zum Beispiel drohte eine Mindeststrafe von zwei Jahren, für den schweren Fall des sexuellen Kindesmissbrauchs nur eine von einem Jahr. Das wurde mit der Reform von 1998 immerhin angeglichen. Jetzt beträgt die Mindeststrafe für beide Taten ein Jahr.

Zur Startseite