Das Mövenpick schließt: Ein letztes Kaffeekränzchen im alten Westen
„Hier tobte das Leben, junger Mann!“, sagt eine der älteren Damen. Lang ist’s her. Am Sonntag schließt das Mövenpick im Europa-Center - und damit verabschiedet sich wieder einmal ein Teil der alten City West.
Man hängt ja dran, auch wenn es der Plüsch von vorgestern ist“, sagt eine ältere Dame am Nebentisch. Immer noch die ockergelben Wände, die Vorhänge auberginefarben. Auch die Wilmersdorfer Witwen mit Kapott-Hut sind noch da. Ach, die alten Zeiten. Früher war mehr Bienenstich. Früher gab es Windbeutel mit Schlagsahne, Zitronenrolle, Frankfurter Kranz. Früher saßen wir auf ein Glas Wein hier, meine Angebetete und ich, bevor wir ins Kino gingen und dabei Händchen hielten. Oder auf eine Tasse edlen Filterkaffee, wenn wir uns eine Karottenjeans bei Wit Boy geholt hatten. An diesem Wochenende schließt das Mövenpick im Europa-Center. Zeit für einen letzten Besuch - Abschied nehmen vom alten West-Berlin.
„Meine ganze Vergangenheit verschwindet!“
Man sitzt immer noch sehr hübsch hier, oberer Rang, Logenplatz. Der Blick geht hinaus auf den Breitscheidplatz. Die Gedächtniskirche sieht mehr denn je aus wie ein abgebrochener Zahn. Das Gebiss dieser Gegend wird mal wieder überholt. Ein neuer, steiler Zahn ist hinzugekommen: das Waldorf Astoria. Und der Zoo-Palast ist neu eröffnet. Dafür ist das Schimmelpfeng-Haus gefallen. „Den Wasserklops wollen sie ja auch weghaben“, sagt die Dame am Nebentisch, „meine ganze Vergangenheit verschwindet!“ Ihre Freundin fällt ihr ins Wort: „Nein, Gerda, der Wasserklops soll ja nun doch bleiben. Und die Platanen auch.“
Trotzdem hat sich die Nostalgie wie ein schwerer Schleier auf uns gelegt. Das Mövenpick macht zu. Zum letzten Mal bestelle ich die „Berliner Luft“ – Zitronenschaum mit Himbeersauce. Oder doch lieber einen heißen Apfelstrudel mit Vanilleeis? Die beiden resoluten Berlinerinnen am Nebentisch haben sich längst entschieden: „Beefsteak Tatar, aber feurig.“ – „Ja, du bist die Feurige, Gerda.“ Doch die Kellnerinnen lassen sich nicht blicken. Die beiden konstatieren spitz: „Also, wenn die solche Bedienungen haben, dann müssen sie sich nicht wundern, dass sie zumachen.Früher waren sie auf zack.“
Erst die Lockenwickler, dann der Ku'damm
Wie war es denn früher? Ich wende mich meinen Nachbarinnen zu, und ein nostalgisches Kaffeekränzchen beginnt. „Die Gegend hier hat früher mal Eleganz ausgestrahlt“, sagt die eine Dame, die sich als Annemarie vorstellt, mehr möchte sie nicht sagen. Als sie jung war, hat sie als Krankenschwester gearbeitet. Dann heiratete sie einen vermögenden Mann. Ja, das gab es damals noch! Der Kurfürstendamm war immer ihr eigentliches Zuhause. „Die Frauen trugen Pelze und schicke Hüte, da war richtig was geboten. Die jungen Männer fuhren mit offenem Verdeck den Ku’damm rauf und runter. Da war Berlin noch eine Weltstadt. Hier tobte das Leben, junger Mann! Heute sind die jungen Leute so lahm. Ich sag immer: Die sollten mal so arbeiten, wie wir gearbeitet haben. Und wir haben trotzdem gefeiert. Von acht Uhr abends bis früh um acht gearbeitet, und dann ging es erst los. Mittags für ein paar Stunden mit Lockenwicklern hingelegt, und dann auf den Ku’damm.“
Ihre Freundin Gerda, die damals Lehrerin wurde, ergänzt: „Wohin denn sonst? Der Berliner ging eben auf den Kurfürstendamm. Zum Tanzen in die ,Badewanne’. Oder ins Kino, hier gab es ja zahllose Kinos. Und danach ins chinesische Restaurant neben dem Zoo-Palast. Da saß auch der Harald Juhnke oft, der Laden gehörte ja seinem Schwiegervater.“ Es sei ja eine wunderbare Zeit gewesen, bevor die Mauer fiel. Und heute? „Wer will denn auf den Potsdamer Platz?“, fragt sie. „Da gehen doch nur Touristen hin. Oder auf den zugigen Alexanderplatz, da ist doch nichts! Der Berliner sucht die vertrauten Sachen, und das sind eben der Kurfürstendamm, der Zoo, das Europa-Center, das KaDeWe natürlich. Und das waren mal Mampe halb und halb, das Café Möhring und Kranzler und Huthmacher, aber die sind ja nun alle hinüber, es ist ja eigentlich nichts mehr da.“
Unterdessen ist die Bedienung doch gekommen, hat die Bestellungen aufgenommen, den Kaffee und die Speisen gebracht.
„Verrückte gab es viele damals“
Doch ganz so golden, fällt den beiden Damen nun ein, war es damals nun auch nicht, es war auch Messing dabei. „Die Drogensüchtigen am Bahnhof Zoo, die Christiane F. und wie sie alle hießen. Das war nicht so schön. Und diese Helga Götze mit ihren Wallegewändern, die immer an der Kirche stand und für die freie Liebe warb, weißte noch, Gerda?“ Gerda schüttelt sich etwas. „Eine vulgäre Person. Das war ja unaussprechlich, was auf ihren Plakaten stand. Aber weißte noch, die Tütenlady? Die saß immer an der Bushaltestelle, alle kannten sie, aber keiner wusste, wie sie wirklich hieß.“ Mit niemandem habe sie gesprochen, nur vor sich hingestarrt. „Wenn man sie nur ansah, wurde sie aggressiv. Die hatte ihre Habseligkeiten in fünfzig Tüten um sich gruppiert, und das stank zum Gotterbarmen. Die war eindeutig verrückt.“ Ihre Freundin stimmt ein: „Verrückte gab es viele damals. Einer stand immer vor dem Mövenpick hier, der trug einen Hut mit Aluminium beklebt, wegen der Strahlungen. Der meinte, wir würden mit Strahlungen überwacht.“ Eine nachdenkliche Pause tritt ein. „Vielleicht doch nicht abwegig, wenn man an die NSA heutzutage denkt.“
Das Heutzutage ist weit weg, wenn man im Mövenpick sitzt. Vielleicht noch ein Gläschen Eierlikör auf die guten alten Zeiten? Wir kramen weiter in unseren Erinnerungen, so unterschiedlich die auch sind. Mit 50 fühle ich mich steinalt, die beiden Damen aber, obwohl sie die Siebzig längst überschritten haben, wirken immer noch unternehmungslustig. Gerda sagt: „Die hatten doch eine Eisbahn hier, das war sehr hübsch. Da kam man sich auch näher, beim Schlittschuhlaufen. Habe ich nie verstanden, wieso sie die abgeschafft haben.“
Mir fällt noch das „Linientreu“ ein, eine Wave-Disco drüben im Bikini-Haus. Dort tanzte man zu The Cure und Anne Clark den Kartoffelsammlertanz. Wer aber wirklich cool sein wollte, der ging in den „Dschungel“, zwei Straßen von hier. Und wenig später, im Juli 1989, zog dann die erste Love Parade am Mövenpick vorbei zum Ku’damm. 150 tanzende Leutchen. Davon wissen die reizenden alten Damen nichts, sie winken hoheitsvoll ab. „Die richtig guten Zeiten haben Sie gar nicht mehr mitgekriegt, junger Mann!“
Und die waren nach Ansicht der beiden spätestens vorbei, als die Mauer fiel. „Seitdem sind doch Krethi und Plethi hier unterwegs. Gut, Touristen gab es früher auch, nur fielen die nicht so auf. Aber Berliner findet man doch kaum noch!“
Nun könnte doch eigentlich auch Reinhard Mey hereinkommen und singen: „Gute Nacht, Freunde, es ist Zeit für mich zu gehn. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Stehn.“ Drüben im Innenhof rinnen die Minuten, Stunden, Tage und Jahre in der Uhr der fließenden Zeit.
Fräulein, wir würden dann gern zahlen.