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Das Rentner-Ehepaar Gericke steht im Schnee vor seinem Wohnwagen.
© Axel Völcker

Winterbesuch auf dem Campingplatz: Ein Leben im Wohnwagen

Andere kehren ihrem Wohnwagen im Winter den Rücken. Die Gerickes leben das ganze Jahr in einem Caravan am Stadtrand - und wollen nie mehr weg. Ein Januarbesuch bei Hannelore und Heinz.

Die Luft ist klar, das Thermometer zeigt knapp über null Grad, Nebel liegt über den Baumkronen. Die hindurchfallenden Sonnenstrahlen lassen den Morgentau auf den Wiesen glitzern. Kaum jemand ist an diesem Januarvormittag in Berlin-Kladow unterwegs. Die Menschen sind in ihren Häusern. Nur eine Frau kratzt die Eisschicht des Nachtfrostes von den Autoscheiben. In den kahlen Heckenzäunen der Eigenheime, die den Krampnitzer Weg hinab zum Campingplatz säumen, zwitschern Amseln.

Am Ende der Straße liegt er da. Still und leer jetzt, ohne Badehosenträger, Musik aus kleinen Radiolautsprechern, dem Duft von Gegrilltem. Ein Briefkasten, eine Telefonzelle und ein Schild mit Willkommensgruß des Deutschen Campingclubs. Die Kaufhalle und das Restaurant im Eingangsbereich des Campingplatzes sind geschlossen. Die Rezeption ist nicht besetzt, aber "in Bereitschaft", wie der an die Scheibe geklebte Zettel verrät. Trotzdem hinein, wie sieht es hier aus, jetzt, mitten in der Wintersaison? Einige Wohnwagen und Reisemobile wurden mit Kälteschutzfolie in den Fenstern präpariert, andere sind komplett mit Winterplane überzogen. Zu dieser Jahreszeit ist hier niemand, oder?

"Hannelore u. Heinz" steht auf dem gerahmten Schild mit der Stellplatznummer 222/223. Der Stellplatz: ein quadratisches Stück Wiese, auf dem ein graublaues Vorzelt aus PVC-Plane mit langen Gardinen hinter den Folienfenstern, ein überdachter Wohnwagen und eine ältere Mercedes-Benz-Limousine stehen. Vor dem Zelt: eine wadenhohe Wildsau mit Stoßzähnen aus Plastik. Steht da wie ein Platzhirsch und markiert das Revier. Vermeintlich verlassene Camperidylle. Aber ist da nicht Licht im Vorzelt?

Ein Blick in den Wohnwagen: Zwei Betten mit lila Kopfkissen, auf beiden Betten sitzen Stoffteddybären.
Kleines Zuhause. Das Leben auf engem Raum stört die Gerickes nicht.
© Axel Völker

Ein Idyll auf zehn Quadratmetern

Vierzehn Winter haben Hannelore und Heinz Gericke nun schon in ihrem Wohnwagen in Kladow verbracht. Und zwar nicht, weil sie die Miete nicht zahlen konnten oder der Nachbar tagsüber Posaune übte. Ihre Eineinhalb-Zimmerwohnung in Spandau, knapp elf Kilometer vom Campingplatz entfernt, nutzt das Rentnerehepaar nur als Trockenboden für die frisch gewaschene Wäsche und als Postadresse - obwohl sie mit ihrem Standwagen per Berliner Meldegesetz eigentlich darauf verzichten könnten. Der Wohnwagen ist ihr Zuhause, mehr noch: Er ist ihr Leben. Aber warum eigentlich? Und vor allem: Warum gerade jetzt, bei Kälte und Schnee? Was ist das hier für eine Welt, am Rande Berlins?

Im Vorzelt begrüßt Hannelore Gericke, eine kleine drahtige Frau mit kurzem rotbraunem Haar, lilafarbener Fleece-Weste und Freizeithose den Besucher mit festem Händedruck. "Kommen Sie herein! Da auf dem Stuhl können Sie Ihren Mantel ablegen!" Vor dem Fernseher - Vormittagsprogramm, Serie, heile Welt - sitzt ihr "Dicker", ein Mann von ebenfalls kleiner Statur mit weichen Gesichtszügen, das Haar weißgrau und zurückgekämmt. Hallo. Guten Tag!

Gemütlich warm ist es im Vorzelt, einem mit Holzpaneelen vertäfelten Idyll auf etwa zehn Quadratmetern. Der Eingangsbereich ist Küche zugleich und mit zwei Kühlschränken, einem Gasherd, einer Induktionsherdplatte und Geschirrschrank eingerichtet. Eine Stufe daneben führt in den Wohnwagen, in Gerickes Schlafzimmer, das jetzt zur kalten Jahreszeit bis auf die Heizdecken in den Betten gar nicht beheizt wird. Der Wohnwagen selbst, das lässt sich hier im kalten Winter gleich mal feststellen, ist also gar nicht das Zentrum des Lebens der Dauercamper. Und trotzdem: liebevoll gestaltet. Auf den mit weißen Tagesdecken akkurat gemachten Betten sitzen Teddybären. Mit Platzdeckchen, Blumentöpfen, Kerzen und Lichtern dekoriert sind auch die Schubladenschränke und Kommoden, die entlang der Vorzeltwände stehen. Gleich dahinter befindet sich eine kleine Essecke mit blauem Stoffüberzug und gemusterter Wachstuchdecke auf dem Tisch. An den Wänden: Gerahmte Fotos, auf denen Heinz am Grill oder auf einem Elektromobil sitzend abgebildet ist. Camping, das ist auch: auf engstem Raum alles zu haben, was einem wichtig ist. Aber was ist das für den Einzelnen?

Augewachsen in Kreuzberg

Das Leben im Wohnwagen - vielleicht werden die Voraussetzungen dafür schon in der Kindheit gelegt. Hannelore und Heinz Gericke erleben sie in der Manteuffelstraße 89 in Kreuzberg, wo Hannelore mit Mutter und Vater in einer Wohnung im dritten Stock aufwächst. Heinz wohnt mit Geschwistern und Eltern im Parterre. Vor allem bei den Gerickes in der Ladenraumwohnung ist es zuallererst einmal: eng. Heinz wird 1935 geboren. Der leibliche Vater verlässt die Familie früh, der neue Mann der Mutter bringt weitere Geschwister in die Familie. Zuletzt teilen sich elf Personen die schlichte Einraumwohnung mit Ofen, in der sich im Kältewinter 1947 dickes Eis an der Innenholzverkleidung bildet. Im Alter von sieben Jahren beginnt Heinz Gericke für seine Geschwister und Eltern zu kochen. Der Älteste versorgt die Kleinsten, wechselt Windeln, pudert. Nach der Volksschule erlernt er das Handwerk des Werkzeughärters, arbeitet später in verschiedenen Anstellungen als Hauswart ("Treppenterrier"), Chauffeur, Gabelstaplerführer, Kraftfahrer - insgesamt 45 Jahre lang.

Camping als Erfüllung des Robinson-Crusoe-Traumes

Hannelore Gericke wird Schuhfachverkäuferin. Mehr als drei Jahrzehnte lang verkauft und repariert sie Schuhe in ein und demselben Kreuzberger Schuhgeschäft. 1963 heiratet das Paar. Eigene Kinder kommen nicht zur Welt, sind auch nie ein Thema, sagen sie, zu prägend scheinen Heinz Gerickes Erfahrungen mit acht Geschwistern aus frühester Kindheit. Die Ehe ist glücklich: Im Sommer geht es mit Stullenpaketen bepackt zum Baden an den Wannsee, doch "immer dieser Sand auf der Stulle, wenn jemand vorbeirannte, das war nüscht", sagt jetzt - Vorzelt, Januar 2014 - Heinz im weichsten Berlinisch, während beide Hände gleichzeitig abwinken. Ende der Sechziger erfährt er von einem Arbeitskollegen, dass auf dem Kleinen Stößensee unweit der Freybrücke ein Boot mit Kajüte zum Verkauf steht. Die Gerickes schlagen zu. Ihre Camperkarriere beginnt auf dem Wasser.

"Die Mehrzahl der Camper aus der Nachkriegsindustriegesellschaft begreift die Natur als Kulisse, vor der man die eigene reduzierte Welt installiert", sagt Sozialgeograf Rainer Krüger, emeritierter Professor der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Viele Wohnmobilisten hätten Angst vor der Fremde. Das Zuhause auf vier Rädern gebe Orientierung und Sicherheit und sei somit der ideale Anknüpfungspunkt in der unbekannten Umgebung. Zugleich ist Camping für viele, wie der Volkskundler Mathias Badura 2010 in seiner Doktorarbeit mit dem Titel "Camping als Urlaubsform" schrieb, die Erfüllung des Robinson-Crusoe-Traumes von der eigenen selbst erschaffenen Welt. Wichtig in dieser Welt ist laut Badura vor allem, dass sogar banalste Tätigkeiten eine neue Qualität gewinnen. "Zu Hause kocht man, aber auf dem Campingplatz füttert man die Sippe." Im Grunde, so Badura weiter, sei das Dasein im Wohnwagen eine spielerische Antwort auf die Zivilisation, bei der das vermeintlich ewig Gestrige, wie einander "Guten Morgen" zu sagen oder sich Hilfestellungen im Alltag anzubieten, gelebt werde. Werte, die in der globalisierten Welt des mobilen, flexiblen und hochqualifizierten Individuums zunehmend verloren gehen. Und doch hat der Camper jederzeit die Möglichkeit in die moderne Welt, von der er profitiert, zurückzukehren. Für Experten, so scheint es, ist Camping die Suche nach Freiheit und Geborgenheit zugleich.

Die Spandauer Wohnung wird zu klein

Doch - àpropos Freiheit - zurück zu den Gerickes und ihrer "Saskia": Mit dem Boot kommen die beiden wegen der Wassergrenzen nach Ost-Berlin nur "hoch bis nach Tegel oder runter bis nach Wannsee". Den Griebnitzsee dürfen sie als West-Berliner nur bis zur Hälfte befahren. "Wenn wir da mal versehentlich eine Tonne überquerten", erinnert sich Hannelore Gericke und hält einen Moment inne, als würde sie sich das Geschehen vor Augen führen, "kam sofort der Entenschutz angeschossen". Die Gerickes aber lassen sich von Ostgrenzern, die vom Schilf aus die Boote überwachen, nicht stören. Stundenlang gehen sie vor Anker, dümpeln nach getaner Arbeit oder an den Wochenenden gemächlich vor sich hin.

Vielleicht wären aus den Gerickes nie echte Camper geworden, wäre Heinz nicht Anfang der neunziger Jahre an einer schweren Gefäßkrankheit erkrankt. Das rechte Bein muss ab. Schweren Herzens verkaufen sie "die Saskia". Die Spandauer Wohnung ist ohne den Fluchtpunkt plötzlich zu klein. "Ich bin kein Mensch, der zu Hause rumsitzt", sagt Hannelore Gericke auch jetzt noch mit erregter Stimme. Hier, wo Heinz wegen der Treppen kaum das Haus verlassen kann, jeder der Nachbarn sein eigenes Süppchen kocht und sich das Naturerlebnis nur auf den Balkon beschränkt, können sie nicht bleiben. Den Kladower Campingplatz kennen sie über Freunde. Nette Menschen zu ebener Erde, "wir ziehen nach Kladow", teilt Hannelore ihrem Mann mit. Heinz Gericke muss grinsen, während seine Frau die Geschichte erzählt. "Es ist so bei 50 Ehejahren", er schwingt den Zeigefinger in die Höhe, "in den ersten 25 Jahren hatte ich nichts zu sagen und in den zweiten wollte ich nichts mehr sagen." Beide lachen jetzt. Manchmal ist Camping auch einfach nur die beste Lösung.

Vor dem Mittagessen dreht Hannelore Gericke ihre tägliche Runde über den Platz: gucken, ob bei den vielen, die den Winter über nicht da sind, alles in Ordnung ist. Sie streift sich die Winterjacke über und läuft flotten Schrittes los. Erst kürzlich wurde in einigen Zelten eingebrochen, immer wieder verwüsten Wildschweine die Rasenflächen. Eine pfiffige Bache sei da, sagt Hannelore jetzt, "wenn die einmal grunzt, sind alle anderen still".

Einige Camper sind am Vormittag mit ihren Pkw aus der Stadt gekommen. "Na Horst, biste fleißig?", begrüßt Hannelore Gericke einen Mann, der auf dem Weg Laub harkt. Kurzer Plausch, das Wetter, die Gesundheit. Kontaktfreude und Geselligkeit wird unter Campern großgeschrieben. Im Sommer treffen sie sich bei Grill- und Tanzabenden, zum Schwätzchen an der Hecke oder zum spontanen Kaffeetrinken. Denn Campen, das weiß auch Volkskundler Mathias Badura, steht für die Bereitschaft auf andere Menschen zuzugehen. Oft sei die Suche nach sozialer Nähe der einzige Antrieb, um die Zelte aufzuschlagen. "Dabei sind die unter Campern geltenden Ehrenkodexe Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft allein deshalb nötig, weil man sich auf dem Platz nur schwer aus dem Weg gehen kann."

Der Campingplatz forciert die Nähe zum Menschen

Und natürlich, sagt Hannelore Gericke jetzt, gebe es bei so viel Beisammensein den einen oder anderen Tratsch über zu hohe Hecken oder zu lange Zäune. Auch bekomme man durch die dünnen PVC-Planen weit mehr vom Nachbarn mit als durch dicke Steinwände. Der Campingplatz forciert die Nähe zum Menschen. Und die bedarf einer Strategie: "Wir sind die Schweiz", sagt Hannelore Gericke , der Blick durchdringend, als wolle sie sichergehen, dass sie wirklich verstanden wird, "wir halten uns raus".

Zurück im Vorzelt stellt sie tiefe Porzellanteller auf den Tisch und legt Servietten und Löffel dazu. Auf der Herdplatte steht ein Grüne-Bohnen-Eintopf, den sie schon am Vortag gekocht hat. Weil die kleine Wasserstelle gegenüber im Winter abgestellt ist, muss sie das Wasser zum Kochen aus dem 50 Meter entfernten Waschhaus holen. Fünf Kannen à fünf Liter und zwei Kanister à zehn Liter Frischwasser und später Abwasser trägt die 68-Jährige derzeit täglich zwischen Vorzelt und Waschhaus hin und her. "Dit is mein Sport", sagt sie und zeigt auf ihre Oberarmmuskeln. Damit sie bei zu viel Anstrengung nicht übersäuern, verwenden die Gerickes ihr Wasser in der Küche sparsam und spülen etwa das abgewaschene Geschirr nicht mit klarem Wasser nach. Camping, das heißt auch: sich mit den Gegebenheiten arrangieren.

Um das Gas zum Kochen und Heizen kümmert sich Heinz Gericke . Mit seinem behindertengerecht umgebauten Benz bringt er die leeren Alu-Gasflaschen, die immer auf Vorrat gekauft werden, zum Befüllen zum Gaslieferanten. Vier Flaschen und eine fünfte "für sehr, sehr kalte Tage" in Reserve reichen gut zwölf Tage lang. Heinz Gericke hat ausgerechnet, dass für eine Stunde warme Luft im Vorzelt durchschnittlich 250 Gramm Heizgas verbraucht werden, so dass die Elf-Kilogramm-Flaschen 44 Stunden halten, wobei das Paar immer großzügiger mit 40 Stunden rechnet. Rund 215 Euro monatlich zahlen die Wintercamper für Miete, Wasser, Strom und Gas auf dem Campingplatz. Hinzu kommen die Miete für die Wohnung in Spandau und Stromkosten von neun Euro, monatlich. Der örtliche Stromanbieter ließ vor ein paar Jahren den Zähler austauschen, weil man glaubte, er wäre defekt.

"Wir bleiben, so lange es geht"

Das Schönste am Wintercampen, sagen die Gerickes, sei die Ruhe. Wenn wie jetzt kaum Menschen auf dem Platz sind, lesen sie Schmöker, lösen Kreuzworträtsel und spielen Rommé. Im Spätherbst beobachten sie die Kraniche und Wildgänse, die am Himmel gen Süden ziehen und im Winter die tanzenden Schneeflocken vor den Folienfenstern. An Weihnachten dann: Entenbraten und Stollen im Vorzelt, draußen auf dem Rasen: der Tannenbaum mit Kugeln und Lichterketten. Einsamkeit? Kein Problem. "Wir sind ja zu zweit", sagt Heinz Gericke , er zuckt mit den Schultern, lang würden ihnen die gemeinsamen Tage nicht. Ob es mal Streit gebe? Der ruhige, sanfte Gericke schüttelt den Kopf. "So etwas brauchen wir überhaupt nicht." Meinungsverschiedenheiten würden gleich ausdiskutiert und Schimpfworte wie "blöde Kuh oder so", der 78-Jährige schüttelt den Kopf, "das wäre jetzt albern, oder?"

Albern wäre für zwei wie sie wohl auch, die Zelte wegen ein paar Zipperlein abzubrechen: Erst im November erlitt Heinz Gericke nachts einen Herzinfarkt und musste notoperiert werden. Der Krankenwagen kam nach nur zehn Minuten, die Nachbarn halfen, das gab Sicherheit, die auch bestehen blieb, als Hannelore wenig später an einer Gastritis erkrankte. "The show must go on!", sagt sie jetzt und Heinz Gericke ergänzt mit leiser Stimme, "es geht doch alles weiter."

So muss man wohl beschaffen sein, wenn man sich trotz schwerer Krankheit nicht vor dem Morgen fürchtet, sondern vielmehr darauf achtet, wie der Alltag im Jetzt funktionieren kann. Besonders mutig finden die Wintercamper ihre Entscheidung, trotz Krankheit draußen zu bleiben, nicht, "sondern besser". "Zu Hause ist die beste Reha", sagt Heinz Gericke. Seine behandelnde Ärztin im Krankenhaus bat er schon nach ein paar Tagen um Entlassung. Der tägliche Gang zum Waschhaus, den er mit Gehhilfen zurücklegt, sei wie Gymnastik. Im Krankenhaus hatten ihn die Ärzte aufgrund der Beinprothese und mehreren Herzschrittmachern für rehabilitationsuntauglich eingestuft. Knapp drei Monate später leben die Gerickes wieder ihr altes Leben auf dem Platz. Camping ist eben auch, wenn man hart im Nehmen ist.

Aber wo kommt die Kultur des Campens eigentlich ursprünglich her, die die Gerickes derart hartnäckig pflegen? Schon seit den 1920er Jahren nutzten die Deutschen ihren freien Sonntag, um sich kostengünstig und mit Zelt und Kochgeschirr bepackt, ein paar Stunden in der freien Natur zu regenerieren. 1931 konstruierte der Unternehmer und "Wohnwagen-Pionier" Arist Dethleff das erste "Wohnauto", das im Volksmund "Stoffvilla" oder "Haus am Haken" genannt wird. Doch erst in den fünfziger Jahren, die Deutsche Wirtschaft ist nach dem Krieg wieder angekurbelt, eine breite Schicht kann sich Kurzurlaub leisten, entwickelte sich das Campen vor allem in der Bundesrepublik als Begleiterscheinung der Industriegesellschaft zum Massenphänomen. Caravaning wird zum Symbol des gesellschaftlichen Aufstiegs. "Camperkarriere" macht, wer seinen Urlaub zuerst im Wohnwagen und schließlich - als Krönung eines langen Arbeitslebens - im Wohnmobil verbringt. 70 Jahre später spricht die Campingindustrie heute von einem neuen Reisetrend namens "Glamping", einem Kunstwort aus "glamorous" und "camping", bei dem sich die Urlauber in Safarizelten oder Wohnmobilen mit Teakholzverkleidung, Fußbodenheizung und Massagedusche erholen. Für die Industrie hinter den Wohnmobilisten ist das die wesentliche Campinglektion: Es geht immer noch ein bisschen mehr.

Camper schwelgen gern in Erinnerungen

Von Glamping ist auf dem Campingplatz in Kladow derweil nicht allzu viel zu spüren. Am Nachmittag kommt Klaus "Lewi" Lewandowski, Brille, Schnauzer, Machertyp, mit dem Handwagen bei den Gerickes vorbeigefahren. Am Abend soll das Treffen des Ortsclubs Charlottenburg-Spandau, dessen Vorsitz Lewi ausübt, im Kladower Camping-Restaurant stattfinden. Doch ist die Heizung ausgefallen. Kurzfristig stellt Hannelore Gericke ihre Heizkanone zur Verfügung. So läuft das hier.

Seit 15 Jahren organisiert Lewi federführend die Aktivitäten des Ortsclubs Charlottenburg-Spandau. Gemeinsam unternehmen die Mitglieder - darunter Wohnmobilisten, Wohnwagenhalter, Winter- und Sommercamper - Ausflüge, etwa in die Werke von Reisemobil- und Caravanherstellern oder ins Erwin-Hymner-Museum zum Erfinder des Hymner-Reisemobils. In den Wintermonaten treffen sie sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch oder berichten bei Diaabenden von ihren Reiseerlebnissen. Camper, auch das lässt sich nach einem Tag auf dem Platz in Kladow sagen, schwelgen gern in Erinnerungen.

In den fünfziger Jahren wurden die zehn Berliner Ortsclubs des Deutschen Camping Clubs e.V./ Landesverband Berlin gegründet, um den Kontakt unter den Berliner Campern zu fördern und um "sich gemeinschaftlich auf die Beine zu stellen", wie Lewi sagt. Vorausgegangen war am 22. September 1948 die Gründung des Deutschen Camping Club e.V. (DCC) - ein schwieriges Unterfangen, weil die Militärregierungen nach dem Zweiten Weltkrieg jeder Form von deutscher Organisation und Institutionenbildung misstrauten. Im geteilten Berlin, erzählt Lewi, sei Kladow der am besten bewachte Campingplatz Berlins gewesen, denn nur wenige Meter entfernt standen sich am Mauerstreifen britische Besatzertruppen und Grenzsoldaten der DDR gegenüber. Nach dem Fall der Mauer verließen viele Kladower Camper die Enge der West-Berliner Insel und suchten sich neue Plätze im Berliner Umland.

Heute zählt der Ortsclub Charlottenburg-Spandau zirka 150 Mitglieder, Tendenz fallend. Der Nachwuchs fehlt. Schuld daran sind, so erklärt es Lewi, die verlängerten Arbeitszeiten, vor allem bei den Frauen, so dass vom Wochenende nicht mehr viel übrig bleibt. "Früher", erinnert sich Lewi, "haben die Frauen alles vorbereitet und der Mann sprang nur noch hinters Lenkrad". Der Ortsclubvorsitzende hat beobachtet, dass eine andere Camper-Generation heranwächst. "Einzelkämpfer", nennt er die Neueinsteiger, die meist mit luxuriösen Wohnmobilen, "ausgestattet wie kleine Eigenheime", unterwegs sind. "Die haben keine Campingstühle für spontane Besucher". Als ehrenamtlicher Caravan-Berater des DCC kennt Lewi die Trends der Branche, wie derzeit vollautomatische Antennen mit Internetanschluss oder Solarpaneele auf den Wohnmobildächern. 25 000 Euro müsse man im Durchschnitt für einen Neu-Wohnwagen berappen. Das könne sich nicht jeder leisten.

Noch drei bis vier Jahre auf dem Campingplatz

Am Abend hat sich das Restaurant auf dem Kladower Campingplatz nach und nach mit Menschen gefüllt. Männer und Frauen in guter Alltagskleidung, die meisten im Rentenalter, begrüßen einander mit Umarmung (die Herren) oder Küsschen links- rechts (die Damen). Weil die Temperatur im Raum recht kühl ist, lässt Lewi via Laptop ein Kaminfeuer auf der Beamerwand über der Bühne lodern. Auf einem Tisch davor stehen Kessel, in denen später Feuerzangenbowle angerichtet werden soll. "Leider ist heute die Heizung ausgefallen", begrüßt der Vorsitzende die etwa 60 Gäste im Raum, "aber wir Camper können das ab". Einige Menschen im Saal lachen, andere johlen, Camper - das sieht man besonders schön, wo viele von ihnen zusammenkommen - neigen zu einer demonstrativen Unerschütterlichkeit. In Gruppen sitzen sie nun zusammen, trinken Bier und Brause aus Halbe-Liter-Gläsern und essen Bratwurst mit Toast. An einem Tisch hat sich eine heitere Runde, allesamt Kladower Camper der ersten Stunde, zusammengefunden. Bei der letzten Bundesrallye - einem Wettbewerb im Geschicklichkeitsfahren mit Wohnmobil - holte ein Camper aus Kladow den Deutschen Meistertitel, das ist nun Anlass für wildes Durcheinanderreden.

"Camper", sagt dann ein Mann namens Karl-Heinz, "sind unabhängig". Mit seinem Reisemobil könne er bei schlechtem Wetter einfach weiterziehen und müsse nicht tagelang im gleichen Hotel festhängen. "Campen ist Freiheit", sagt ein anderer, wo sonst könne man nur mit Badehose bekleidet einkaufen gehen. Irgendwo in der Runde sitzen auch Hannelore und Heinz Gericke, fein angezogen mit Hemd und Bluse. Sie sind keine, die sich hier in den Vordergrund spielen müssen. Aber hier, das verraten die glühenden Wangen, ist ihre Welt. Das ist ihr Camping.

Noch drei bis vier Jahre wollen die Gerickes so gemeinsam auf dem Campingplatz leben - würden, wenn es gar nicht anders ginge, den Winter in der Spandauer Wohnung verbringen, um im Sommer wieder raus nach Kladow zu ziehen. "Wir bleiben, so lange es geht", sagt Heinz. Und zum ersten Mal an diesem Tag hebt sich seine Stimme: "Denn was hält schon ewig?"

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