BER-Kritiker Faulenbach: Ein Flughafenplaner schert aus
Es geht ihm nicht um den Lärm. Auch nicht um Nachtruhe und Flugrouten. Trotzdem kritisiert niemand den neuen Berliner Flughafen so massiv wie der Stadtplaner Faulenbach da Costa. Seine These: Der BER hat ausgedient, bevor er eröffnen wird. Manche halten ihn deshalb für einen Spinner. Aber er hat Argumente.
An einem Montag im Dezember sitzt der Mann, um den es hier geht, in seiner Stammkneipe im Zentrum von Offenbach, draußen fällt Schnee, drinnen bescheidenes Ambiente, bodenständiges Publikum. Er trägt einen großen Hut zum Rollkragenpulli, und er hat den Zusatz „da Costa“ im Nachnamen behalten, obwohl die Ehe mit seiner Frau scheiterte. Das ist alles, was er sich an Eitelkeiten gönnt. Er trinkt ein Glas Rotwein, bestellt Bauernfrühstück „mit Gurke“. Dann sagt er: „Ich will hier einmal klarstellen: Ich bin kein Gegner des neuen Berliner Flughafens, ich kritisiere nur schlechte Planung und zeige die Konsequenzen auf.“
Das allerdings ist höfliches Understatement. Denn dieser Mann, Dieter Faulenbach da Costa, 68, ist den Flughafenbetreibern lange schon lästig, eine Art „ewiger Querulant“, wie es ein Beteiligter ausdrückt. Warum das aus Sicht des BER so ist, wird hier zu erzählen sein. Der studierte Stadtplaner und Diplom-Ingenieur kritisiert nicht Details, nein, er stellt das ganze Projekt infrage. Seine These lautet zugespitzt: „Vergesst den Standort, baut woanders!“
Was man weiß über diesen Großflughafen, ist sein Mutieren zur öffentlichen Lachnummer durch das ständige Verschieben von Eröffnungsterminen. Er ist ein riesiges Ärgernis, ein Monstrum ungeklärter Fragen. Deshalb stehen nicht nur Flughafenchef Rainer Schwarz, sondern Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck unter Druck. Und jetzt kommt dieser Mann daher, ein Aufschneider, wie manche meinen, es aber nicht öffentlich sagen wollen, und wirft die jahrelangen Planungen der Flughafengesellschaft über den Haufen. Wie kann er sich das erlauben?
Um das zu verstehen, muss man diesen Dieter Faulenbach ein wenig kennenlernen. In den Verwinkelungen seines Lebens gibt es immer wieder Momente, in denen er beschloss, sich neu zu erfinden. Eine dieser Verwandlungen führte ihn in die Flughafenwirtschaft und machte ihn zum Experten.
Im Sommer 1985 steht da Costa schon in der Mitte seines Lebens. Er ist 41 Jahre alt, er hat lange Zeit in der Politik gearbeitet, zuletzt ein paar Monate im Wahlkampf für Volker Hauff (SPD), ehemaliger Bundesminister und späterer Frankfurter Oberbürgermeister. Jetzt sucht er eine neue Herausforderung. Ein Freund erzählt ihm, dass eine Tochterfirma des Frankfurter Flughafens einen Stadtplaner für einen Auslandseinsatz in Karachi sucht. Das Bauplanungsunternehmen akquiriert Aufträge im Ausland.
Faulenbach da Costa, gerade frisch verheiratet, hat keine Ahnung von Flughäfen, und sein zukünftiger Arbeitgeber sagt im Vorstellungsgespräch, er habe leider nur 72 Stunden, um sich zu entscheiden. Er nimmt an und ist 27 Jahre später nicht nur in über 50 Ländern an Flughafenplanungen beteiligt gewesen, sondern gehört zu den wenigen unabhängigen Fachleuten in Deutschland.
Würde er recht behalten mit seiner These, hätte der BER im Prinzip ausgedient, bevor er eröffnet hat. Faulenbachs Szenario ist ein Katastrophenszenario. Vielleicht kann es allein deshalb nicht wahr sein, weil es niemals wahr sein darf.
Faulenbach mischt sich gerne mal ein.
Faulenbach hat einem Treffen zugestimmt, weil er weiß, dass manche ihn für einen Spinner halten. Da will er sich lieber selbst einmischen, das hat er immer schon getan, als Kind bereits, das siebte und letzte in der Familie, als ehrenamtlicher Stadtrat für Integration und als Geschäftsführer der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik Hessen.
Kürzlich in Potsdam hat er es wieder getan, bei einem Vortrag. Er hat die Flughafenmacher zum Aufheulen und zu eiligen Dementis genötigt, als der Sozialdemokrat für die CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag ein Gutachten erstellte. Oberflächlich betrachtet geht es darum, dass es zu wenig Abfertigungsschalter und Gepäckausgabebänder gibt. Hört sich klein an. Aber eigentlich versucht Faulenbach nachzuweisen, dass der gesamte Standort, „keine Kapazitätsreserve“ habe und damit „über kein Wachstumspotenzial verfügt“.
Faulenbach ist davon überzeugt, dass Wachstum nur mit einer dritten Start- und Landebahn gesichert werden könne. Der BER hat zwei. Eine solche dritte Bahn würde bedeuten, dass viele Bewohner der Orte Blankenfeld, Rothfeld, Waltersdorf, Bohnsdorf und Schulzendorf umgesiedelt werden müssten. Der Sprengstoff der Analyse liegt darin, dass er behauptet, die Probleme seien an diesem Standort nicht zu lösen. Er schluckt die saure Gurke herunter und sagt: „Man wird 2030 einen neuen Großflughafen bauen müssen, am besten in Sperenberg, denn alle Kapazitätserweiterungen sind in Stadtnähe wegen der extremen Lärmbelastungen nicht mehr vermittelbar.“
Allein das Wort „Sperenberg“ auszusprechen, ist ein Frontalangriff. Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass in den 90er Jahren die allermeisten Verantwortlichen gegen Schönefeld als Standort waren. Eine neue Sperenberg-Debatte wirkte in etwa so, als würde ein alter Fluch die Planer einholen. Dieser Fluch besagt: Schönefeld lässt sich nicht zum Drehkreuz entwickeln.
Als Faulenbach 1985 in Karachi ankam, sollte er einen Entwicklungsplan für den Flughafen erstellen. Man muss sich den Aus- oder Neubau eines Flughafens so vorstellen, als ob man eine kleine Stadt konzipierte, die gesamte Infrastruktur muss ausgearbeitet werden. Faulenbach hatte das Glück, in Karachi ein kompetentes Team von Ingenieuren und Architekten anzutreffen. Er hat gelernt, was er lernen musste und fand Spaß an Flughäfen, „weil viele Details bedacht werden und in sich stimmig sein müssen“.
Er arbeitete als selbstständiger Flughafenplaner in aller Welt, plante Terminals in Lahore, in Kuwait oder in St. Vincent auf den Grenadines. Er machte Machbarkeitsstudien in Äquatorial Guinea oder in New York, wo die Verantwortlichen wissen wollten, ob man es mit den örtlichen Flughäfen schaffe, 200 Millionen Gäste pro Jahr zu bewegen. „Geht nicht“, urteilte Faulenbach. Sein Weg führte ihn auch nach Berlin. Als freier Planer für Hochtief war er in den 90er Jahren am Planfeststellungsantrag beteiligt, als man den Flughafen noch privatisieren wollte. Später, 2006, untersuchte er für Hochtief die Baukosten für den neuen Terminal und bezifferte ihn auf 1,1 Milliarden Euro – was die Flughafengesellschaft empört zurückwies. Es kam dann sogar noch teurer.
Aus Sicht der Luftfahrtwirtschaft ist Faulenbach da Costa nur ein Verräter.
Immer wollte Faulenbach unabhängig bleiben, flüchtete, sobald er einen Chef vor die Nase gesetzt bekommen sollte und wurde schließlich Spezialist für beide Seiten – Gegner und Befürworter von Flughäfen. Wenn er Pause macht vom internationalen Luftfahrtgeschäft, ist sein Zuhause Offenbach. Es liegt ganz sicher an dieser Stadt und ihrer schwierigen Nähe zum Frankfurter Flughafen, dass Faulenbach da Costa aus Sicht der Luftfahrtwirtschaft nun als Verräter dasteht. 80 Prozent von Offenbach sind von Fluglärm betroffen. Seit 2000 ist er Gutachter und Berater der Stadt im ewigen Kampf für Lärmschutz, Nachtflugverbot und den weiteren Ausbau.
Seitdem er sich für die Belange der Stadt einsetzt, bekommt er keine Aufträge mehr aus der Luftverkehrswirtschaft. Dort hält man ihn für einen Opportunisten. Ein hochrangiger Ex-Manager der Luftverkehrswirtschaft dagegen, der in Berlin gearbeitet hat, sagt über ihn: „Sein Gutachten ist völlig in Ordnung. Ich stimme ihm zu. Der Flughafen ist zu klein konzipiert, weil die Entwicklungen der letzten zehn Jahre nicht mehr berücksichtigt worden sind.“ Der BER, sagt der Mann, sei ein „gigantisches Desaster“ und werde niemals 2013 eröffnet.
Dieter Faulenbach da Costa steht nicht allein, aber die, die wie er denken, schweigen öffentlich. Dass er es anders macht, sich traut, hat noch mit einem anderen Leben zu tun, das er führte, bevor er Flughafenplaner wurde. Auch in dieser Zeit finden sich ein paar gute Erklärungen für seine Leidenschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen: aus seiner Zeit als Kommunalpolitiker und Entwicklungshelfer.
Der Vater war in der CDU, aber als Faulenbach Anfang der 60er Jahre nach Berlin kommt, um eine Lehre als Vermessungstechniker zu beginnen, die er nach einem beinahe tödlichen Autounfall schmeißt, hört er eine Rede von Willy Brandt. Und wird Sozialdemokrat. Von 1972 bis 1975 arbeitet er als Abteilungsleiter für Wettbewerb und Städtebau in Gummersbach, schließlich wird er für die SPD Stadtrat in Offenbach und macht sich für das Recht auf Asyl stark.
Ein alter Weggefährte sagt, Faulenbach hätte in der Partei Karriere machen können, er habe „großen politischen Weitblick“. Aber immer, wenn er Beschlüsse mittragen soll, die er nicht für richtig hält, kollidiert er mit seinem Drang, sich nicht verbiegen zu wollen. „Mit Faulenbach kann man keine Absprachen treffen“, heißt es. Er sei renitent und renne selbst dann mit dem Kopf gegen die Wand, wenn klar ist, dass seine Ideen nicht durchkommen.
Anfang der 80er Jahre kommen Parteikollegen zu ihm und bieten an, ihn wieder für den Offenbacher Magistrat aufzustellen, wenn er verspreche, sich an Absprachen zu halten. Das sei nicht nötig, erwidert Faulenbach, er gehe für den Evangelischen Entwicklungsdienst als Stadtplaner auf die Kapverdischen Inseln. Sein Bruder, Entwicklungshelfer in Nepal, hatte ihn überredet.
Dort, Afrika in Sichtweite, lernt er nicht nur seine Ex-Frau da Costa kennen, er lernt auch, wie Stadtplanung ohne Bürokratie funktionieren muss. Er lacht: „Wer auf Kapverde auf einer Freifläche Steine aufgehäuft hatte, der signalisierte: Hier baue ich.“ Faulenbach musste sich beeilen, Steine zu stapeln, wenn er dem illegalen Bauen zuvorkommen wollte.
Irgendwann werden die Pisten nicht mehr reichen, denn die Zahl der Fluggäste wächst - das sehen auch andere Experten so.
Vielleicht ist es der streitbare Sozialdemokrat in ihm, der ihn auch in den Flughafendingen unerbittlich werden ließ. Auf der anderen Seite ist Faulenbach bis heute kein Flughafengegner, im Gegenteil: Er ist davon überzeugt, dass man große Flughäfen bauen kann – „nur eben nicht mehr in Ballungsräumen“.
Ein großer Airport, wie er heute üblich ist, schleust bis zu 90 Millionen Passagiere durchs Jahr. Berlin werde sich vor 2030 auf 60 Millionen einstellen müssen, sagt ein ehemaliger Lufthansa-Manager. 60 Millionen – das ist eine Zahl, die auch in den Planungen für den BER einst auftauchte. Damals, Anfang der 90er Jahre, wollte die Luftfahrtwirtschaft einen Flughafen mit vier bis sechs Pisten für 60 Millionen Passagiere. Aber dann erschien das den Verantwortlichen zu groß, die rasante Steigerung an Passagieren begann erst mit Aufkommen der Billigflieger. Es ist aber kein Geheimnis, dass schon im Raumordnungsverfahren 1994 stand, dass Schönefeld nicht den „Erfordernissen der Raumordnung“ entspreche. Mehr als zwei Bahnen, das hieß das damals, seien nicht verträglich mit dem Lärmschutz und der dichten Besiedlung. Bis heute rechnet der BER vor, dass zwei Pisten für bis zu 40 Millionen Passagiere ausreichen. Aber wann werden die 40 erreicht?
Einige Experten prognostizieren diese Zahl schon für 2025. Faulenbachs radikale These speist sich aus den internationalen Wachstumsprognosen, er sagt: „Mit zwei Pisten am BER können nur etwa 35 bis 40 Millionen Passagiere pro Jahr störungsfrei abgewickelt werden, dann sinkt die Qualität massiv. Ohne dritte Start- und Landebahn hat der Flughafen keine Zukunft.“ Deswegen müsse bis spätestens 2020 über die Zukunftsfähigkeit des Standorts oder eine Standortalternative entschieden werden. Und wenn nicht? „Dann“, sagt Faulenbach und verspeist den letzten Rest seines Bauernfrühstücks, „fährt der Flughafen ab 2025 erst vorsichtig, dann langsam und schließlich kraftvoll gegen die Wand.“
Im April 2011 kommt es im Brandenburger Landtag zu einer Anhörung zum Nachtflugverbot. Flughafenchef Schwarz warnt davor, dass Tausende Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Faulenbach ist als Sachverständiger geladen, er trägt vor, warum er das für Unsinn hält. Dann sagt Schwarz einen Satz, der Faulenbach stutzig werden lässt: Der BER werde so erfolgreich sein, dass man ihn sofort ausbauen müsse. Faulenbach wunderte der Satz sehr. „Wie kann man einen Flughafen planen, ihn nicht fertig bekommen und schon über den Ausbau sprechen?“, dachte er.
Es war der Tag, an dem Faulenbach da Costa beschloss, sich in die Details der BER-Planungen einzulesen, um sich einzumischen. Schwarz’ Satz hat ihn gereizt, ihn und sein anarchisches Wesen.