zum Hauptinhalt
Die Künstlerin Anne Bengard: Blick ins Streetart-Atelier in der Wilhelmsaue.
© Doris Spiekermann-Klaas

Street-Art-Projekt "Wandelism" in Berlin-Wilmersdorf: Ein altes Autohaus wird zum Kunstobjekt

Mehr als 60 Künstler verwandeln ein Autohaus in Berlin-Wilmersdorf in eine Galerie. Acht Tage lang kann man sich alles ansehen, dann wird das Haus abgerissen.

Wandel beginnt im Kopf, heißt es. Im alten Autohaus in der Wilhelmsaue beginnt er im zweiten Raum, hinten rechts. Dort leuchtet ein knallrotes Rechteck an der Wand. Akribisch klebt eine Gestalt in weißem Schutzanzug und Mundschutz weitere Rechtecke an die Wand, während hinter ihm zwei Männer ein Auto zerlegen. Das ist erst der Anfang. Street Art gibt es nun auch in Wilmersdorf. Wände werden zu Leinwänden, Autos vom Schrottplatz zu Kunstinstallationen. Deswegen heißt das Projekt auch „Wandelism“. Alles soll Kunst werden, sogar die Fenster bekommen einen neuen Anstrich. 2000 Quadratmeter Fläche haben die 66 Künstler zur Verfügung, vier Wochen Zeit, sie zu verwandeln. Bevor das Haus abgerissen wird.

Ein Teil der Einnahmen geht an ein gemeinnütziges Projekt

Berlin entdeckt Streetart. Firmen lassen ihre Werbung an Häuserwände sprühen. Eine Agentur vermittelt Streetart-Künstler für Unternehmen und Veranstaltungen. Und für das Projekt „The Haus“ standen Besucher stundenlang an. 175 internationale Künstler hatten eine alte Bank in eine Galerie verwandelt. Nach gut 50 Tagen war Schluss, die Kunst wurde zerstört.

"Wandelism" erinnert ein wenig an den großen, so erfolgreichen Vorgänger. Die Organisatoren hören das gar nicht gerne. Sie sehen sich weniger kommerziell. Deswegen sollen auch 30 Prozent der Einnahmen an ein gemeinnütziges Projekt gehen, nachdem alle Kosten gedeckt sind. Mit dem Geld soll die Awo-Kita Kinderwald in Mitte gemeinsam mit Kindern und Künstlern verschönert werden. Der Rest geht an die Künstler, die fast alle in Berlin leben.

Die einzige Konstante Berlins ist der Wandel.

Die Organisatoren, das sind: Senor Schnu, Baye Fall, Jerome Graff, Marlon Schatte und Moritz Tonn. Auf ausgebauten Autositzen sitzen sie zusammen um eine Bierbank, die als Tisch dienen muss. Team-Besprechung. Noch lässt sich nicht erahnen, wie alles aussehen soll. In der großen Halle hängt ein Einkaufswagen von der Seilwinde. „Die einzige Konstante Berlins ist der Wandel“, sagt Moritz. „Streetart und Graffiti setzen sich zwangsläufig mit dem Wandel auseinander“, ergänzt Schnu. Sie waren sofort begeistert von den Räumen, erzählen sie.

Der Eigentümer, die Immobilienfirma Diamona&Harnisch, wollte gerne Künstlern das Gebäude zur Verfügung stellen, bevor die Bagger kommen. So begann Wandelism. Sieben Tage hat die temporäre Galerie geöffnet, wenn die Künstler ihre Arbeit beendet haben. Dann ist alles vorbei. Wie bei „The Haus“.

"Berlins Kunst darf niemand gehören", sagen die Organisatoren

Die Gruppe arbeitet ehrenamtlich. Es geht ihnen um Freiräume, sagen sie, um die Freiheit der Kunst. Damit die Künstler sich um nichts kümmern müssen, sorgen sie für wichtige Dinge wie Material und Sponsoren. Damit sollen sich ihre Künstler nicht auseinandersetzen müssen, da sind sich alle einig. Dabei ist es gar nicht so einfach für so ein freies Projekt, genug Gelder zusammenzubekommen. Wandelism muss ohne Geld der großen Stiftungen und Förderer auskommen. „Durch unser freies Projekt haben wir etablierte Gruppen aufgeschreckt, die Berlins Urban Art monopolisieren wollen“, sagt Moritz Tonn, der mit seiner Agentur Ftvs Art Concepts freie Kunstprojekte organisiert. „Niemand darf Berlins Kunst gehören, außer der Gemeinschaft selbst.“ Mehr wollen sie gar nicht sagen. Der Konflikt soll nicht ihr Projekt überschatten.

Wenn eine Subkultur anerkannt wird, gerät sie in Konflikte

All das klingt nach Rangeleien einer Szene, die lange im Untergrund agierte und gerade dabei ist, ihren Platz in der Kunstwelt zu finden. Und erinnert an den Techno der 90er Jahre. Wenn eine Subkultur auf einmal auch Investoren und die Politik begeistert, gibt es öfter Streit. Darum, wer welche Förderung bekommt. Und darum, wie Kunst gemacht werden soll. Nicht alle wollen kreativ zusammenarbeiten. Dabei gäbe es in Berlin einiges an Potential. Die Truppe von Wandelism will sich auf jeden Fall nicht abschrecken lassen. Den Großteil des benötigten Geldes wollen sie über Spenden und Führungen durch das Autohaus verdienen. Wir schaffen das schon, das glauben alle.

Erst die Wände, dann das Auto: Was sie vorfinden, beziehen die Street Art-Künstler in ihr Ausstellungsprojekt ein.
Erst die Wände, dann das Auto: Was sie vorfinden, beziehen die Street Art-Künstler in ihr Ausstellungsprojekt ein.
© Doris Spiekermann-Klaas

Zwei Wochen später sieht es ganz danach aus. Mintgrün leuchtet die Front des Gebäudes. Wo vorher weiße Wände waren, ziert nun Streetart die Eingangshalle. Gerade gestaltet ein Künstler die Ecke, wo die Bar stehen soll. Mit einem Beamer wirft er die Muster an die Wand, die er dann mit Klebeband abklebt, um sie nachzuzeichnen. Im Nebenraum malt Anne Bengard. Sie war auch bei „The Haus“ dabei, ist eine der wenigen Frauen, die bei Wandelism mitmachen. Sie glaubt nicht, dass es an weiblichen Künstlern in Berlin mangelt. „Sie müssen sich nur trauen“, sagt sie. Vor fünf Stunden hat sie angefangen, das rosa-hellblaue Gesicht nimmt langsam Gestalt an.

In jeder Ecke wird gemalt, gesprayt, gezeichnet

Hinten im Werkstattraum stehen immer noch die Autositze, doch die sind leer. In jeder Ecke wird gemalt, gesprayt, gezeichnet. Oder auch einfach nur gestrichen. Das hat Hagen gerade gemacht. Er gestaltet einen ganzen Raum. Der ist nun beige. Die Decke fehlt noch, die soll dunkel werden. Hagen ist ein Newcomer. „Auf Wänden hab’ ich noch gar nicht so viel gemalt“, sagt er. Im Raum flackern die Neonröhren. Bevor es richtig losgeht, will Hagen noch eine Maske kaufen. Schon jetzt liegt ein Farbgeruch in der Halle, er beißt leicht im Hals. „Eine Maske braucht man schon“, sagt Jerome. „Du kannst auch einen Liter Milch trinken“, scherzt Jerome. „Das haben die Lackierer früher gemacht.“

Die Organisatoren sind fast immer vor Ort. Noch ist es gut eine Woche bis zur Eröffnung. Auch Schnu und Jerome sind Künstler, ihre Wand sieht noch recht unfertig aus. „Ich mache das nachts“, sagt Schnu. Eigentlich ist in wenigen Tagen Deadline. Doch der Künstler weiß aus eigener Erfahrung, dass sich nicht immer alle daran halten. „Wird schon“, sagt er.

Sie haben jetzt noch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um vor der Eröffnung noch ein bisschen mehr Geld zusammenzubekommen. Eng wird es. Eröffnen werden sie aber auf jeden Fall. Der Wandel hat ja längst begonnen.

„Wandelism“ ist von 17. bis 24. März in der Wilhelmsaue 32 zu sehen. www.wandelism.com

UND NOCH MEHR STREET ART IM WESTEN ...

oder besser: gaaanz weit im Westen – in Spandau. Dort wird ab 2019 zwischen Havel-Ufer und ICE-Bahnhof für 100 Millionen Euro die Postbrache bebaut. Bis zum Baustart darf sich dort der Kunstverein „Neue Urbane Welten“ austoben – und der holt derzeit Street Art-Künstler aus aller Welt zur alten Post-Pakethalle, zuletzt aus Argentinien.

„Wir wollen moderne Kultur in Spandau verankern, "von Street Art bis elektronischer Musik", erzählt Alexander Kopp, 34. „Die Streetart soll dort nicht als Vandalismus wahrgenommen werden, sondern als Kunst. Und bei uns haben die Künstler eine Fläche, wo sie das erlebbar machen können.“

Draußen bunt, drinnen laut: Im Innern der Posthalle legen DJs auf und übertragen Elektro-Musik ins Ohr der Leute – via Internet. Draußen lässt der Kulturverein in einer Woche beim Urban Gardening unzählige Blumen sprießen. Und im Herbst ist all das wieder: Geschichte.

Zur Startseite