Kinder und Medien: Dürfen kleine Kinder schon fernsehen?
Experten sind sich uneinig, ob gelegentliches Fernsehen für kleine Kinder schädlich ist. Drei Familien erzählen von ihrem Alltag.
Samstagsmorgens läuft eine Stunde „Bibi Blocksberg“, manchmal sind es auch zwei. Mia*, fünf, und Lina*, zwei, sitzen zusammen vor dem Fernseher, die Eltern freuen sich, dass sie etwas fehlenden Schlaf nachholen können. Als besonderes Ereignis veranstaltet die ganze Familie hin und wieder einen „Kino-Abend“ mit einem Disney-Film, auch die Kleine darf dann mitschauen. Und in den Weihnachtsferien lief auch schon mal tagsüber länger der Fernseher. „Das haben wir genossen: die ganze Familie im Pyjama auf der Couch“, sagt Mutter Carla Fischer* aus Tempelhof. „Da haben wir Filme wie ,Michel aus Lönneberga‘ und ,Drei Nüsse für Aschenbrödel‘ geschaut.“ Die 34-Jährige und ihr Mann sehen das Thema kleine Kinder und Fernsehen relativ entspannt: „Wir verbieten und verteufeln es nicht grundsätzlich. Dadurch würden wir Fernsehen nur attraktiver machen. Indem wir es manchmal erlauben, nehmen wir den Druck raus.“ Wenn Mia samstagmorgens drei Folgen Bibi Blocksberg geguckt hat, stellt sie von allein den Fernseher aus und beschäftigt sich mit etwas anderem. Und ihre kleine Schwester verliert ohnehin schnell das Interesse und geht lieber spielen.
"phew, bääm, peng": Kinder, die nur noch Zeichentricksprache sprechen
Jakob Maske findet aber auch das schon zu viel: „Kinder unter fünf Jahren sollten gar nicht fernsehen.“ Der Kinderarzt und Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V. sieht in seiner Schöneberger Praxis zunehmend die Auswirkungen von intensivem Medienkonsum. Neben Konzentrationsstörungen und Hibbeligkeit sind das auch die ganz harten Fälle, wie etwa die fünfjährigen Zwillinge, deren motorische und sprachliche Fähigkeiten völlig unterentwickelt waren: „Sie konnten kaum sprechen, sondern haben sich in Zeichentricksprache ausgedrückt: phew, bääm, peng. Außerdem trauten sie sich nicht, allein auf die Behandlungsliege zu klettern. Sie waren nie draußen auf Spielplätzen, sind nie geklettert und getobt.“ Stattdessen saßen sie sechs bis sieben Stunden vor dem Fernseher. Den Fall habe Maske dem Jugendamt gemeldet. Zudem sieht er häufig, dass Kinder den Stift nicht richtig halten, geschweige denn einen Kreis malen können. Stattdessen beherrschen sie die Tablet-typische Wischbewegung. Außerdem falle auf, dass Eltern während der Behandlung versuchen, Kinder mit Medien zu beruhigen: „Da wird beim Impfen ein Filmchen am Smartphone gezeigt, anstatt mit ihnen zu reden und sie in den Arm zu nehmen.“ Dabei sind Nähe und Gespräche für kleine Kinder besonders wichtig. Und zwar gerade wenn es um den Medienkonsum geht. So sieht es jedenfalls Ilka Goetz, Geschäftsführerin von Bits21, einer Fortbildungseinrichtung mit medienpädagogischem Schwerpunkt in Friedrichshain: „Es ist sogar wichtig, dass auch kleinere Kinder schon mit Medien in Berührung kommen – solange sie dabei von Eltern oder Erziehern begleitet werden.“ Die Begleitung sei besonders bis zum Schuleintritt und bei Computerspielen und Apps wichtig.
"Eltern sollten das Medieninteresse ihrer Kinder ernst nehmen"
Goetz hält es für richtig, dass Kinder schon früh mediale Erfahrungen sammeln, um in die digitale Gesellschaft hineinzuwachsen. „Für die Eltern ist es völlig normal, dauernd online zu sein, sie nutzen Whatsapp, Onlinebanking und kaufen übers Internet ein.“ Wer versuche, diese Lebensrealität von seinen Kindern fernzuhalten, verhindere, dass sie ein normales Verhältnis zu Medien entwickeln, sagt Goetz. Vielmehr sollen Eltern das Medieninteresse ihrer Kinder ernst nehmen. Entscheidend sei weniger, wie lange, sondern was sie schauen. Die Figuren sollten kindgerecht sein und die Geschichten nicht zu komplex, da gerade Kinder unter fünf Jahren eine kurze Aufmerksamkeitsspanne haben. „Im Idealfall sollten Kinder dabei Spaß haben und etwas lernen“, sagt Goetz. Ob Zeichentrickserie, Tierfilm oder Wissenssendung spiele keine Rolle, sondern sei von Kind zu Kind anders. Einen Überblick können sich Eltern auf www.flimmo.de verschaffen, wo Kindersendungen bewertet werden.
Bei Toni aus Neukölln aber bleibt der Fernseher aus, meist die ganze Woche. Der Vierjährige guckt allerhöchstens einmal am Wochenende maximal eine halbe Stunde. Dann darf er sich eine von den drei, vier Kinder-DVDs aussuchen, „Wiki und die starken Männer“ oder die Serie um den Indianerjungen „Yakari“. „Das ist dann aber was Besonderes. Und wir schauen immer zusammen, kuscheln dabei“, sagt Papa Stephan Otterbach. Nur bei der Oma, die Toni etwa einmal im Monat besucht, darf er ein bisschen mehr fernsehen. „Zu Hause fragt er gar nicht danach“, erzählt Otterbach. Da beschäftigt er sich mit seinen Spielsachen, guckt Bücher an oder es wird vorgelesen.
Die Kinder wünschen sich ein Touch-Handy
Auch Spiele-Apps und Computerspiele sind bei Toni tabu. Genau wie bei Familie Fischer: „Davon halten wir nichts. Mein Mann und ich sind überhaupt keine Spieler, weder am PC noch mit Apps. Zum Glück ist das auch in Mias Kita noch kein Thema.“ Anders dagegen bei den Dörnemanns. Marlene aus Friedenau ist vier und hätte gerne ein „Touch-Handy". Das Wort kennt sie von ihrer großen Schwester, der neunjährigen Emma, die ab und zu auf Papas Handy oder Tablet eins der installierten Spiele spielen darf. Wo große Geschwister sind – wie bei den Familien Fischer und Dörnemann –, kommen automatisch die jüngeren früher mit Handys und Fernseher in Kontakt. „Marlene sitzt dann ganz gebannt neben ihrer großen Schwester, wenn die am Tablet spielt oder die ,Sendung mit der Maus‘ guckt. Sie versteht noch nicht alles, aber findet’s cool, wenn sie auch mal die Große spielen darf“, sagt Vater Jörg Dörnemann. Ähnlich gelassen ist auch Carla Fischer: „Wenn man sieht, dass sich die Kinder trotzdem gut entwickeln, wird man entspannter.“
Solange Kinder nicht, wie in den von Kinderarzt Jakob Maske geschilderten Fällen, verhaltensauffällig werden und sie sich ebenso gerne anders beschäftigen, ist es laut Medienpädagogin Ilka Goetz unbedenklich, seine Kinder mal zwei Stunden vor den Fernseher zu setzen und in der Zeit etwas anderes zu machen. „Das entspricht der Lebensrealität der allermeisten Familien.“ Grundsätzlich stimmt sie aber Maske zu, der Eltern immer zu weniger Mediennutzung und mehr persönlicher Beschäftigung mit ihren Kindern rät. Die Beispiele der drei Familien zeigen: Die Mischung macht’s.
*Namen geändert.